Stress und Burn-out:In der Ruhe liegt die Kraft

Der Aktionismus unserer Tage macht krank. Wer sich von Sachzwängen und Terminen jagen lässt, trifft die falschen Entscheidungen. Ein Plädoyer für das Innehalten im Job.

H. Volk

Alles verändert sich und das immer schneller. Handlungs- und noch viel mehr Zukunftsplanung, unternehmerische wie private, werden zu einem steten Wagnis. "Innere Ruhe ist rar geworden. Im zwischenmenschlichem Umgang zeigt sich das ebenso wie im öffentlichen Raum", sagt der schweizer Psychotherapeut und Fachmann für Stress- und Ressourcenmanagement, Professor Urs Peter Lattmann aus Aarau mit Besorgnis. Sieht er doch in der fehlenden inneren Ruhe "einen der großen Mürbemacher und Fehlsteuerer unserer Zeit."

"Innere Unruhe beeinträchtigt die Konzentration", erläutert Lattmann, und damit das Vermögen, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden. Erst innere Ruhe kläre und schärfe den Blick und ermögliche so das zur persönlichen wie betrieblichen Krisen- und Problembewältigung entspannt-konzentrierte Denken und Handeln. Das Empfinden andauernden Getriebenseins führe in der Sache in die Irre und im zwischenmenschlichen Umgang in zunehmende aggressive Konfrontationsbereitschaft, selbst bei nichtigsten Anlässen.

Im Management hätte eine flatterige Ausstrahlung eine verheerende psychologische Wirkung auf die Belegschaft. Und nicht zuletzt, sagt Lattmann, "unterminiert das Gefühl permanenten inneren Getriebenseins die Gesundheit". Psychischer Dauerstress sei ursächlich an vielen Krankheiten beteiligt.

Laut und lärmend - oder still und heiter

Das ist nicht neu. Schon in der Philosophie der griechisch-römischen Antike spielte diese innere Haltung als zuverlässiger Wegweiser zur Lebensbewältigung in Form der Hilaritas, der heiteren Gelassenheit, eine maßgebliche Rolle.

"Heiterkeit und Gelassenheit gehören zusammen", erklärt Anselm Bilgri, ehemaliger Prior des Klosters Andechs und heute Managementberater. Heiterkeit verstanden als stille, von innen heraus leuchtende, eben aufheiternde Fröhlichkeit, nicht als laute, lärmende Lustigkeit. Diese Heiterkeit ermögliche ganz wesentlich die Doppelwirkung der Gelassenheit: in Bezug auf uns selbst als Fähigkeit, loslassen zu können, nicht zu verkrampfen oder - häufig wider besseres Wissen - auf etwas zu versteifen. In Bezug auf die Umgebung sein lassen zu können als Vermögen, andere in ihrer Eigenart zu akzeptieren.

Abwerten und Bagatellisieren

Gelassenheit so verstanden, sagt Angelika Wagner, Pädagogik-Professorin an der Universität Hamburg, "ist etwas grundlegend anderes als die aufgesetzte, vorgeschobene oder gespielte Gleichgültigkeit im Sinne von 'Das ist mir doch egal!'" Der Unterschied liege darin, dass wirkliche Gelassenheit einhergehe mit innerer Ruhe und Offenheit, während Gleichgültigkeit das Resultat von Konfliktumgehungsstrategien sei, beispielsweise des Abwertens, Bagatellisierens oder Rationalisierens.

"Die segensreiche Wirkung der inneren Ruhe gilt es wiederzuentdecken", fordert Rudi Ott, Philosoph und emeritierter Professor am bischöflichen Priesterseminar in Mainz. Mit dem dröhnenden Aktionismus unserer Tage ließen sich die Probleme der Welt kaum lösen. Außerdem begünstige mangelnde innere Ruhe auch "den zunehmend zu beobachtenden Verlust der Selbstbeherrschung".

Auf der nächsten Seite: Wie die Hirnforschung helfen kann, den Weg zu mehr Gelassenheit zu finden.

Lähmender Schrecken

Andauernde innere Aufgeregtheit lasse eine hohe Reizbarkeit entstehen. Dadurch sinke die Reizschwelle, und das wiederum forciere aggressive Regungen, sagt Ott. Innere Unruhe beeinträchtige eben nicht allein das Urteilungsvermögen und begünstige falsche Einschätzungen und Bewertungen, weil alles nur noch eingeschränkt und selektiv wahrgenommen werde, es führe auch dazu, aus Nichtigkeiten Probleme zu machen.

Eine Tatsache, auf die auch Lattmann verweist. "Wer ständig aufgescheucht in die Welt blickt, neigt dazu, alles als bedrohlich anzusehen, als tragisch, furchtbar, katastrophal", sagt er. Das verhindere, Herr einer Situation zu bleiben. Ein solchermaßen befangener Blick liefere den Menschen einfach der Situation aus, die, gelassener betrachtet, meist rasch viel von ihrem lähmenden Schrecken verliere. Vermutlich kenne das jeder: Fehlt die innere Ruhe, ist schnell alles Mist, sind die anderen unmöglich. Am liebsten möchte man davonlaufen.

Angriff oder Flucht

Wer in sich ruhend im Leben steht, weiß: Selten nur gibt es etwas, das ausschließlich eine Facette hat. Auch die Hirnforschung verweist auf den Wert der inneren Ruhe. Gerald Hüther, Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universitäten Göttingen und Mannheim/Heidelberg: "Wenn im Oberstübchen, dem frontalen Cortex, die Erregung zu groß wird und alle Sicherungen durchbrennen, übernehmen die archaischen Notfallprogramme aus den tieferliegenden Hirnbereichen das Kommando." Damit stünden nur noch zwei Verhaltensalternativen zur Auswahl: Angriff oder Flucht. Beide seien für die Bewältigung unserer heutigen Probleme und ihrer oft krisenhaften Zuspitzung völlig ungeeignet.

Hier erfolgreich zu Werke zu gehen, sagt Hüther, "fordert abwägendes, ruhiges Nachdenken, Einfühlungsvermögen, Umsicht und Voraussicht. Schwierige Situationen müssen meistens in mehreren Schritten bereinigt werden." Ein solches Vorgehen aber sei aber desto weniger möglich, je größer die Erregung in der Hirnregion sei, die diese komplexen Leistungen steuere. "Dazu braucht es genügend Ruhe im Frontalhirn, innere Ruhe eben."

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