Außenansicht:Wie die AfD zum parlamentarischen Arm der Neuen Rechten wird

Querelen in der AfD Baden-Württemberg

"Rot-grün verseuchtes 68er Deutschland": Die AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen

(Foto: dpa)

Gegen das "rot-grün versiffte" 68er-Deutschland, gegen die Werte der französischen Revolution: Die AfD will eine andere Republik - und tastet selbst den Kern des Grundgesetzes an.

Gastbeitrag von Wolfgang Gessenharter

Die AfD ist eine in sich zerstrittene Partei. Das hat sich seit dem Parteiaustritt von Bernd Lucke und anderen Gründerpersönlichkeiten nicht wesentlich geändert, wie der Umgang mit den antisemitischen Thesen des baden-württembergischen Mitglieds Wolfgang Gedeon kürzlich gezeigt hat.

Im Norden gibt es Führungspersonen, die sich offen gegen wesentliche Teile des neuen Parteiprogramms aussprechen. Und erst jüngst hat der Landesvorsitzende von Thüringen, Björn Höcke, dem Bundesvorstand Inkompetenz und Bedeutungslosigkeit vorgeworfen.

Überraschenderweise jedoch nimmt die Öffentlichkeit eine ganz andere Entwicklung noch kaum zur Kenntnis. Im Kern läuft sie darauf hinaus, die Grundlagen des Grundgesetzes infrage zu stellen. Beispielhaft zeigt sich dies im barschen Ausschluss des Islam aus der (politischen) Kultur Deutschlands: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", so heißt es im Stuttgarter Parteiprogramm. Wie sieht diese Tendenz genau aus?

Jörg Meuthen, derzeit mit Frauke Petry Ko-Bundessprecher der AfD, hat in seiner umjubelten Rede auf dem jüngsten Parteitag mit einigen Bemerkungen die Richtung gewiesen. So sprach er mehrmals von "einem rot-grün verseuchten (wahlweise: versifften) 68er Deutschland, von dem wir die Nase voll haben".

Und weiter: Er wolle in der Tat ein anderes Deutschland; er selbst sei "zwar kein Revolutionär, aber eine "konservative Reformation" strebe er durchaus an. Der Anklang an die "Konservative Revolution" der Weimarer Republik ist offenbar durchaus gewollt, wenngleich in einer gewissen Abschwächung: Reformation statt Revolution.

Meuthen nimmt hier Töne auf, die in Deutschland spätestens seit den 1970er-Jahren und besonders stark nach der deutschen Vereinigung in den 1990er-Jahren zu hören waren und es bis heute im rechten Raum sind. Sie stammen von Verlagen, Publikationsorganen und verschiedensten Gruppen, die man oft zusammen "Neue Rechte" nennt.

Neurechte Antihaltung

Einer ihrer Kernpunkte ist die strikte Ablehnung der Ideen der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das damalige Spitzenblatt der Neuen Rechten, Criticón, betitelte 1989 folgerichtig sein einschlägiges Schwerpunktheft mit: "200 Jahre Gegenrevolution". Neben dieses "Gegen 1789" wird ebenso folgerichtig ein "Gegen die 68er" gesetzt, weil diese verschärft jene gefährliche Ideologie vertreten. Meuthen macht es nach.

Außenansicht: Wolfgang Gessenharter, 74, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Seit mehr als dreißig Jahren forscht er über Rechtsextremismus.

Wolfgang Gessenharter, 74, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Seit mehr als dreißig Jahren forscht er über Rechtsextremismus.

(Foto: oh)

Zentraler Punkt dieser neurechten Antihaltung ist die Entscheidung über das Grundproblem jeder Gesellschaft: Wer hat Priorität, das Individuum oder die Gemeinschaft. Das deutsche Grundgesetz trifft mit Artikel 1 eine klare Entscheidung zugunsten des Individuums: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Die "Neue Rechte" attackiert diesen Artikel nun nicht direkt, wie dies etwa Neonazis tun, sondern versucht ihn eher indirekt zu relativieren: Er sei vielleicht sympathisch, aber für die politische Realität eine Illusion, untauglich, ja gefährlich.

Schmitts Weltsicht: Kämpfe zwischen Kollektiven

Dabei stützen sie sich gerne auf Grundgedanken der Konservativen Revolution, und dabei insbesondere auf die Argumentation Carl Schmitts (1888-1985), eines der einflussreichsten Köpfe deutscher Staatslehre in der Weimarer Republik. Ihm galt und gilt auch heute noch die Verehrung nicht unwichtiger Teile der konservativen Intelligenz - trotz Schmitts Nähe zum Nationalsozialismus.

So attestiert man sich selbst etwa im Umkreis der Wochenzeitung Junge Freiheit (JF), einem der rührigsten Blätter der "Neuen Rechten", einen "verbreiteten Schmittismus", wie in einer Publikation des neurechten "Instituts für Staatspolitik" zu lesen ist. Und erst jüngst ist Schmitt in der JF als einer der großen Kritiker der "doktrinären Vorstellung von Menschenrechten als letzter Legitimationsbasis von Politik" gelobt worden.

In Schmitts Weltsicht besteht die Geschichte der Menschen wesentlich aus Kämpfen zwischen Kollektiven um Leben und Tod. Ein Kollektiv kann aber nur im Kampf bestehen, wenn es in sich stimmig, "homogen" ist: "Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen[...] Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, dass sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß." So Schmitt schon 1923, und 1969 unverändert.

Der Islam ist für die AfD ein solch Fremdes, das die deutsche Existenz bedroht. Und so verwundert es nicht, dass beim Stuttgarter Parteitag ein Mitglied, das den Antrag stellte, mit dem Islam in Deutschland in den Dialog zu treten, von einer großen Mehrheit ausgebuht wurde. Es ist auch nur folgerichtig, wenn zwei Führungspersonen, Frauke Petry und Beatrix von Storch, den Einsatz von Waffen zur Abwehr von Flüchtlingen an der Grenze vorschlugen.

Carl Schmitt hat seine Gedanken in seinen Schriften auf eine vielfältige Grundlage zu stellen versucht: Schutz der Kollektivglieder und ihr Gehorsam stehen für ihn in einem "ewigen Zusammenhang", gefordert "durch die menschliche Natur wie durch göttliches Recht", ja er sieht darin sogar eine nicht mehr hinterfragbare Denknotwendigkeit: "Das protego ergo obligo ist das cogito ergo sum des Staates." ("Ich schütze, also kann ich auch Gehorsam erwarten"). Dieser Satz ist für Schmitt genauso denknotwendig wie Descartes' "Ich denke, also bin ich".

"Polemos" statt "Polis"

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die AfD gerne Andersdenkende als fehlgeleitete "Gutmenschen", als bewusst fehlleitende, nur Eigeninteressen verpflichtete Eliten oder eben auch als "Lügenpresse" abkanzelt. Sie selbst sieht sich, auch hier wieder typisch neurechts, keinen gefährlichen Illusionen verhaftet, die dem eigenen Volk schaden.

Es ist kein Wunder, dass die "Neue Rechte" in ihren Publikationen und Werbeaktionen kräftig die AfD unterstützt. Und diese scheint in ihrer Mehrheit trotz aller Differenzen im Einzelnen nicht abgeneigt zu sein, zum parlamentarischen Arm der "Neuen Rechten" zu werden.

Hermann Heller, ein anderer bekannter Staatslehrer der Weimarer Republik, der schon 1933 im spanischen Exil starb, hat Carl Schmitt vorgeworfen, er leite den Begriff "Politik" vom griechischen Polemos (Krieg) ab und nicht von Polis (Stadt). Mit diesem Wort wird der Ort bezeichnet, wo freie Menschen mit gleichen Rechten und nur mit der Kraft ihrer Argumente miteinander über die Gestaltung ihrer gemeinsamen Zukunft streiten. Für diese demokratische Auseinandersetzung bietet der Artikel 1 des Grundgesetzes die beste Basis.

Wolfgang Gessenharter, 74, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Seit mehr als dreißig Jahren forscht er über Rechtsextremismus.

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