Foto-Ausstellung über Berlin der Sechzigerjahre:Wenn die Politik für den Menschen zur Bedrohung wird

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Verspottung des persischen Kaiserpaars an der Freien Universität, 2. Juni 1967. (Foto: bpk, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Bernard Larsson)

Bernard Larsson fotografierte in Berlin auf beiden Seiten der Mauer. In seinen Bildern hält er neben dem latenten Misstrauen auch den Aufbruchswillen der Zeit fest.

Ausstellungskritik von Jens Bisky

In dieser Stadt war das Misstrauen allgegenwärtig. Als der junge Fotograf Bernard Larsson im Juni 1962 durch die Straßen Berlins ging, erfassten ihn die Scheinwerfer einer Ford-Limousine, der Wagen fuhr an den Bordstein und hielt mit laufendem Motor. Kriminalbeamte sprangen heraus, verlangten seinen Ausweis. Das Westberliner Büro von Intourist, der sowjetischen Reiseagentur, war mit Anti-Ulbricht-Parolen beschmiert worden, Schuldige mussten ermittelt werden.

Einen Monat zuvor hatte Larsson im Walter-Ulbricht-Stadion, dort, wo heute die BND-Zentrale steht, eine Gruppe von Volkspolizisten fotografiert. Ein Herr im Plastikmantel packte ihn am Kragen, der Sachverhalt wurde auf einem Polizeirevier geklärt.

Bernard Larsson hat diese Begleitumstände seiner Arbeit notiert, weil ihm ihr "ganz alltäglicher Charakter" bemerkenswert schien. Die Episoden erhellten, "in welch bedrohlichem Ausmass der Einzelne in Berlin der Politik ausgesetzt ist". Er war in die Stadt gekommen, um "ein wirkliches Bild der Menschen in politischen Kulissen" zu geben.

Almuñécar, Costa del Sol, 1961. (Foto: bpk, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Bernard Larsson)

Wie überzeugend ihm dies gelungen ist, zeigt eine Retrospektive im Museum der Fotografie. Die rund 230 Aufnahmen, überwiegend aus Berlin, aber auch aus Paris, Spanien, Marokko, Warschau, vereinen sich zu einem Panorama der Jahre zwischen Mauerbau und Studentenbewegung. Neben Misstrauen und Bedrohung scheint auch der Aufbruchswille, die Lust am Neuen, am Freieren allgegenwärtig gewesen zu sein.

Bernard Larsson, 1939 in Hamburg geboren, hatte in München eine Fotografenausbildung absolviert und in Paris für Vogue gearbeitet. Als die Grenze zwischen Ost- und Westberlin erst mit Leibern und Stacheldraht, dann mit Betonplatten und Hohlblocksteinen abgeriegelt wurde, ließ er die Mode erst einmal Mode sein und zog in die Hauptstadt des Kalten Kriegs.

Ähnlicher als kurz vor dem Mauerfall

Ein schwedischer Pass erleichterte ihm die Arbeit in beiden Teilen. Er fotografierte Alltagsszenen, spielende Kinder, Schaufenster, Grenzbefestigungsanlagen, Erste-Mai-Kundgebungen in Ost und West, Staatschefs, Intellektuelle.

"Die ganze Stadt" hieß 1964 sein Buch mit Bildern aus dem zerrissenen Berlin. Michel Butor, ein Meister des Nouveau Roman, verfasste einen einleitenden Essay über den "zweifachen Blick". "Politische Fotos" versprach der Untertitel, weil Larssons Bilder selbst ein politisches Statement waren, Versuche einer Überwindung schroffer Gegensätze durch Perspektivenwechsel.

Ohne Passepartouts und Rahmen wurden die Abzüge für die wunderbar großzügig gehängte Ausstellung an die Wände gepinnt. Der Besucher kann - die Broschüre mit den Bildlegenden in der Hand - testen, ob er die Schauplätze in West und Ost richtig zuordnet. Sie sahen sich damals in vielem ähnlicher als kurz vor dem Mauerfall.

Larsson sucht exemplarische Bilder, Wirklichkeit

Die Losung, dass Privates politisch sein solle, ist mit vielen Fallstricken verbunden, aber vor Larssons Straßenszenen aus der ganzen Stadt versteht man, wieso gerade in Berlin aller Alltag politisch scheinen musste.

Im Juni 1966 fotografierte Larsson das erste deutsche Sit-in in der Eingangshalle des Henry-Ford-Baus der Freien Universität. Seine Berlin-Fotos wirken nun journalistischer, stärker auf Ereignis und Aktualitäten bezogen, aber er ist nicht aufs Grelle aus. Larsson arbeitet mit Respekt für die Fotografierten, er sucht exemplarische Bilder, Wirklichkeit.

Sein bekanntestes Foto wurde das Bild des am 2. Juni 1967 vom Kriminalobermeister Kurras erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. "Er liegt am Boden, sofort erkennbar sein Gesicht . . . ", schrieb Uwe Timm 2005 über dieses Bild in seiner Erzählung "Der Freund und der Fremde": "Deutlich ist das Blut am Kopf und am Boden zu sehen. Es hätte in diesem Schwarzweiß eine Einstellung aus dem Film Der Tod des Orpheus von Cocteau sein können." Das war ein Lieblingsfilm Ohnesorgs.

Bereits im Juli 1967 waren Larssons Fotos der Demonstrationen, Proteste und Polizeiaktionen in der Galerie Hammer im Europa-Center zu sehen. Der Chronist, der sich unvoreingenommen dem Zugriff des Politischen ausgesetzt hatte, war zum Teilnehmer des politischen Lebens der Stadt geworden.

Bernard Larsson. Leaving is Entering. Fotografien 1961-1968. Eine Ausstellung der Kunstbibliothek im Museum für Fotografie, Berlin, Jebensstraße 2. Bis zum 8. Januar 2017.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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