Mecklenburg-Vorpommern:Wahlkampf in Schwerin: "Schwarz-Rot-Gold ist uns bunt genug"

Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern

Politikwerbung auf drei Ebenen: Ein von AfD-Gegnern beschmiertes AfD-Plakat, das erneut von AfD-Anhängern übermalt wurde.

(Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Die Arbeitslosigkeit ist halbiert, Flüchtlinge gibt es kaum. Doch die AfD tut so, als drohe Mecklenburg-Vorpommern der Untergang. Jede fünfte Stimme könnten die Rechtspopulisten bekommen.

Von Peter Burghardt, Schwerin

Das schöne Schwerin ist eine Reise wert, die Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den Prachtstücken der Region. Die Stadt am See will sich auch diese Frau aus Travemünde mit ihrer Familie ansehen, doch an einem sonnenbestrahlten Nachmittag wundert sie sich erst mal über die Groteske auf dem Marktplatz.

Vor ehrwürdigen Fassaden beschwört die Alternative für Deutschland (AfD) den Untergang der Nation herauf, beleidigt führende Bundespolitiker und verspricht altdeutsche Rettung. "Da kriegt man 'ne Gänsehaut", sagt die entsetzte Passantin, als Björn Höcke seine Brandrede abliefert. Jede fünfte Stimme könnten diese Leute bekommen? "Ist ja beängstigend."

Tatsächlich verwandeln die Rechtspopulisten ihre Auftritte für die Landtagswahlen am 4. September in skurrile Panikattacken. Wie üblich hat die AfD ihre "Eurowehr" aufgestellt, ein Feuerwehrauto mit ausgefahrener Leiter, an der ein Parteibanner mit der Aufschrift "Unser Land, unsere Heimat" hängt. Neben dem Bühnenanhänger stehen die gewohnten deutschen Flaggen.

Die AfD könnte künftig sogar die Opposition im Schweriner Schloss anführen

Ein Referent verkündet, Schwarz-Rot-Gold sei "uns bunt genug". Zwischen den Altstadthäusern hallen Begriffspaare wie "Totalversagen der Altparteien", "unkontrollierte Masseneinwanderung", "kaputtes System", "bürgerliche Patrioten", "asylpolitischer Amoklauf", "Politik für das eigene Volk" et cetera. Es klingt alles schwer nach Katastrophe, in der es nach Ansicht der AfD für das Vaterland natürlich nur eine Lösung gibt.

"Noch ist Deutschland nicht verloren", brüllt der Stargast Höcke aus Thüringen ins überschaubare Publikum aus vielleicht 250 Menschen. "Liebe Mecklenburg-Vorpommer, ihr könnt hier Geschichte schreiben. Und wenn wir stärkste Kraft werden, dann habt ihr Geschichte geschrieben", Höckes Stimme überschlägt sich. "Tut es!"

Prognosen trauen der Formation in diesem Bundesland 19 Prozent zu. SPD (26) und CDU (23) liegen laut Umfragen nicht sehr weit davor, die Linke (16) liegt dahinter. Die AfD wird nicht nur in das neunte Landesparlament einziehen - sie könnte künftig sogar die Opposition anführen im Schweriner Schloss, der größten Attraktion der Stadt, ja dem prächtigsten Abgeordnetenhaus der Republik.

Die NPD macht der AfD keine direkte Konkurrenz

Das würde die politischen Verhältnisse auf der Schlossinsel erheblich verändern, was auch vom Abschneiden einer noch radikaleren Partei abhängt. Die NPD sitzt seit 2006 in dieser früheren Herzogsresidenz. Erst hatten die Rechtsextremen sechs Sitze, seit 2011 sind es fünf. Diesmal wird es mutmaßlich knapp, außerdem läuft ein Verbotsverfahren am Bundesverfassungsgericht. So plakatiert die NPD zwar ähnlich eifrig wie die AfD, auch sind manche Sprüche kaum zu unterscheiden. Die NPD hat aber keinen einzigen Direktkandidaten aufgestellt, macht der AfD bei den Erststimmen also keine Konkurrenz.

Es gebe da "ja einige ordentliche Leute", findet der NPD-Funktionär David Petereit, der 2015 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Auch schloss der AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm in einem Interview nicht aus, dass die AfD mal mit der NPD stimmen würde, wenn "die mal einen sachorientierten Antrag einreichen". Bislang ließen alle Parteien im Schweriner Landtag die NPD konsequent ins Leere laufen.

Redner beschwören den Untergang Deutschlands herauf

Der vormalige Radiomoderator Holm soll offenbar irgendwie gemäßigt rüber kommen, das misslingt bereits bei seiner Vorstellung. Man brauche "weniger Hassprediger wie einen Ralf Stegner in der SPD", präsentiert ihn ein Sprecher, was angesichts der Debatte über Hassprediger in Moscheen eine Unverschämtheit ist. Der Ökonom Holm geißelt dann "die inländerfeindliche Politik", die Deutschland "unaufhörlich Richtung Abgrund" lenke. "Wenn Frau Merkel nicht mehr in der Lage ist, die Grenze zu schützen, dann soll sie zurücktreten und uns das überlassen", ruft Holm. Auch erinnert er wieder an die Wende, das passt zum Frust vieler Wähler. "1989 hat gezeigt, dass wir gemeinsam etwas Großes bewegen können!" Holm war damals 19 Jahre alt.

Es folgt der Hauptredner, der wie ein Heilsbringer präsentiert wird: "Björn Höcke, bitte sprechen Sie zu uns!" Höcke lädt zu Strafanzeigen gegen die trillerpfeifenden Demonstranten zu seiner Linken ein und will außer einer Zeitung der "Lügenpresse" auch jene Politgegner anzeigen, die sich den beurlaubten Lehrer Höcke nicht mehr als Pädagogen im Staatsdienst vorstellen wollen. Er soll über Bildung sprechen, obwohl er den Gesamtkollaps wittert: "Wir brauchen uns nicht mit dem Räumen des Gehwegs vom Schnee beschäftigen, während am Hang über uns eine Lawine zu Tal geht!"

Zur Bildung hört man von ihm Thesen wie: "Gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen. Mit Blick auf unsere Schulen müssen wir sagen, unsere Gesellschaft ist sterbenskrank!" Oder, man sieht die Pickelhauben zurückkehren: "Ja zu preußischen Tugenden!" Oder: "Hände weg von den Seelen unserer Kinder!" Oder: "Der Mensch aber, und das ist eine anthroposophische Konstante, ist auf Orientierung angelegt."

Björn Höcke nennt Merkel "Trulla aus der Uckermark"

In Höckes Deutschland wüten "Gendermainstream", "Akademisierungswahn" und "ideologische Indoktrination". Die Kleinen würden in Kitas "hypersexualisiert". Kanzlerin Angela Merkel nennt er "die Kanzlerdiktatorin" und "Trulla aus der Uckermark". Die Grünen sind für ihn stets "von der pädophilen grünen Partei". Der SPD-Stegner ist bei ihm "Pöbel-Ralle".

Da klatschen auch ein paar Tätowierte mit offenkundig rechter Gesinnung sowie ein Anhänger, auf dessen T-Shirt "Großdeutschland - Gott, Ehre, Vaterland" zu lesen ist. Angekündigt wird noch der Besuch des früheren tschechischen Präsidenten Václav Klaus, der die AfD mag und dem Kreml nahesteht. Am Ende singen die bürgerlichen Patrioten die Nationalhymne. Begeistert sind die AfD-Freunde, für die Mecklenburg-Vorpommern ohne AfD zusammenbräche, obwohl die Arbeitslosigkeit hier halbiert wurde und es in dieser Gegend kaum Flüchtlinge oder sonstige Ausländer gibt, dafür umso mehr Touristen. Die Urlauberin aus Travemünde zieht erschrocken ab, sie wird sich sicher trotzdem das Schweriner Schloss ansehen.

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