München:"Fische sind vorbildlich"

München: Der Physikprofessor Michael Schreckenberg, 59, von der Universität Duisburg-Essen erforscht das Wesen des Staus - und daran, ihn vorherzusagen.

Der Physikprofessor Michael Schreckenberg, 59, von der Universität Duisburg-Essen erforscht das Wesen des Staus - und daran, ihn vorherzusagen.

(Foto: oh)

Stau- und Verkehrsforscher Michael Schreckenberg setzt auf moderne Kommunikationssysteme in den Fahrzeugen - nach Modellen aus dem Tierreich

Interview von Ulrike Schuster

Auf die Autofahrer kommen wieder schwierige Zeiten zu. Bis am kommenden Montag, 5 Uhr morgens, wird die A 8 zwischen Neubiberg und Ramersdorf in Richtung München komplett dicht gemacht. Die Arbeiten haben bereits am gestrigen Freitagnachmittag begonnen. Die Strecke wird mit lärmminderndem Fahrbahnbelag versehen. Die Autobahndirektion hat sich für eine "schnelle, konzentrierte Aktion" entschieden. Konkret heißt das: Rund-um-die-Uhr-Arbeit und Vollsperrung auf der 1,8 Kilometer langen Strecke. Die Umleitung erfolgt von Neubiberg über die Unterhachinger Straße mit beschranktem Bahnübergang und die Ottobrunner Straße bis zum Mittleren Ring. Das bedeutet möglicherweise Stau, wenn auch vielleicht nicht rund um die Uhr. Wie Autofahrer damit umgehen sollten, und warum die Ausweichroute des Navigationssystems nicht immer die klügste ist, erklärt Michael Schreckenberg, Stauforscher an der Universität in Essen.

SZ: Stellen Sie sich vor: Sie sind an diesem Freitagabend auf der A 8 vom Kreuz Süd nach München unterwegs und kurz vor Neubiberg leuchten die Warnschilder. Vollsperrung. Sie müssen runter von der Autobahn. Was denken Sie?

Michael Schreckenberg: Wäre ich doch anders gefahren! Hätte ich vorausschauend geplant, hätte ich die Baustelle großräumig umfahren. Die Krux ist nur: Auf der A 8 hat man nicht viele Möglichkeiten, auf andere Autobahnen auszuweichen. Da gibt es nur Landstraßen mit schönen Landschaften, nett anzuschauen, aber man verliert Stunden.

Sollte man lieber der Umleitung oder dem Navi vertrauen?

Die meisten werden blind aufs Navi hören. An der Richtung, in die die Audis und BMWs abbiegen, lässt sich erkennen, welches Navigationssystem sie haben, ob ein Tom Tom oder Navigon drin steckt. Jede Marke zeigt allen Nutzern die gleichen Informationen und damit die gleiche Ausweichstrecke und produziert damit den Stau gleich mit. Die Software muss klüger sein, wir müssen autarke Systeme programmieren. Das Ziel heißt, die Fahrzeuge stimmen sich untereinander ab, sagen sich: du fährst da lang, ich dort lang. Alternativ könnte auch ein Zufallsgenerator im Fahrzeug eine bestimmte Route zuweisen. So würden sich die Autos verteilen.

Also schalte ich das Navi besser aus?

Weil alle eines haben, hat kaum einer einen Vorteil. Verkehr ist ein Minoritäten-Spiel: Derjenige gewinnt, der die Strecke mit den wenigsten Teilnehmern wählt.

Der ADAC-Stauprognose sollte man also nicht folgen?

Genau. Die haben alle gelesen. Man sollte sich immer fragen: Was werden wohl die anderen machen und dann das Gegenteil tun. Ich fahre immer die Strecke, vor der am meisten gewarnt wird.

Wenn andere die gleiche Idee hatten und Sie feststecken. Bleiben Sie drauf oder fahren Sie runter von der Autobahn?

Wenn möglich bleibe ich drauf. Ein normaler Überlastungsstau hat im Schnitt eine Stop-and-go-Geschwindigkeit von 10 Kilometern pro Stunde, das macht bei fünf Kilometern 30 Minuten mehr Fahrzeit. Beim Runterfahren - was die Mehrheit tut - verliert man viel mehr Zeit. Bloß, die meisten wissen es nicht, weil sie ja nicht wissen, wie es andersherum gewesen wäre.

Sollte man auf der rechten oder der linken Spur bleiben?

Rechts bleiben. Auch das machen die wenigsten. Die meisten wollen nach links, weil sie Angst haben, hinter den Lkws nicht mehr raus zu kommen. Zudem gibt uns links das bessere Gefühl, nämlich an den anderen vorbeizuziehen. Rechts macht uns glauben, abgehängt zu werden. Das täuscht. Die ständigen Spurwechsler müssen sich nur nach einer halben Stunde umsehen, um festzustellen: Der rote Volvo ist immer noch neben mir.

Welche Ergebnisse haben Sie über die Ursachen? Produzieren wir Stau durch falsches Fahren selbst?

Bis zu zwanzig Prozent sind menschengemacht. Man könnte tatsächlich eine Person für eine Stauwelle verantwortlich machen. Ein nur kurzes Auf-die-Bremse-Treten, hat in mancher Situation einen enormen Effekt.

Und der große Rest?

60 bis 70 Prozent sind Überlastungsstaus. Jede Straße hat nur eine bestimmte Kapazität, im Schnitt können maximal 1800 Fahrzeuge pro Stunde über eine Spur rollen. Irgendwann ist halt Ende.

Das heißt, auch wenn wir optimal fahren und es keine Baustellen gibt, kommt es zum Stau?

Richtig, ein Stau ist etwas ganz Natürliches. Zu stehen und zu warten, ist aber auch nicht das Dramatische. Entscheidend ist: Komme ich rechtzeitig an? Es geht um Planungssicherheit. Schaffe ich die Fähre? Bin ich pünktlich auf der Arbeit?

Unterscheidet sich der Urlauber im Stau vom Pendler im Stau?

Pendler agieren meist kooperativer, ziehen an einem Strang, weil alle das gleiche Ziel haben: so schnell wie möglich zur Arbeit kommen. Der Urlauber fährt weniger zweckorientiert, er erwartet den Stau nahezu; bleibt der aus, ist man enttäuscht; als hätte man etwas falsch gemacht. Stau ist für den Urlauber nicht Nervensäge, vielmehr die Tür durch die man muss, bevor man sich erholen darf. Und überhaupt, was wäre eine Fahrt ohne schreiende Kinder, mit denen man "Ich sehe etwas, was du nicht siehst" spielen muss?

Viele Eltern würden das vielleicht lieber direkt am Strand als im Auto spielen. Aber wenn Sie keine Staus verhindern können, woran arbeitet ein Stauforscher dann überhaupt?

Das Ziel ist, so genau wie möglich vorherzusagen, wann und wo ein Stau entstehen wird, ähnlich einer Wetterprognose. Dafür simulieren wir menschliches Fahrverhalten am Computer und schauen uns die Tiere an.

Von welchen Tieren können wir lernen?

Fische sind vorbildlich. Sie schwimmen im Schwarm, sie arbeiten miteinander. Jeder Fisch hat seine fünf nächsten Nachbarn im Blick, zu denen hält er den immer gleichen Abstand. Sobald wir dieses Schwarmverhalten programmieren und die Fahrzeuge über Wlan miteinander kommunizieren können, ist viel Zeit und Nerv gewonnen.

Haben Sie schon mal einen Stau gesucht und keinen gefunden?

Für die Sendung mit der Maus, 1996. Wie ein Stau entsteht, habe ich dann auf dem Spielplatz gezeigt. Das erste Kind musste die Rutsche runter, unten sitzen bleiben und alle anderen hinten drauf.

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