Mythos des Monats:Ist "Urgetreide" bekömmlicher als Weizen?

Bäckerei Kornprobst in Hilgertshausen, 2015

Frische Dinkelbrote schmecken gut - ob sie auch bekömmlich sind, hängt stark von der Zubereitung ab

(Foto: Niels P. Joergensen)

Brotsorten aus "Urgetreide" wie Dinkel und Einkorn liegen im Trend, angeblich sind sie besser für die Verdauung. Was ist dran an der Behauptung?

Von Christoph Behrens

Bei den Jägern und Sammlern war die Welt der Ernährung noch in Ordnung. Zumindest wenn man Bestsellern wie "Weizenwampe - Warum Weizen dick und krank macht" glaubt. Denn vor einigen Tausend Jahren litten die Menschen noch nicht unter dem Joch des "genetisch veränderten, modernen Weizens", wie der Autor William Davis darlegt. Seiner Meinung nach ist das Getreide verantwortlich für Übergewicht, Diabetes, Alzheimer, Herzleiden, Hautveränderungen und Nervenkrankheiten - also jede Menge Übel der Moderne.

Wissenschaftlich sind die meisten Schlussfolgerungen zwar unhaltbar, doch die Anti-Weizen-Gurus treffen offenbar einen Nerv. Vier der sechs aktuell bestverkauften Lebensmittel-Ratgeber auf Amazon beschäftigen sich mit den vermeintlich schädlichen Auswirkungen von Weizen. "Da wird ziemlich viel Humbug getrieben", sagt Wolfgang Holtmeier, Gastroenterologe am Krankenhaus Köln-Porz. "Das führt zu einer großen Verunsicherung und Angst unter Verbrauchern."

Die Furcht vor dem Weizen geht nun in eine neue Phase über, eine Sehnsucht nach "Urgetreide" wie Emmer, Dinkel, Einkorn und Durum. Die Sorten, die teilweise schon vor 9000 Jahren angebaut wurden, gelten Befürwortern als ursprünglicher und auch gesünder. "Vollgepackt mit gesunden Inhaltsstoffen, geben sie unserem Körper Energie und bringen Leichtigkeit und Licht in unseren Alltag", lobt der Ratgeber "Superkörner", der im selben Verlag wie "Weizenwampe" erschienen ist. Selbst der Kellog's Konzern, gemeinhin Zielscheibe der Weizen-Kritiker, bietet mittlerweile die Cornflakes-Serie "Urlegenden" an, bestehend aus "uralten, wertvollen Getreidesorten, die bereits in Kulturen vergangener Zeiten verzehrt und geschätzt wurden".

Eine der Hoffnungen ist, dass die alten Getreidesorten schonender für die Verdauung sind. So schwören vor allem Personen, die unter dem sogenannten "Reizdarm-Syndrom" leiden, auf Brote aus den Ursorten. Typische Symptome wie Blähungen, Durchfall und Krämpfe könnten so gelindert werden, wird in Foren berichtet. Ernährungswissenschaftler der Universität Hohenheim sind diesen Hinweisen nun analytisch auf die Spur gegangen.

Für Urgetreide-Freunde ist das Ergebnis zunächst enttäuschend: In den entscheidenden Bestandteilen unterscheiden sich Urgetreide wie Dinkel und moderne Weizensorten kaum, berichten die Forscher im Fachmagazin Journal of Functional Foods (Bd. 25, 2016, S. 257-266). Vielmehr sei wohl die Art des Brotbackens entscheidend dafür, wie bekömmlich die Backwaren am Ende sind.

Die Ernährungswissenschaftler konzentrierten sich für die Studie auf sogenannte Fodmaps - die Abkürzung steht für kurzkettige Zuckerverbindungen wie Fruktane und Galaktane, die in Getreide, aber auch in vielen Obst- und Gemüsesorten enthalten sind. Den allermeisten Personen bereiten die Stoffe keine Beschwerden, bei Personen mit Darmerkrankungen stehen sie allerdings in Verdacht, Blähungen und Krämpfe auszulösen. Eine aktuelle Übersichtsarbeit italienischer Forscher kommt zum Ergebnis, dass eine Fodmap-arme Kost relativ vielen Patienten Linderung bringt und daher weitgehend risikofrei ausprobiert werden kann.

Ruhezeit des Teigs scheint entscheidend zu sein

Überraschenderweise fanden die Hohenheimer Forscher gerade im Einkorn einen hohen Gehalt an Fodmaps, höher noch als im untersuchten Weizen. In Emmer, Dinkel und Durum lagen die Werte zwar darunter, "aber nicht in dem Maße, dass sich daraus die von vielen Reizdarmpatienten berichtete Linderung erklären lässt", schreiben die Wissenschaftler.

In einem zweiten Schritt buken sie mit alten und neuen Sorten Brote und untersuchten diese erneut. Der Gehalt an Fodmaps schien dabei weniger von der Getreidesorte abzuhängen, sondern vielmehr von der Ruhezeit des Teigs: Je länger die Forscher den Teig gehen ließen, bevor er in den Ofen wanderte, umso niedriger war später der Gehalt an Fodmaps im Brot.

Dies könnte nach Ansicht der Ernährungswissenschaftler erklären, warum sich viele mit den ursprünglichen Broten wohler fühlen: Denn diese werden häufig in kleineren Bäckereien gebacken, in denen der Teig manchmal mehr als vier Stunden ruht. Großbäckereien backen die Teiglinge dagegen häufig schon nach einer Stunde Gehzeit - zu diesem Zeitpunkt waren laut der Analyse die meisten unverträglichen Kohlenhydrate im Teig enthalten. "Nicht der Weizen selbst erscheint uns als unverträglich, sondern die Art und Weise, wie wir daraus Brot bereiten, trägt zu dessen Verträglichkeit bei", schreibt Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt Hohenheim.

"Alles was alt ist, ist irgendwie besser"

Ernährungsmediziner Holtmeier schränkt allerdings ein: "Ob eine Fodmap-arme Kost die einzige Lösung für Patienten mit Reizdarm ist, wage ich zu bezweifeln." Was jemandem mit empfindlicher Verdauung helfe, müsse man im Einzelfall herausfinden, zum Beispiel mithilfe einer ärztlichen Befragung und einer anschließenden Ernährungsberatung. Meist reiche schon eine Reduzierung bestimmter Nahrungsmittel, ein Ausprobieren, was hilft und was nicht.

Zur Frage, ob der Verzehr von Urgetreide verträglicher ist, gebe es bislang keine aussagekräftigen Studien am Menschen, betont Holtmeier. Das bedeute auch, dass die meisten Werbeversprechen für Urgetreide völlig haltlos seien. "Das ist vor allem eine Mode: Alles was alt ist, ist irgendwie besser", sagt Holtmeier.

Belege dafür, dass neuere Züchtungen per se schlechter und ältere besser wären, fanden auch die Hohenheimer Forscher nicht. Eher sehen sie ihre Arbeit als Plädoyer für "Slow Baking", also das langsame Backen von Brot. Dadurch könnten sich auch die Aromen besser entfalten, so Getreidezüchter Longin. "Eine langsamere Teigbereitung erhöht die Brotqualität."

In der Serie "Mythos des Monats" beleuchtet die SZ-Wissensredaktion, was hinter kuriosen Meldungen aus Medizin, Biologie und Forschung steckt.

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