US Open:Tennis, du seltsames Spiel

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Sabine Lisicki agierte in dieser Saison wie jemand, dem die Angebetete vom Fenster aus einen Kübel Wasser über den Kopf kippt. (Foto: Gepa/Imago)
  • Andrea Petkovic, Carina Witthöft und Angelique Kerber gewinnen ihre Erstrunden-Partien bei den US Open.
  • Nur Sabine Lisicki wirkt nach ihrer Niederlage ratlos.
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Von Jürgen Schmieder, New York

Natürlich ist es nichts weiter als eine heitere Nichtigkeit, wenn sich Andrea Petkovic nach ihrem Sieg gegen Kristina Kucova den Zeigefinger gegen die Schläfe drückt und für exakt 1,3 Sekunden mit den Hüften wackelt. Man kann so was affig finden, es kann aber auch zu zwei der drei wichtigsten Erkenntnissen führen, die einen das Leben so lehrt: dass eine heitere Nichtigkeit niemals nichtig ist und dass die Liebe ein seltsames Spiel ist, die vom einen kommt und zum anderen geht und einem alles nehmen kann.

"Tennis und ich - das war in diesem Jahr eine ziemlich einseitige Liebe", sagte Petkovic später, die seit Februar nur ein Mal die dritte Runde eines Turniers erreicht und bisweilen gleich die erste Partie verlor. Tennis ist ebenfalls ein seltsames Spiel, das den Verlierern alles nimmt und den Siegern zu viel gibt: "Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, dass dieses Jahr so gelaufen ist, weil ich so herausgefunden habe, dass ich Tennis wirklich liebe. Ich wünsche mir natürlich, dass ich auch irgendwann mal was zurück bekomme."

"Sehen Sie sich doch Angelique Kerber an", sagt Petkovic

Petkovic, 28, hatte am Ende der vergangenen Saison nach einer 0:6, 0:6-Niederlage im chinesischen Zhuhai ihre Karriere beenden wollen, weil Tennis für sie von einem seltsamen Spiel zu einer depressiven Angelegenheit geworden war: "Ich habe entschieden, dass dies das Leben ist, das ich führen möchte. Ich trainiere wie eine Verrückte, doch das macht mir Spaß und ich werde langsam auch dafür belohnt." Sie sprach ein wenig wie der verzweifelte Verliebte, der unter dem Fenster der Angebeteten ein Liedchen trällert - und sich schon darüber freut, wenn die holde Maid nicht gleich die Fensterläden zuknallt.

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"Privat würde ich so was nie machen", sagte Petkovic nun: "Ich brauche ein paar Siege, damit ich mehr Partien spielen kann. Es gibt Automatismen, die kann man nicht trainieren - wie beim Satzball im ersten Durchgang: Ich habe den Ball mit der Rückhand einen halben Meter ins Aus geprügelt. Hätte ich schon zwei Matches gespielt, dann hätte ich diesen Ball sicher reingespielt." Das klang freilich wie der glücklose Stürmer beim Fußball, der behauptet, dass er bald wieder ganz viele Tore schießen werde, wenn er endlich mal wieder ein Tor schießt: "Sehen Sie sich doch Angelique Kerber an: Die spielt gerade immer den richtigen Ball, weil sie das Selbstbewusstsein dazu hat."

Kerber musste an diesem Montag gar nicht mal so viele richtige Bälle spielen - bereits nach 39 Ballwechseln war ihre Partie im Arthur Ashe Stadium vorbei, weil ihre Gegnerin Polona Hercog (Slowakei) beim Stand von 0:6, 0:1 aufgab. "Natürlich will ich niemals eine Partie so beenden, angesichts der Hitze ist es jedoch gar nicht so schlecht, Kräfte zu sparen", sagte Kerber danach. Sie musste bei Temperaturen von 35 Grad im Schatten nur 33 Minuten auf dem Platz stehen.

Eine Nichtigkeit, doch bei einem Turnier, bei dem das Thermometer zwei Wochen lang jeden Tag jeweils mehr als 30 Grad im Schatten anzeigen soll und an dessen Ende Kerber, 28, zum ersten Mal in ihrem Leben auf Platz eins der Weltrangliste geführt werden könnte, ist nichts nichtig: "Ich habe meinen Rhythmus gefunden, Kräfte gespart - und die Gewissheit bekommen, dass ich derzeit richtig gutes Tennis spiele", sagte sie.

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So reden Menschen, denen dieses seltsame Spiel alles gibt. Carina Witthöft war auch so ein Beispiel, sie hatte gerade gegen die an Rang 30 gesetzte Misaki Doi (Japan) 6:4, 6:1 gewonnen: "Ich fühle mich gut, mir macht die Hitze nichts aus, der Plan für diese Partie hat funktioniert. Ich bin frisch und freue mich nun auf das nächste Spiel." Ähnlich wird es auch Annika Beck gehen, auch wenn sie am Dienstag leichte Probleme hatte beim 7:6 (8:6), 6:3 gegen die argentinische Qualifikantin Nadia Podoroska. Gegnerin von Witthöft wird nun Julia Putintsewa aus Kasachstan sein, mit der sie bei den US Open im Doppel antritt und die Sabine Lisicki im Einzel 6:1, 6:2 besiegte.

Das führt zu jenen Personen, denen das seltsame Spiel alles nimmt. Lisicki agierte in dieser Saison wie jemand, dem die Angebetete vom Fenster aus einen Kübel Wasser über den Kopf kippt. Sie erreichte nur zwei Mal die dritte Runde bei einem Turnier, sie trennte sich erst von Trainer Christopher Kas, dann von Trainer Salvador Navarro - und wegen ihrer Niederlage wird sie nach den US Open aus der Gruppe der besten 100 Spielerinnen der Welt fallen.

Zu allem Überfluss tauchte Kas mit Lisickis ehemaligen Lebenspartner Oliver Pocher (unter dem Namen "Oliver Poacher" als Betreuer von Mona Barthel akkreditiert) auf der Anlage in Flushing Meadows auf. Lisicki wurde gefragt, welchen Begriff sie denn dieser Saison verleihen würde, als Antworten wurden "zum Vergessen", "zum Lernen" und "beschissen" genannt. "Alles zusammen", antwortete Lisicki: "Welche schlechten Worte fallen Ihnen noch ein?"

Fehlt noch die dritte Erkenntnis, die einen das Leben so lehrt. Sie besagt, dass aller Ehrgeiz nur Haschen nach dem Wind ist. Andrea Petkovic, mit der es das Tennis nicht besonders gut gemeint hat in diesem Jahr, trifft in der zweiten Runde auf die Schweizerin Belinda Bencic. Deren vergangenen Wochen lassen sich auch aufgrund einer Verletzung am Handgelenk mit den Lisicki-Begriffen beschreiben, nach ihrem mühevollen Sieg in der ersten Runde sagte sie, dass sie öfter gewinnen müsse, um wieder öfter gewinnen zu können. Das ist das Wunderbare an diesem seltsamen Spiel: Es wird am Mittwoch eine verlieren. Es wird aber auch eine gewinnen.

© SZ vom 31.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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