"Die Stadt als Beute" im Kino:Wenn Investoren dreckig lachen

Die Stadt als Beute

Was bleibt, wenn die "Stadt als Beute" verteilt ist und die neuen Luxuswohnungen stehen?

(Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH)

Vier Jahre lang hat Andreas Wilcke die Wildwest-Stimmung auf dem Berliner Immobilienmarkt dokumentiert. Sein Film "Die Stadt als Beute" zeigt, wie die Politik vor dem Markt kapituliert.

Von Alex Rühle

Auf der einen Seite Cornelia Hentschel. Sie lebt in der Wisbyer Straße, wobei sie momentan eher überlebt als lebt. Das Haus, in dem sie wohnt, wird saniert, sie ist geblieben. Gerade hat sie einen Wasserschaden, in der Wohnung über ihr wurden bei fließendem Wasser Rohre rausgerissen. Die Hausverwaltung ist nicht erreichbar. Irgendwann kommt ein Mitarbeiter der Berliner Feuerwehr und watet mit ihr durch das Desaster.

Auf ihren Satz, sie habe ein Recht darauf, dass ihre Wohnung unversehrt bleibe, antwortet der Mann achselzuckend, er sei da nicht der richtige Ansprechpartner. Außerdem: "Im Augenblick wird hier saniert, so ist ditt eben." Weg ist er. Und es bleibt die Frage im zerstörten Raum stehen, wer denn Ansprechpartner sein könnte für diese Frau. Und warum ditt eben so ist, wie es ist.

Schnitt. Das Maklerbüro Michael Schick Immobilien hat zu einer Präsentation ins Hotel Maritim eingeladen. Der alerte Mitarbeiter wirft Bilder einer alten Wohnung an die Wand und sagt mit fadendünnem Schmunzeln: "Typischer Fall: Querulantischer Altmieter zieht endlich aus. Der Eingangsbereich hat was von Bitterfelder Barock, das Bad ist nicht so, dass man da länger verweilen will. Was macht man damit? Bisschen Geld in die Hand nehmen, schön machen. Modernisierung ist die beste Kapitalanlage. Wir haben das für 21 000 Euro saniert. Wir dachten, wir kriegen 7,50 Euro für den Quadratmeter. Da hatten wir 30 Bewerber. Bei 8,50 hatten wir immer noch 15 Bewerber." Wer da nicht entmietet, ist selber schuld.

Das "empfehlenswerte Durcheinanderwohnen" aller Schichten? Längst vorbei

Schnitt. Dampferfahrt der SPD. Klaus Wowereit in seinem letzten Wahlkampf. Eine alte Frau klagt ihm ihr Leid, sie habe in ganz Berlin keine Zweizimmerwohnung finden können. Auch sie scheint auf der dringenden Suche nach einem Ansprechpartner zu sein und sagt zu Wowereit: "Hab vier Wohnungsämter abgeklappert. Die haben nichts mehr für mich." Wowereits Antwort: "Ja. Warum eigentlich nicht?" So als habe all das mit Politik schon lange nichts mehr zu tun.

Drei Szenen aus vier Jahren. Andreas Wilcke hat von 2011 bis 2015 den Berliner Immobilienmarkt beobachtet. Wobei das einerseits zu neutral, andererseits zu ruhig klingt. Der Titel des Films, "Die Stadt als Beute", zeigt schon eindeutig, auf wessen Seite der Dokumentarfilmer steht. Beute ist wehrlos, sie wird gerissen von hungrigen Raubtieren. Oder sie wird von Gangstern und Banditen zusammengerafft. Fragt sich, wo hier der Sheriff bleibt.

In Berlin herrscht Wildwest- und Goldgräberstimmung. Das sagen die Investoren und Bauherren in diesem Film alle, sie sprechen von dieser Stadt wie Gourmets von unfassbar reichhaltigen Menüs, die es in irgendeinem bizarren Restaurant noch immer zu Schleuderpreisen gibt. Einer der Makler zeigt zwei Londoner Investoren Wohnungen, pardon: "Einheiten" oder auch "Objekte", und zitiert dabei einen anderen britischen Kunden, der ihn ungläubig gefragt habe, ob das Haus radioaktiv verstrahlt sei, weil er sich den Preis anders nicht erklären konnte. Alle drei lachen ein derart dreckiges Lachen, das man in einem Spielfilm sagen würde, vielleicht doch etwas überzeichnet.

Wohnungen sind kein Zuhause, sondern ein Spekulationsobjekt

Man fragt sich ohnehin, wie Andreas Wilcke all diese Investoren, Makler, Bauherren dazugebracht hat, so vor seiner Kamera zu reden, wie sie das tun. Wohnungen sind kein Zuhause, sondern ein Spekulationsobjekt, es gibt hier auch kein Recht mehr auf Wohnen, man muss es sich leisten können. Deutsche Städte waren, spätestens seit der preußische Stadtplaner James Hobrecht 1868 das Ziel vom "empfehlenswerten Durcheinanderwohnen" aller Schichten ausgab, stets Integrationsmotoren.

Auch in der Wohnungswirtschaft der BRD war das sogenannte Durchmischungsideal zutiefst verwurzelt - und so ziemlich jeder deutsche Kommunalpolitiker hat mal den Satz gesagt von der Stadt, die doch für alle da sein solle. Gerade für Berlin galt diese Devise noch, als München schon komplett durchgentrifiziert war. Dieser altbewährte urbansoziologische Vertrag wird in diesem Film von Seiten der Bauwirtschaft und Investoren so aggressiv wie selbstverständlich aufgekündigt. Geradezu pikiert und ungeduldig fragt Thilo Freiherr von Stechow, Vorstandsmitglied der GSW, einmal: "Muss denn ein Hartz-IV-Empfänger am Potsdamer Platz wohnen?"

Schicksale wie das der eingangs erwähnten Cornelia Hentschel sind Kollateralschäden, der Kampf gegen sie lästige Rituale, die von vornherein miteingepreist werden. "Ansprechpartner" haben sie den ganzen Film über nicht. Das Erschütterndste an Wilckes Langzeitdokumentation ist, wie sprach- und hilflos die Politiker sind.

Was schaffen die Investoren? Architektonische Monokultur, totale Kleinstadtdepression

Besonders Michael Müller, der während der Dreharbeiten Senator für Stadtentwicklung war, hat keine Antwort auf gar nichts. Der Mann ist heute Regierender Bürgermeister, im September will er wiedergewählt werden. So wie es aussieht, wird es danach kaum besser werden: Müllers Nachfolger als Stadtentwicklungssenator, Andreas Geisel, machte kürzlich erst wieder den Grußaugust für die Bauwirtschaft: Als die Bauwert, einer der deutschen Großinvestoren, zum Richtfest für die Kronprinzengärten lud, hielt er die Begrüßungsrede - direkt neben der durch die Bauarbeiten schwer demolierten Friedrichswerderschen Kirche.

Wenn aber die Politiker derart sprachlos bleiben, müsste der Film, statt sich immer neu in elegisch-impressionistischen Abrissbildern zu ergehen, selbst aggressiv weiterfragen: 1990 gab es in Berlin 350 000 Sozialwohnungen, heute sind noch 120 000 davon übrig. Wie konnte es passieren, dass Hunderttausende Wohnungen aus der Mietpreisbindung entlassen wurden - und, wie der Stadtsoziologe Andrej Holm kürzlich auf seinem hervorragenden "Gentrificationblog" vorrechnete, jetzt 130 000 Wohnungen für sozial Schwächere fehlen? Warum nützt ihnen die vor einem Jahr implementierte Mietpreisbremse so gar nicht? Was müsste die Politik tun, damit aus der "Beute", also Berlin und all den anderen Städten, endlich wehrhafte Gegner werden? Und was passiert, wenn genau die Studenten, Künstler, schrägen Typen, die das Ambiente herstellen, mit dem hier fortwährend geworben wird, sich das Viertel von dem Moment an nicht mehr leisten können, wo sie neue Wohnungskäufer angelockt haben?

Zumindest auf die letzte Frage gibt der Film eine niederschmetternde Antwort: Die Schlussbilder zeigen architektonische Monokultur, nagelneue pseudohistorisierende Kästen von der Stange, totale Kleinstadtdepression, mitten im angeblich so aufregend vielseitigen Berlin. Wenn diejenigen, die in diesen Würfeln wohnen, ihren Kindern einstmals Andreas Wilckes Frontbericht zeigen, werden die kaum verstehen, dass er von derselben Stadt redet, in der sie selber leben.

Die Stadt als Beute, D 2016 - Regie, Buch, Kamera: Andreas Wilcke. Schnitt: Jan Liedke, Steffen Bartneck. Tonmischung: Gerald Mandl. Musik: Rudolf Moser. Verleih: Wilckefilms, 82 Minuten.

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