Brasilien:Rousseffs Niederlage, Lulas Chance

Brasilien: Rousseff und Lula Da Silva: Sie sollte sein Lebenswerk fortführen.

Rousseff und Lula Da Silva: Sie sollte sein Lebenswerk fortführen.

(Foto: AFP)

Eine verschwörerische Altherren-Clique stürzt die linke Präsidentin Brasiliens. Am Ende könnte ausgerechnet ihr politischer Ziehvater, Ex-Staatschef Lula, wieder an die Macht kommen.

Kommentar von Boris Herrmann

Am Ende eines Amtsenthebungsverfahrens, in dem neben Dilma Rousseff auch die brasilianische Verfassung und die Demokratie verloren haben, könnte es zwei Sieger geben. Einer ist offensichtlich, der andere hält sich für seine Verhältnisse noch dezent im Hintergrund. Der erste heißt Michel Temer. Der zweite Luiz Inácio Lula da Silva.

Der ideologisch flexible Temer darf nun bis zu den nächsten Wahlen 2018 die viertgrößte Demokratie der Erde regieren, ohne jemals gewählt worden zu sein. Lula, Gründungsvater und graue Eminenz der brasilianischen Arbeiterpartei PT, saß bei Rousseffs letztem Verhör wie ein Maskottchen auf der Zuschauertribüne und kratzte sich am Bart. Da schaute einer dem Untergang seines Lebenswerkes zu, dem Ende der dreizehnjährigen Regierungszeit seiner Partei. So wurde das allgemeint interpretiert. Aber womöglich kommt das Requiem zu früh.

Ex-Präsident Lula könnte der Gewinner der Polit-Intrigen sein

Sicherlich, für den Moment sieht der 70-jährige Lula wie der größte aller Verlierer aus. Mit Rousseffs Abwahl endet nicht nur die linke Ära in Brasilien mit unbestreitbaren sozialen und bürgerrechtlichen Errungenschaften. Es fällt auch die wichtigste Bastion des lateinamerikanischen Linksrucks der zurückliegenden 15 Jahre. Lula da Silva war in beiden Fällen die Symbolfigur. Der Mann, dem alles zu gelingen schien.

Lula, der Brasilien von 2003 bis 2011 regierte und später Rousseff als Nachlassverwalterin einsetzte, war es in seinen besten Zeiten gelungen, seinem Volk einen Traum zu verkaufen. Die Regierungen der Arbeiterpartei hatten Millionen Brasilianer aus der Armut geholt. Gleichzeitig wuchs die Wirtschaftsleistung des Landes auf scheinbar wundersame Weise. Dieser Traum von einem Brasilien als prosperierendem Wohlfahrtsstaat, als Wachstumsmaschine der Südhalbkugel, hat sich längst in Luft aufgelöst. Die Krise der internationalen Rohstoffpreise trug ihren Teil dazu bei. Vieles muss sich dieses ehemalige linke Vorzeigeprojekt allerdings auch selbst zuschreiben.

Lulas PT beanspruchte ein Monopol auf die Sittlichkeit. Sie wollte alles besser machen als ihre korrupten Vorgängerregierungen. Einmal an der Macht, wurde sie so korruptionsanfällig wie alle anderen. Gegen Lula wird im Zuge der beispiellosen Schmiergeldaffäre rund um den staatlichen Erdölriesen Petrobras genauso ermittelt wie gegen Temer oder den konservativen Oppositionsführer Aécio Neves. Da die PT einst als Moralinstanz antrat, ist der Frust der Wähler in ihrem Fall aber besonders groß. Eine bittere Ironie des Impeachments ist, dass ausgerechnet Dilma Rousseff zu den wenigen Spitzenpolitikern im Land gehört, gegen die keine konkreten Korruptionsvorwürfe vorliegen. Auf solche Details nimmt der Lauf dieser Geschichte aber keine Rücksicht. Am Ende ihrer Regierungszeit scheint es für die Arbeiterpartei auch ums politische Überleben zu gehen.

Die doppelte Ironie des Impeachments ist nun, dass es ausgerechnet der PT neue Kräfte einhauchen könnte. In der tiefsten Wirtschafts-, Staats-, und Sinnkrise des Landes liefert dieses politische Tribunal dem Projekt Lulas einen neuen Erzählstrang: Wir sind die Opfer einer Verschwörung! Und das ist nicht einmal gelogen.

Offensichtlich, dass die Bilanztricks nur als Vorwand dienten

Es ist allzu offensichtlich, dass die Bilanztricks, die Rousseff in der Anklage zur Last gelegt wurden, nur als Vorwand dienten. Tatsächlich missbrauchte eine korrupte Altherren-Clique ein demokratisches Instrument, um ohne Wählerauftrag an die Macht zu gelangen. Nicht ganz grundlos sprach Rousseff in ihrem dreizehnstündigen Kreuzverhör immer wieder von einem "parlamentarischen Putsch". Damit ist die Argumentationsstrategie der PT für den nächsten Präsidentschaftswahlkampf bereits abgesteckt. Lula, immerhin fünf Jahre jünger als Temer, will dann wieder antreten.

Lula ist heute sowohl der beliebteste als auch der unbeliebteste Politiker Brasiliens. Keiner wird so viel verschmäht und verspottet wie der einstige Schlosser und Gewerkschaftsführer. Die aufblasbaren Lula-Puppen im Häftlingskostüm wurden zum Design-Klassiker der Straßenproteste gegen die Regierung Rousseff. Aber wenn man die Brasilianer derzeit fragt, wen sie zu ihrem Präsidenten wählen würden, dann liegt Lula da Silva in allen Umfragen vorne. Seit dem Beginn des Impeachment-Verfahrens sind seine Popularitätswerte sogar noch einmal gestiegen. Ideologisch wäre es an der Zeit, dass sich die lateinamerikanische Linke in die Gegenwart begibt. Wenn der alte Lula mit seiner untrüglichen Spürnase das rechtzeitig erkennt und wenn ihm die Korruptionsermittler keinen Strich durch die Rechnung machen, dann könnte es sein, dass mit der Abwahl der PT-Regierung gleichzeitig ihre Wiedergeburt beginnt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: