NSU-Prozess:Halbherzige Ermittlungen

NSU Trial Resumes After Summer Break

Mitangeklagter Carsten S.: Seinen Hinweisen ging das BKA wohl etwas lax nach.

(Foto: Getty Images)

Im NSU-Prozess offenbart ein BKA-Beamter, wie lax die Behörden teilweise ermitteln. Die Opferanwälte grillen den Zeugen Mirko Z. und fördern Interessantes zutage.

Aus dem Gericht von Oliver Das Gupta

Als am Mittwoch zum ersten Mal nach der Sommerpause wieder im NSU-Prozess verhandelt wurde, hofften viele, dass es nun endlich Antworten von Beate Zschäpe auf die vielen Fragen der Nebenkläger geben würde. Sie wurden enttäuscht. Stattdessen standen an den ersten beiden Prozesstagen - Nummer 306 und 307 - Hinweise von Carsten S. im Vordergrund.

Carsten S., ehemaliger Rechtsextremist aus dem Dunstkreis der NSU-Unterstützer, sitzt im Gerichtssaal ganz hinten, er ist auch ein Angeklagter, allerdings ein geständiger: Er hat den Ermittlern unter anderem davon erzählt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt angeblich eine Person angeschossen hätten. Doch wer war die angeblich getroffene Person?

F., ein Kriminaloberkommissar des Bundeskriminalamtes, antwortet knapp, aber in ganzen Sätzen. Er ging einem Hinweis von Carsten S. nach - wohl aber eher halbherzig. Zeuge F. schrieb in der Sache alle Landeskriminalämter an, Erfolg hatte die Suche nicht. Die Kriminalpolizei scheint etwas lax vorgegangen zu sein, so klingen zumindest die Ausführungen von F. Es mangelte an einheitlichen Kriterien, an Nachfragen, an Klarheit in der Kommunikation. Außerdem liefen die Ermittlungen parallel, möglicherweise ohne Wissen der Münchner Richter, kritisiert die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben.

Mirko Z. ist ein Zeuge, dem man seine Gesinnung ansieht

Der zweite Hinweis von Carsten S., dem das Gericht an diesem Donnerstag nachging, dreht sich um eine Schlägerei in Jena. Dazu ist Mirko Z. geladen. Z. ist ein Zeuge, dem man seine Gesinnung ansieht: Stiernacken, Muskeln spannen sich unter seinem Hemd, seine blank rasierte Kopfhaut glänzt. Besagte Schlägerei hat sich 1998 an einer Straßenbahnhaltestelle zugetragen, neben dem sogenannten Winzerclub in Jena-Winzerla.

In den neunziger Jahren haben auch Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos diesen Jugendclub besucht. Das war, bevor sie abtauchten, bevor sie sich "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) nannten, bevor die beiden Männer ihre Raub- und Mordzüge starteten, die zehn Menschen das Leben kosteten.

Eine Meldung der Ostthüringer Zeitung berichtete von einer Schlägerei an einer Straßenbahnhaltestelle in Winzerla. Der Artikel stützt die Angaben von Carsten S., sagt aber nur, dass es eine Prügelei gab. Carsten S. hingegen räumt ein, mitgeprügelt zu haben und nennt auch den Namen Wohlleben, der ebenfalls mitgemacht haben soll.

Was er noch von der Schlägerei an der Tramhaltestelle im Sommer 1998 wisse, fragt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Zeugen Z. "Kann mich nicht erinnern", sagt Z. So geht das die ganze Zeit. Auf viele Fragen sagt Z. "Ja" und "Nein", manchmal auch "Weiß ich nicht", "Kann sein" oder "Möglich". Doch seine Einsilbigkeit wird Mirko Z. nicht helfen, als die Anwälte der Nebenklage ihn ins Kreuzverhör nehmen.

Über den Angeklagten Wohlleben berichtet der Zeuge nur Gutes

Mirko Z. schickt sich am Donnerstag an, die Glaubwürdigkeit von Carsten S. anzukratzen. All die Fragen, die aus den Angaben von S. resultieren, beantwortet er nur vage. Ob "Kann sein", "Kann mich nicht erinnern" oder "Möglich" - Z. lässt sich die meisten Antworten regelrecht aus der Nase ziehen.

Über den Angeklagten Wohlleben berichtet der Zeuge, der Mitglied einer rechten Band war, nur Gutes. Plötzlich ist er etwas redefreudiger. Wohlleben habe er in Erinnerung als "ehrlich", "witzig", "nicht aggressiv", "immer ganz entspannt". Im "Braunen Haus", einem Treff der rechtsextremen Szene, habe man nicht über Politik gesprochen, sondern über "normale Dinge".

Unangenehm wird es für den einsilbigen Zeugen Z. am Donnerstag schließlich dank der Nebenklageanwälte, die die Hinterbliebenen der vom NSU bestialisch ermordeten Menschen vertreten.

Der Zeuge war schon als Besucher im Prozess

Sie bohren immer wieder nach - und fördern Erstaunliches zutage: So hat Z. bereits vor seiner Zeugenaussage den NSU-Prozess von der Besuchertribüne aus verfolgt. Und ist an diesem Tag mit Thomas G. angereist, einem Mitglied der sogenannten "Hammerskins", der ebenfalls schon mehrfach als Zeuge in München vorgeladen war. Z. wird zeitweise regelrecht gegrillt, zum Beispiel von der Anwältin Seda Basay.

Basay: Wann war Ihr letzter Kontakt zu Herrn Wohlleben?

Z.: 2010 vielleicht.

Basay: In welchem Zusammenhang?

Z.: Vielleicht bei einem Bier.

Damit legt sich Z. fest: Er habe nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 keinen Kontakt mehr zu Wohlleben gehabt. Basay beweist nun das Gegenteil. Die Anwältin nennt Z. zunächst einen Nutzernamen bei Facebook.

Basay: Barney, ist das bei Facebook Ihr Name?

Z: Ja, war mein Name.

Basay liest einen Facebook-Chat zwischen Wohlleben und Z. vom 24. November 2011 vor, also kurz nach dem Bekanntwerden des NSU. Wohlleben berichtet darin von Durchsuchungen: "Hab halt keine Rechner mehr, auch kein Telefon. Alles beschlagnahmt, auch alles." Z. antwortet: "Sinnlose Scheiße."

Die Anwältin zitiert aus einem anderen Chat, diesmal vom 22. November 2011. "Bist ja ein Nachrichtenstar", schreibt Z. darin an Wohlleben. Und: Die Ermittler "haben ja nichts in der Hand, außer telefonischen Kontakt". Später räumt Z. ein, er schreibe Briefe an Wohlleben.

Rechtsberatung im "Braunen Haus"

Eine bemerkenswerte Szene ist ihm schließlich noch zu verdanken: Z. erwähnt, dass im Beisein von Wohlleben "Rechtsschulungen" im "Braunen Haus" abgehalten worden seien. Wer da wen fragen konnte, will die Nebenklage wissen. Da interveniert Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders. Und auch sein zweiter Rechtsbeistand Olaf Klemke schaltet sich ein: "Für gewöhnlich unterscheidet man zwischen Politik und Recht, in diesem Land wohl nicht mehr!" Es kommt zu langwierigen Wortgefechten.

Moment mal, denkt da der Beobachter: Eine Rechtsanwältin, die früher in der NPD war und nun einen früheren NPD-Funktionär vertritt, will vermeiden, dass über Anwesende bei früheren Rechtsberatungen im "Braunen Haus" gesprochen wird - oder möglicherweise darüber, welche rechtskundigen Personen damals referiert haben? Aber vielleicht wäre das auch zu simpel gedacht.

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