Kommentar:Die Ich-Unternehmer wollen nicht für Deutschland spielen

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Mit dem Adler auf der Brust: Dustin Brown in Rio. (Foto: REUTERS)

Davis-Cup-Teamchef Kohlmann versucht ein Team gegen Polen zu nominieren und holt sich reihenweise Absagen ab. Allerdings kann man den Egoismus der deutschen Tennis-Männer verstehen.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Die Natur hat nicht jedem Sportler diese goldige Naivität überlassen, die sie aus Eimern über den Fußballspieler Niklas Süle gekippt hat. Der berichtete gerade mit leuchtenden Augen vom Anruf des Bundestrainers Joachim Löw, von diesem herrlichen Moment, als er zum ersten Mal in seinem Leben zur Nationalelf eingeladen wurde. Er war gerade an der Tankstelle.

Beim Tennis heißt der Nationaltrainer Davis-Cup-Teamchef, und der versucht gerade, eine möglichst brauchbare Mannschaft zu nominieren, um in zwei Wochen in Berlin gegen Polen den Abstieg in die Zweitklassigkeit zu verhindern. Michael Kohlmann benutzt dafür das Telefon, SMS, Whatsapp sowie die altmodische Variante des persönlichen Gesprächs. Zwischenstand: Der Einsatz von Philipp Kohlschreiber ist aufgrund einer Fußverletzung fraglich, Dustin Brown hat wegen eines lädierten Knöchels und anderer beruflicher Ziele abgesagt, Mischa Zverev möchte lieber Ranglistenpunkte sammeln. Und Bruder Alexander plant seine Laufbahn eh nach dem Handbuch für künftige Grand-Slam- Sieger, da passen ihm Sandplatzpartien mitten in der Hartplatzsaison nicht rein.

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Tennisprofis sind Einzelunternehmer, das gehört zur Struktur dieses Sports. Sie sind - auch finanziell - für ihre Karrieren verantwortlich, sie dürfen selbst entscheiden, wo sie antreten. Kohlschreiber und Brown, die beide während Olympia in Rio verletzt aufgegeben hatten, scheiterten bei den US Open nun in der ersten Runde - nahmen dafür aber je 43 313 US-Dollar mit; bei Brown kamen noch mal 15 150 Dollar fürs Doppel hinzu. Angeschlagen bei einem Grand-Slam-Turnier antreten? Warum nicht, wenn es sich dermaßen lohnt!

Man muss Kohlschreiber und Brown wegen ihrer US-Abenteuer, Alexander Zverev wegen seiner Sand-Unlust und seinem Bruder Mischa wegen seiner Jagd nach Tour-Punkten also nicht gleich groben Egoismus vorwerfen. Die Ich-mich-mir-Unternehmer brauchen aber auch nicht so zu tun, als wäre so eine Woche im Nationaltrikot stets ihr Kindheitstraum gewesen - wie sie das auch immer wieder gerne verbreiten. Brown etwa wollte bei Olympia gar nicht unbedingt für Deutschland antreten - er wollte für Deutschland unbedingt bei Olympia antreten. Auch das ist nachvollziehbar. Und kann frustrieren.

Michael Kohlmann nämlich. Der ist in New York gerade äußerst traurig. Es erschwert nicht nur seinen Beruf, wenn er aus lauter Einzelunternehmern ein Team formen muss - es macht ihn so gut wie unmöglich. Warum sich sein Verband, der DTB, am Spielort Berlin ausgerechnet auf Sand als Untergrund festlegen musste, offenbar ohne konkrete Rücksprache mit den wichtigsten Akteuren - das ist wieder eine andere Frage.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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