Start-up Bragi:Der Mann, der das Smartphone mit einem Kopfhörer killen will

Start-up Bragi: Smartphones sagt Nikolaj Hviid keine Zukunft voraus. Schon bald reiche ein Knopf im Ohr, meint er. Oder vielleicht doch eine Kontaktlinse? Auch daran sollen seine Entwickler arbeiten.

Smartphones sagt Nikolaj Hviid keine Zukunft voraus. Schon bald reiche ein Knopf im Ohr, meint er. Oder vielleicht doch eine Kontaktlinse? Auch daran sollen seine Entwickler arbeiten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit seinem Start-up Bragi baut Nikolaj Hviid kabellose Kopfhörer, die mitdenken. Er will mit Apple konkurrieren - und hofft, dass der Konzern heute die Kopfhörerbuchse abschafft.

Von Sonja Salzburger und Vivien Timmler

Lächelnd, fast zärtlich, schaut Nikolaj Hviid auf das schwarz glänzende Etwas herab, das da in seiner Handfläche ruht, kaum größer als eine Olive. Die kräftigen Hände des Tech-Gründers lassen es winzig wirken, noch winziger, als es ist. Behutsam nimmt Hviid es zwischen die Fingerspitzen und setzt es in sein rechtes Ohr. "The Dash" erwacht zum Leben.

Nikolaj Hviid ist der Gründer des deutschen Start-up Bragi. Anfang 2014 startete er eine Crowdfunding-Kampagne, die noch heute zu den erfolgreichsten in ganz Europa zählt. Über das Online-Portal Kickstarter sammelte er über eine Vielzahl von Geldgebern 3,4 Millionen Dollar ein. Investoren legten im November vergangenen Jahres noch einmal 22 Millionen Dollar drauf. Mit dem Geld entwickelte Hviid den ersten komplett kabellosen, smarten In-Ear-Kopfhörer der Welt - und machte damit selbst Konzerne wie Apple und Samsung so richtig nervös.

Es wäre nämlich nur die halbe Wahrheit, "The Dash" als Kopfhörer zu bezeichnen. Das 13 Gramm leichte Gerät ist eher eine Art Computer fürs Ohr, der ganz nebenbei, quasi zufällig, auch noch die Aufgabe eines Kopfhörers erfüllt. Er besteht aus zwei puristischen Ohrknöpfen, die im Stil eines Hörgeräts ohne jegliche Kabelverbindung zueinander im Ohr sitzen und über Funk kommunizieren. Die Hörer sind übersät mit 28 Sensoren, die nahezu alles messen können: Herzfrequenz, Kalorienverbrauch, Schritte und Distanz. Der In-Ear-Knopf funktioniert ausschließlich per Berührung. Unterwegs lässt sich beispielsweise per Fingertipp die Musik dimmen, damit Läufer, Radfahrer oder Schwimmer die Geräusche der Umgebung, beispielsweise eines heranfahrenden Autos, wahrnehmen können. Die Verbindung zum Smartphone stellt "The Dash" per Bluetooth her. Gleichzeitig lassen sich jedoch auf einem vier Gigabyte großen Datenspeicher, die in die intelligenten Kopfhörer integriert ist, eigene Apps speichern, die auch ohne Smartphone funktionieren.

"Smartphones werden eines Tages sterben wie der Fernseher"

Sowieso findet Nikolaj Hviid die Geräte lästig, gar überflüssig. "Smartphones werden eines Tages sterben, genauso wie der Fernseher", sagt er. Sobald es Bragi gelinge, eine Mobilfunkanbindung in "The Dash" unterzubringen, werde es kaum gute Gründe mehr geben, ein Smartphone mit sich rumzuschleppen, ist er überzeugt. An ihre Stelle werde das "Hearable" treten: das Pendant zum Wearable, etwa einer Smartwatch, nur dass es nicht am Handgelenk, sondern im Ohr getragen wird. Dank seiner Sensoren ist "The Dash" das erste Hearable der Welt.

Hviid, der vor 17 Jahren aus Dänemark nach München zog, gefällt sich in der Rolle des Erfinders. Er hat sich "The Dash" im Keller seines Hauses ausgedacht, auf Hunderten Post-its. Hviid ist überzeugt, dass sein Produkt das nächste ganz große Ding wird. Wortwörtlich hört man solche Aussagen selten von ihm, dafür ist er viel zu bescheiden; aber hin und wieder hat er diese Momente, in denen er Sprüche loslässt, die man nur aus dem Silicon Valley kennt. "IBM hat den Computer erschaffen, Apple das Smartphone und Bragi nun den diskreten Assistenten im Ohr", sagt er dann.

Wenn er nicht gerade davon redet, was dieser diskrete Assistent in absehbarer Zeit alles können soll, spricht der dreifache Familienvater am liebsten über seine Kinder, für die er gern mehr Zeit hätte. Als sein ältester Sohn in den Kindergarten kam, wurde er nach seinem Berufswunsch gefragt, erzählt Hviid. Auf keinen Fall wolle er Kopfhörer machen, habe der Junge geantwortet. Dann müsse man auch am Wochenende arbeiten und sehe seine Kinder nicht. Diese Worte aus dem Mund eines Fünfjährigen scheinen Hviid sehr zu beschäftigen, der sein eigenes Alter mit "Anfang 40" angibt.

Auch Samsung baut jetzt smarte In-Ear-Kopfhörer

Weg von seinen 100-Stunden-Wochen kommt er trotzdem nur schwer. Hviid arbeitet hart daran, den großen Konzernen wie Apple und Samsung immer einen Schritt voraus zu sein. Gut anderthalb Jahre hat er den Tech-Konzernen Apple und Samsung in der Entwicklung voraus, sagt er. Das ist zwar in seiner Branche keine Ewigkeit, aber ein komfortables Polster. Sich darauf auszuruhen, kommt für Hviid jedoch nicht infrage. Auch Samsung hat mittlerweile mit dem "Gear Icon X" einen smarten In-Ear-Kopfhörer auf den Markt gebracht; die Anlehnung an "The Dash" ist offensichtlich. Die schwedische Firma Earin bietet ebenfalls kabellose Kopfhörer an. Und auch Apple hat schon vor zwei Jahren diverse Patente auf kabellose In-Ear-Kopfhörer angemeldet.

Bei dem neuen iPhone, das an diesem Mittwoch vorgestellt werden soll, wird angeblich die Klinkenbuchse für Kopfhörer fehlen. Damit scheint Apple Funk-Kopfhörer zum neuen Standard machen zu wollen. Nikolaj Hviid findet das nicht beängstigend, sondern großartig. "Wenn Apple die Kopfhörerbuchse weglässt, ist das für uns ein Riesenvorteil", sagt er. Schließlich würde sich die Nachfrage nach kabellosen Kopfhörern dank Apple vervielfachen.

Gipfelstürmer

Zum ersten Mal zeichnet der Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung mit dem Start-up-Wettbewerb "Gipfelstürmer" die besten Gründer aus Deutschland aus. Teilnehmen können junge Unternehmen, die älter als sechs Monate und jünger als fünf Jahre sind und ihren Sitz in Deutschland haben. Der Wettbewerb richtet sich an Gründer, die ein innovatives Produkt oder ein spannendes Geschäftsmodell entwickelt haben. Die Ausschreibung läuft bis zum 10. Oktober. Bewerben kann man sich über die Website des Wirtschaftsgipfels. Eine Jury aus Mitgliedern der SZ-Wirtschaftsredaktion wählt Mitte Oktober aus allen Bewerbern die acht Finalisten aus. Diese dürfen am SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin teilnehmen. Jeder der acht "Gipfelstürmer" bekommt die Gelegenheit, seine Geschäftsidee und sein Unternehmen auf der Bühne im Hotel Adlon vorzustellen; er hat bei diesem Start-up-Pitch zwei Minuten Zeit. Anschließend küren die Teilnehmer des Wirtschaftsgipfels, darunter viele erfahrene Manager, per App den Sieger.

Mehr Informationen zum Gipfelstürmer finden auf sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer/

"The next big thing" - Hviid macht den Cook

Für viele aus der Tech-Branche ist es nur eine Frage der Zeit, bis Bragi von einem der Großen der Branche geschluckt wird. Nikolaj Hviid spielt gern mit solchen Gerüchten: Kurz nachdem Apple den Termin für seine neue iPhone-Präsentation bekannt gegeben hatte, machte Bragi ebenfalls mit einer Einladung auf sich aufmerksam. Genau 48 Stunden vorher wolle Hviid große Neuigkeiten verkünden, und zwar in München und Cupertino. Würde das Start-up mit dem Tech-Konzern aus dem Silicon Valley kooperieren? Oder hat sich Bragi schon von Apple aufkaufen lassen? Sind die Bragi-Ohrhörer möglicherweise sogar das nächste "one more thing" von Tim Cook?

Hviid bevorzugt die Bezeichnung "the next big thing", also "das nächste große Ding", als er am Montagabend in hellblauem Hemd vor seinen Kunden steht. Statt eine Kooperation bekannt zu geben, stellt er Bragis neues Produkt vor. "The Headphone" wirkt wie eine abgespeckte Version von "The Dash". Gleichzeitig ist das Gadget jedoch eine Kampfansage. Der große Bruder "The Dash" war mit 299 Euro kein Produkt für den Massenmarkt, mit 119 Euro sind die neuen Kopfhörer deutlich günstiger. Zwar wurden die smarten Tracking-Funktionen des Dash radikal gestrichen, dafür haben die Bragi-Ingenieure die Akustik und die Akkulaufzeit des neuen Geräts deutlich verbessert. Daraus, dass Nikolaj Hviid es mit "The Headphone" vor allem auf die Apple-Jünger abgesehen hat, macht er keinen Hehl. "The Headphone ist der beste Begleiter für das neue iPhone, für jedes Android-Smartphone, und natürlich auch für alle alten iPhones", sagt Hviid bei der Produktvorstellung.

Start-up Bragi: Bedienbar per Fingerspitze: Die Mini-Computer fürs Ohr.

Bedienbar per Fingerspitze: Die Mini-Computer fürs Ohr.

Den Namen seines anderen großen Konkurrenten hingegen spricht Hviid nicht einmal aus. Beiläufig erwähnt er das Produkt "unserer Freunde aus Seoul", dessen Akkulaufzeit ihm nur ein müdes Lächeln wert ist. Gerade einmal anderthalb Stunden halte der Akku des Gear Icon X, bei "The Headphone" seien es nun sechs.

Immer wieder betont Nikolaj Hviid, dass die Entwicklung der Geräte eine Teamleistung gewesen sei. "Die Leute arbeiten hier an meinem Traum, als wäre es ihr eigener", sagt er merklich stolz. Dem Gründer ist es gelungen, Leute um sich zu scharen, die absolut an ihn und seine Vision glauben. Eher nüchterne Mitarbeiter nennen ihren Chef eine "Inspiration", besonders euphorische Kollegen bezeichnen ihn gar als "Helden". Bei Bragi schieben alle Überstunden - freiwillig. Obwohl Hviid es nicht verlangt, kommen viele auch am Wochenende ins Büro oder verbringen mal gleich die ganze Nacht im Office.

Noch hat das Produkt Schwächen

An sich selbst und seine Mitarbeiter stellt er den Anspruch, dass sie sich untereinander, aber auch gegenüber Investoren, Lieferanten und Kunden so verhalten, als wären es Freunde. Wobei ihm das Wort "Kunde" eigentlich nicht gefällt. Er spricht lieber von "Menschen, die mit uns auf eine Reise gehen".

Hin und wieder hat man das Gefühl, Hviid sei selbst überrascht von der Geschwindigkeit, mit der sich diese Reise vollzieht. Mittlerweile sei er an dem Punkt angelangt, nicht mehr die Namen all seiner Mitarbeiter zu kennen. Für die meisten Chefs mittelgroßer Unternehmen mag das eine nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit sein. Nicht so für Hviid, der vor zwei Jahren nur mit einem Dutzend Mitarbeitern startete. Heute hat er Büros in Hongkong und Chicago,und sein Team hat sich auf mehr als 170 Leute aus 45 Nationen vergrößert. Erst kürzlich mussten Hviid in seinem Münchner Büro in der Sendlinger Straße eine zweite Etage anmieten. Bis Dezember rechnet er mit weiteren 50 Kollegen, bis Ende 2017 sollen es dann schon 600 sein.

"Hearables werden die Art, wie wir arbeiten, komplett verändern"

Die braucht er auch, um seine Vision von dem ersten Assistenten im Ohr voranzutreiben, sagt Hviid. Denn noch hat sein Produkt Schwächen. Nutzer klagen, dass die Bluetooth-Verbindung häufig abreiße. Auch die Kommunikation zwischen den beiden Ohrknöpfen funktioniere nicht zuverlässig, und die Touch-Bedienung sei alles andere als intuitiv. Mit dem neuen Dash-Software-Update, dass Hviid zusammen mit "The Headphone" vorstellte, sollen die meisten dieser Ärgernisse verschwinden. Und auch wenn Hviid die Probleme seiner "Mitreisenden" ernst nimmt, verteidigt er die Kinderkrankheiten seines Hearables. "Aus der Automobilindustrie kommen fantastische, hoch komplexe Produkte. Aber die Hersteller befinden sich in der 20. Generation der Entwicklung. Sie haben 20-mal verbessert. Wir stehen ganz am Anfang."

Den nächsten Schritt in diese Richtung hat Hviid gerade getan. Kürzlich erst hat er eine Kooperation mit IBM bekannt gegeben. Das Hearable soll nun auch in die Berufswelt vordringen. Hviid ist davon überzeugt, dass Mitarbeiter besser arbeiten, wenn auch ihr Hörsinn gefordert ist. Ein Automechaniker beispielsweise könnte per Hearable ein Ersatzteil bestellen, ohne seinen Arbeitsplatz dafür verlassen zu müssen. Über die Text-to-Speech-Funktion beispielsweise können Anweisungen an ein anderes Büro direkt übermittelt werden, während die Sensoren das Wohlbefinden des Mitarbeiters im Blick haben. "Hearables werden die Art, wie wir arbeiten, komplett verändern und einen unglaublichen Einfluss auf die Arbeitsprozesse in der Zukunft haben", sagt er.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis fast alle Elektronikhersteller kabellose Kopfhörer anbieten. Aber Hviid wäre nicht er selbst, würde er nicht schon an der nächsten Innovation arbeiten, hätte er sich nicht schon den nächsten menschlichen Sinn vorgenommen: Das Sehen. Bragi-Entwickler sollen an einer smarten Kontaktlinse arbeiten. Hviid hält sich noch bedeckt: "Wir gucken, was für das Ohr möglich ist und was für das Auge möglich ist. Im Ohr passiert viel, im Auge passiert auch viel."

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