Tierversuche:Neue Offenheit im Tierlabor

Tierversuche sind umstritten. Häufig werden sie an Mäusen durchgeführt.

Umstrittener, wissenschafticher Alltag in deutschen Laboren: Tierversuche, häufig an Mäusen.

(Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)

Still halten und weitermachen war lange die Devise von Wissenschaftlern, die mit Tieren experimentieren. Nun wagen die Forscher mehr Transparenz - zumindest ein bisschen.

Von Kathrin Zinkant

Die Aktivisten waren schon da. Mit einem gelben Transparent "Gegen Tierversuche" standen zwei ältere Damen am Dienstagvormittag vor der Tür des Wissenschaftsforums am Berliner Gendarmenmarkt, verteilten Infoblätter und führten Gespräche. Alles friedlich also, Tiere wurden drinnen ohnehin nicht gequält. Vielmehr wurde eine Website vorgestellt, die Tierversuche so erklären soll, dass jeder sie versteht.

Es ist kein geringes Ziel, das sich die sogenannte Allianz da gesetzt hat, jener Verbund aller großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland, zu dem unter anderen die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Nationale Akademie der Wissenschaften gehören. Denn Kommunikation über Tierversuche ist heikel, nicht nur mit aktiven Tierschützern, die am liebsten sämtliche Experimente an nichtmenschlichen Lebewesen sofort abschaffen würden. Auch viele andere Bürger sorgen sich zunehmend um das Tierwohl in deutschen Labors. Darauf wollen die Vertreter der Wissenschaft nun eingehen. "Die Allianz nimmt die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst", sagte Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, am Dienstag in Berlin. Und der Sprecher der Initiative, Stefan Treue vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, ergänzte: "Wir wollen mit diesem Portal eine zentrale Anlaufstelle bieten."

"Es geht nicht um Brainwashing. Meinungen sollen sich an Fakten orientieren."

Die Website tierversuche-verstehen.de, soviel ist klar, beschreibt die Welt, wie Wissenschaftler sie sehen. Es ist die Rede von "verantwortungsbewussten" Tierversuchen, die für die Grundlagenforschung und Entwicklung von Medikamenten nötig sind. Neben Erklärtexten zum sogenannten 3-R-Prinzip, das Tierversuche vermeiden helfen soll, und Statistiken zu Mausverbrauch und Experimenten an Affen, können sich Besucher der Website Videoclips anschauen. Darin erklären Lebenswissenschaftler, warum sie Experimente machen und für den Erkenntnisgewinn auch töten. Und man kann lesen, dass sich Tierversuche durchaus auf den Menschen übertragen lassen und wie selten tierfreie Alternativen das Experiment am lebenden Tier ersetzen.

Dass jeder Besucher der Website zu einem Befürworter von Tierversuchen wird, ist jedoch nicht das Ziel. "Es geht nicht um Brainwashing, es geht darum, dass sich Meinungen an Fakten orientieren", sagt Treue. Besonders hebt der Primatenforscher deshalb das dialogische Format hervor. Ein Twitteraccount wurde fast pünktlich um 12 Uhr mittags gestartet, es gibt auch einen Youtube-Kanal. Die Besucher der Website können über ein Formular zudem Fragen stellen. Und letztlich hat sich das Team um Treue auf eine Kommentarfunktion eingelassen - ein "riskanter Ansatz", wie Treue zugibt, denn Tierversuchsgegner könnten den Kanal für Kampagnen nutzen. "Es bleibt ein Experiment", sagt Treue.

Das ist die Website wohl ohnehin für die Allianz. Lange Zeit hatte man sich in den Forschungsorganisationen mit Tierlabors auf die Devise verlassen, sich bei Protesten oder Kampagnen lieber nicht zu exponieren. Stillhalten, weitermachen und wenn nötig, dann höchstens betonen, wie wichtig und selbstverständlich Tierversuche für neue Heilverfahren und Medikamente sind. Diese Strategie verfolgte lange Zeit auch die Max-Planck-Gesellschaft - bis zum Fall Logothetis, der im Herbst 2014 seinen stillen Anfang nahm.

Damals infiltrierte ein Aktivist das Affen-Labor des Max-Planck-Instituts (MPI) für biologische Kybernetik, er trat als Tierpfleger auf und drehte Videos von apathischen Makaken mit blutigen Schädeln, von denen bis heute unklar ist, ob sie fingiert waren oder echt. Entscheidend war, dass sie im Internet veröffentlicht wurden. Der Betreiber des Instituts, die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), ging auf die Kampagne erst nicht ein. Doch sieben Monate später kündigte Institutsdirektor Nikos Logothetis an, die Primatenversuche im eigenen Haus abzuwickeln. Das Unvermögen seiner Forschungsgesellschaft, sich gegen illegale Aktivitäten zur Wehr zu setzen, während er sich diffamieren lassen müsse - das werde und könne er bei aller Dankbarkeit gegenüber der MPG nicht akzeptieren.

Treue bestreitet, dass dieser Paukenschlag den Stein der Kommunikation ins Rollen brachte. Doch erst nach dem offenen Brief von Logothetis und heftiger Kritik am Kommunikationsstil der MPG, wurden die Pläne der Allianz bekannt, sich mit einem Internetportal an die Öffentlichkeit zu wenden. Als Vorbild wurde die Website understanding-animalresearch.co.uk der Forschungsorganisationen in Großbritannien genannt. Forscher genießen in Großbritannien ein weit größeres öffentliches Vertrauen als in Deutschland.

Katzen mit Elektroden im Hirn - auch darüber soll eine sachliche Debatte möglich werden

Dass dieses Vertrauen keinesfalls selbstverständlich ist, sondern gewonnen und stetig erneuert werden muss, das ist ein Jahr später wohl erkannt. Hacker spricht von einer "Bringschuld" der Öffentlichkeit gegenüber. Treue sagt nun: "Die Website soll ein Ort der Debatte werden." Er hofft, dass dann auch kritische Fragen sachlich diskutiert werden können. Zum Beispiel die, ob trotz aller ethischen Regelungen nicht doch Tiere umsonst sterben müssen - sogar wenn für einen Versuch zu wenige von ihnen eingesetzt werden. Das kann zum Beispiel passieren, wenn kleine, schwer zu messende Effekte - wie Verhaltensänderungen oder die Wirkung von Ernährung - untersucht werden. Für eine Auswertung müssten dann ausreichend Datenpunkte zusammenkommen. Statistiker sprechen von "Power".

Eine andere Frage wird sein, inwieweit man der Öffentlichkeit Einblicke in die Versuche als solche geben wird. Bisherige Informationsangebote wie die Tierversuchsdatenbank "Animal Test Info" beim Bundesinstitut für Risikobewertung verzichten bei aller Transparenz bislang darauf, die geplanten Eingriffe zu beschreiben. Mäuse, denen Tumore unter die Haut gesetzt werden, lebende Katzen, denen Elektroden in den aufgesägten Schädel geschoben werden - nicht alle Tierversuche sind so brutal, aber einige eben schon. Ob man sich diesen und anderen Aspekten irgendwann wirklich in aller Offenheit wird widmen können? Treue bleibt optimistisch. "Wir wollen das versuchen."

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