SZ-Serie: Landmarken im Landkreis München:Geschichtlicher Sprengstoff

SZ-Serie: Landmarken im Landkreis München: Zeugnis deutscher Geschichte: Das "Muna-Gelände" in Hohenbrunn.

Zeugnis deutscher Geschichte: Das "Muna-Gelände" in Hohenbrunn.

(Foto: Claus Schunk)

Auf dem Muna-Gelände schufteten im Krieg Zwangsarbeiter. Heute wachsen Gras und Wald über den Bunkern

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Die Natur holt sich langsam zurück, was ihr gehörte. Das Gras ist hoch, einen halben Meter vielleicht. Und wenn man näher an die Hütte zwischen den Bäumen und Büschen heran will, muss man da erst einmal durch. Zu was das Häuschen einmal diente? "Vielleicht hat hier die Feuerwehr Brotzeit gemacht", sagt Günther Schmid und deutet auf den Schriftzug "FF2" auf der Fassade. Schmid ist Ortschronist von Höhenkirchen-Siegertsbrunn und einer der wenigen, die einen Schlüssel für das sogenannte Muna-Gelände haben, das sozusagen auch Zeugnis deutscher Geschichte ist.

Früher, während des Nationalsozialismus, war hier eine Fabrik für Munition. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die US-Army das Gelände als Munitionslager. Ende der Fünfzigerjahre übernahm es die Bundeswehr - ebenfalls als Depot. Aber dann änderten sich die Zeiten. Die Mauer fiel, der Ost-West-Konflikt wurde beigelegt und die Bundeswehr sollte sparen. 2007 wurde deshalb auch die Muna aufgelöst. Und die Gemeinden Höhenkirchen und Hohenbrunn kauften das Gebiet.

Viel ist nicht mehr übrig aus den alten Zeiten. Am Eingang hängt ein verblasstes Schild, nur mit viel Mühe kann man lesen, dass es mit "Der Depotkommandant" unterschrieben ist. Den Rest der Schrift haben das Wetter und die Zeit fortgewaschen. Der Großteil des Geländes ist heute Wald. Und Wald war hier auch früher, vor 1938. "Die Nazis kauften ihn den Besitzern ab", erzählt Schmid. Zwangsenteignungen habe es nicht gegeben. "Aber eine Wahl haben die Leute wahrscheinlich auch nicht gehabt." Die Bevölkerung durfte das Gelände danach nicht mehr betreten. "Wer es doch tat, dem drohte eine Strafe von 2000 Reichsmark." Doch so ganz blieb der Bevölkerung wohl nicht verborgen, was sich dort abspielte. Ein Verwaltungstrakt wurde gebaut, Fertigungsanlagen, Lagerhallen, eine Bahnlinie und: Baracken für etwa 3000 Menschen, Zwangsarbeiter, zum Großteil aus Osteuropa. "Was dort genau los war, haben die Menschen nicht gewusst", sagt Schmid. Zumindest haben sie nicht darüber gesprochen, ganz geheim konnten die Nazis die Munitionsfabrik mit Sicherheit nicht halten. In der Verwaltung zum Beispiel arbeiteten auch Leute aus der Umgebung. Schmid sagt dazu: "Bevor man darüber ein persönliches Urteil fällt, sollte man sich in die Zeit hineinversetzen." Es habe einen erheblichen Druck gegeben.

SZ-Serie: Landmarken im Landkreis München: Ortschronist Günter Schmid kennt sich auf dem Gelände aus.

Ortschronist Günter Schmid kennt sich auf dem Gelände aus.

(Foto: Claus Schunk)

Von den Baracken, in denen die Zwangsarbeiter lebten, ist nichts mehr da. Auch von den Fertigungshallen nicht. Aber die 120 Bunker, in denen die Munition gelagert war, gibt es noch. Zwischen den Bäumen sieht man immer wieder grüne Tore. Die Bunker gehen nicht metertief in die Erde hinein - alle sind oberirdisch gelegen. Um sie herum wurde Erde aufgeschüttet, auf ihnen stehen Bäume - zur Tarnung. Und das hat offenbar auch ganz gut funktioniert. "Wie durch ein Wunder wurde die Munitionsfabrik im Krieg nie bombardiert."

In dem Bunker ist es kühl und dunkel. Elektrizität gibt es, seitdem die Bundeswehr die Muna verlassen hat, auf dem ganzen Gelände nicht mehr. Schmid leuchtet mit einer Taschenlampe durch den Raum. Die Decke ist gewölbt, man sieht ein paar Säulen, ansonsten ist der Bunker vollkommen leer. "So sehen alle aus", sagt Schmid und geht wieder aus dem Bunker raus zum Auto. Das Gelände ist etwa zwei Quadratkilometer groß - zu Fuß wäre man lange unterwegs. Schmid fährt vorbei an Bunkern und Bäumen, hier und da liegen noch Teile von verrosteten Schienen, die übrig gelassen wurden als Erinnerung an vergangene Zeiten. Auch an einer Betonmauer fährt Schmid vorbei. "Das ist eine Schutzmauer, sie sollte den Druck aufhalten, falls die Munitionsfabrik hochgeht." Passiert ist das nicht, Unfälle mit der Munition gab es aber schon. Hauptsächlich kamen dabei Zwangsarbeiter ums Leben.

Wie waren die Bedingungen für sie in Hohenbrunn? "Man kann sich das nicht vorstellen wie in Dachau. Es war ja kein KZ", sagt Schmid. Es sei nicht das Ziel gewesen, sie zu töten. Trotzdem muss es schlimm gewesen sein. Nach dem Krieg wurde die Leiche eines Lagerleiters, der als besonders hart galt, in der Jauchegrube gefunden, stark misshandelt - von den Arbeitern. Ihre Wut und die Aggression, die sich jahrelang angestaut hatte, brachen wohl nach der Befreiung heraus.

Bevor Schmid die Muna verlässt, sperrt er das Tor wieder zu. Die Öffentlichkeit darf hier nicht rein. In absehbarer Zeit jedoch, sagt Hohenbrunns Bürgermeister Stefan Straßmair, soll das Gelände geöffnet werden. Die Gemeinde ist schon dabei, Gebäude abzureißen oder zu sichern. Bis Mitte der 2020er Jahre soll das Gelände laut Straßmair auf jeden Fall Wald bleiben. Die Gemeinde hat es als Wald gekauft und muss ihn mindestens zehn Jahre lang als solchen erhalten. Jetzt soll das Gebiet nach und nach den Menschen und den Tieren zurückgegeben werden. Zisternen werden zu Teichen, in den alten Gleisbetten leben mittlerweile Amphibien.

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