Stents zur Schlaganfall-Vorbeugung:Gefährlicher Einbau im Gehirn

Stents zur Schlaganfall-Vorbeugung: Hochrangige Untersuchungen belegen Risiken und unabhängige Medizin-TÜVs bestätigen die Gefahr. Trotzdem werden weiterhin Stents eingebaut.

Hochrangige Untersuchungen belegen Risiken und unabhängige Medizin-TÜVs bestätigen die Gefahr. Trotzdem werden weiterhin Stents eingebaut.

(Foto: Ademes Schuessler)

Etliche Studien haben Risiken gezeigt. Dennoch bekommen Patienten weiterhin Gefäßstützen ins Gehirn implantiert. Triumphiert Lobbyismus über den Patientenschutz?

Von Werner Bartens

Eigentlich müsste alles klar sein. Zu offensichtlich sind die Beweise. Ein technisches Verfahren zur Behandlung des Schlaganfalls, in das anfangs viele Hoffnungen gesetzt wurden, hat sich als gefährlich erwiesen. Im Vergleich zur medikamentösen Behandlung erhöht das sogenannte intrakranielle Stenting das Risiko für einen erneuten Schlaganfall und vorzeitigen Tod deutlich. Statt Patienten zu helfen, führt die Aufweitung der Blutgefäße im Gehirn und die Einlage eines Drahtgeflechts zu Schäden.

Doch am kommenden Donnerstag droht ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der die riskante Therapie weiterhin zulässt. Im G-BA sind neben drei unparteiischen Mitgliedern Vertreter von Ärzten, Krankenhäusern und Kassen stimmberechtigt (siehe Infokasten). Es ist ein Lehrstück darüber, wie Lobby-Interessen über Patientenwohl siegen.

Wann werden Therapien verboten?

Voraussetzung für den Ausschluss einer Behandlung aus dem Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein strukturiertes Bewertungsverfahren. Hintergrund ist der Verbotsvorbehalt, wonach Leistungen stationär solange erbracht werden können, bis der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sie aufgrund eines fehlenden Nutzennachweises ausschließt. Der G-BA hat 13 Mitglieder. Neben drei Unparteiischen sind fünf Vertreter der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und je 2,5 Vertreter der Ärzte und Krankenhäuser (DKG, KBV) vorgesehen. Bis vor vier Jahren konnten Leistungsausschlüsse mit einfacher Mehrheit, also mit sieben der 13 Stimmen beschlossen werden. Dann hat der Gesetzgeber die Mindestzahl von neun Stimmen vorgeschrieben. Das bedeutet, dass selbst die fünf Stimmen einer "Bank" und die drei Stimmen der Unparteiischen nicht mehr genügen, um Leistungen auszuschließen. "Die jetzige Diskussion zeigt, dass es zwingend notwendig ist, die Sinnhaftigkeit des Quorums von neun Stimmen noch mal im Bundestag zu hinterfragen", sagt G-BA-Chef Josef Hecken. "Denn es kann dazu führen, dass notwendige und sinnvolle Ausschlüsse von Leistungen, die dem Patientenschutz dienen, verzögert werden. Das kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein!"

Mediziner brachen Studien ab, weil sie es für unethisch hielten, die Stents weiter zu verwenden

"Verfolgt man die Diskussionen um intrakranielle Stents, bekommt man den Eindruck, dass viele die unerfreulichen Antworten aus den Studien lieber nicht gehört hätten", sagt Jürgen Windeler, Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das Analysen zu Nutzen und Schaden medizinischer Verfahren erstellt. Schließlich haben gründliche Untersuchungen die Risiken deutlich aufgezeigt. Bereits 2011 musste eine große Studie nach der Behandlung von 451 Patienten abgebrochen werden, weil die Stent-Einlage im Vergleich zur Therapie mit Gerinnungshemmern viel gefährlicher war.

Der Artikel im New England Journal of Medicine zeigte, dass 30 Tage nach der Therapie 14,7 Prozent der Patienten einen erneuten Schlaganfall erlitten oder starben, während dies 5,8 Prozent der Kranken unter Arzneimitteln widerfuhr. Nach einem Jahr sah die Bilanz nicht viel besser aus, sodass die Ärzte die Studie aus ethischen Gründen vorzeitig beendeten.

Noch schlechter fielen die Ergebnisse aus, die 2015 im Fachblatt JAMA erschienen. Statt 250 Patienten zu vergleichen, brachen die Autoren der Studie - diesmal mit einem anderen Stent-System - nach 112 Kranken ab. Zu frappierend waren die Unterschiede zwischen Stent und Medikament: 30 Tage nach der Drahtgeflecht-Einlage kam es bei 24,1 Prozent der Patienten zu Zwischenfällen, während dies nur bei 9,4 Prozent der mit Gerinnungshemmern Behandelten passierte. "In beiden Studien zeigt sich ein Schaden", urteilte das IQWiG seinerzeit. "Keine der Studien konnte Vorteile einer Behandlung mit intrakraniellen Stents darstellen."

Hochrangige Untersuchungen belegen eklatante Risiken, unabhängige Medizin-TÜVs wie das IQWiG und sein britisches Pendant, das NICE, bestätigen die Gefahr. Trotzdem werden weiterhin Stents in Deutschland und anderswo eingebaut, wobei nicht einmal klar ist, wie viele der 170 000 Menschen, die jedes Jahr in Deutschland einen Schlaganfall erleiden, mit den Gefäßstützen behandelt werden. "Rechnerisch ergibt sich aus den Studien, dass von jeweils zehn behandelten Patienten einer einen Schaden durch die Implantation davonträgt, das heißt einen Schlaganfall erleidet oder stirbt. Das wären bei 1000 verbauten Stents 100 ernsthafte Schadensfälle", sagt Windeler.

Auch Doris Pfeiffer, Vorsitzende des GKV, des Spitzenverbandes der Krankenkassen, ist alarmiert von den "besorgniserregenden Studiendaten" und warnt: "Für uns steht fest: Die Leistung muss aus Gründen des Patientenschutzes ausgeschlossen werden. Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Stents verursachen selbst Schlaganfälle und schädigen Patienten."

Das sehen offenbar nicht alle Beteiligten so. Die Ärzteschaft, zumindest die in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) organisierte, hält es zwar auch für "unstrittig", intrakranielle Stents aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen auszuschließen. "Allerdings ist die KBV der Ansicht, dass es Ausnahmen geben muss: Bei bestimmten Subgruppen kann der Nutzen von intrakraniellen Stents aufgrund der Schwere der Erkrankung durchaus höher sein als das damit verbundene Risiko", erklärt ein Sprecher. Als "letzte Chance für den Patienten" sieht die Interessenvertretung der Ärzte die Gefäßstützen im Hirn, zudem "muss es in der Therapiehoheit des behandelnden Arztes liegen, diese Leistung einsetzen zu können".

Heißt im Klartext: Wir Doktoren lassen uns nicht vorschreiben, wie wir unsere Patienten zu behandeln haben. Welche Patienten als Ausnahme definiert werden und ob damit das Verfahren auf Umwegen weiter erlaubt bleiben soll, verrät die KBV hingegen nicht.

Viele Beteiligte haben auch ein finanzielles Interesse, die Gefäßstützen nicht zu verbieten

Eine erstaunliche Haltung in Zeiten evidenzbasierter Medizin, wo medizinische Behandlungen auf ihren Nutzen und Schaden geprüft sein sollten und nur erlaubt, was Patienten hilft. "Es mag ja sein, dass der in Studien untersuchte Bereich nicht der Anwendung entspricht, wie sie in Deutschland praktiziert wird und weiter praktiziert werden soll", sagt Jürgen Windeler. "Die Fachgesellschaften sind aber in dem langwierigen Diskussionsprozess jede überzeugende Antwort schuldig geblieben, ob das zutrifft und wie der genaue Anwendungsbereich aussehen soll." Auch der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken fordert: "Ich erwarte für die Sitzung am 15. September einen verantwortungsvollen und gut begründeten Vorschlag hinsichtlich der Patientengruppen, die vom Ausschluss der Methode ausgenommen sein sollen."

Doch genauso verschlossen wie die Ärzteschaft gibt sich die Lobbyvertretung der Krankenhäuser, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG): Über "bestimmte Ausnahmekonstellationen, die Patienten mit einer deutlich höheren Erkrankungsschwere betreffen, als diejenigen, die in den Studien untersucht wurden", sei man nicht einig, teilt die DKG mit. Als handele es sich um ein geheimes Militärprojekt und nicht um elementare Fragen des Patientenschutzes, könne man "im Vorgang der vertraulichen Verhandlungen" keine weiteren Informationen geben und auch nicht verraten, wann Schlaganfallopfer angeblich vom Stent profitieren.

Der nächste Versuch richtet sich wieder an die Ärzte der KBV. Welche Beweise könnten Stents rechtfertigen? "Wir beziehen uns bei unserer Ausnahme auf Patienten in lebensbedrohlicher Situation, für die es ansonsten keine Alternative geben würde", verrät der KBV-Sprecher. "Eine Studienlage gibt es dazu nicht. Aufgrund der lebensbedrohlichen Situation der Patienten kann es hierzu keine speziellen Studien geben. Aus unserer Sicht ist hier die freie Therapieentscheidung des Arztes entscheidend."

Angesichts dieser Argumentation kann man den Glauben daran verlieren, dass vernünftige Beweise die Grundlage einer wissenschaftlich fundierten Medizin bilden - oder vor der Lobbyarbeit kapitulieren. Dabei gibt es den medikamentösen Therapiestandard, der in allen Studien mit intrakraniellen Stents verglichen wurde und durchweg schonender für die Kranken war. Wie kann man da Ausnahmen zulassen wollen, die man nicht mal definieren kann?

Letzter Versuch, Anfrage bei Helmi Lutsep. Die Neurologin der University of Oregon hat 2011 an dem Artikel im New England Journal of Medicine mitgewirkt, der die Schädlichkeit der Stents belegte. Weil immer wieder die Behauptung aufkam, dass bestimmte Patienten dennoch davon profitieren, hat sie im Fachmagazin Stroke 2015 gezeigt, dass keine Subgruppe einen Nutzen davon hat. Ob Mann oder Frau, alt oder jung, ob Diabetiker, Raucher, Hochdruckpatient oder nicht, ob schwer betroffen oder leicht - in all diesen und anderen Subgruppen erwiesen sich Stents als gefährlicher als Medikamente.

"Nach den bisherigen Studien gibt es keinen Vorteil intrakranieller Stents", antwortet die Chefin des Schlaganfallzentrums in Portland. "Es konnten keine Patientengruppen identifiziert werden, die vom Stenting mehr Nutzen haben als von der Arzneimitteltherapie." Da nicht zu erwarten ist, dass Ärzte- und Krankenhausvertreter bis zur G-BA-Sitzung nächste Woche neue Erkenntnisse aus dem Hut zaubern, müssen andere Erklärungen herhalten: Es gibt finanzielle Interessen der Hersteller. Es gibt finanzielle Interessen der Krankenhäuser - jeder Ausschluss einer Methode kommt für sie einer Niederlage gleich. Es gibt finanzielle Interessen der Ärzte, aber sicher auch ihr verständliches Interesse, in schwierigen Situationen noch Therapien zur Verfügung zu haben.

Alle Stimmberechtigten im G-BA eint der Wunsch, Patienten eine Behandlung zu ermöglichen, statt sie zu untersagen. Verbote sind nicht nur unangenehm, sie bedeuten im konkreten Fall auch, Ärzten wie Patienten eine Therapie wegzunehmen, an die sie sich gewöhnt haben. Das ist nicht nur rechtlich, sondern auch psychologisch eine Hürde. Andere Aspekte - wer erleidet den größten Gesichtsverlust - spielen auch eine Rolle. In der dreijährigen Diskussionen um den Ausschluss der Stents hatten sich die Beteiligten immer wieder erbitterte Vorwürfe gemacht. Um den Schutz der Patienten geht es offenbar schon lange nicht mehr.

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