Neubesetzung:Kreativ auf dem Klo

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Da sitzt schon mal das Orchester auf der Bühne und der Chor im Rang: Opernregisseur Benedikt von Peter krempelt als neuer Theaterintendant Luzern um.

Von Egbert Tholl

Wer je eine Operninszenierung von Benedikt von Peter gesehen hat, in Berlin, Bremen, Frankfurt oder Hannover, der wird sie kaum vergessen. Aus einem einfachen Grund: Benedikt von Peter begreift eine Oper als Raumerlebnis, dreht die Aufführungssituation um, stellt mal das Orchester auf die Bühne oder den Chor in den Rang. Er bringt die großen Stücke zum Schlingern, ganz bewusst, und ist nun Intendant an einem Haus geworden, an dem man zwar in der Vergangenheit Erfahrungen mit extremen künstlerischen Handschriften der Leitung gemacht hat, aber nicht nur gute.

Seine erste Spielzeit in Luzern eröffnet Benedikt von Peter nun mit Luigi Nonos "Prometeo", einem 1984 entstandenen Stück, in dem es keine Erzählung gibt, keine Handlung, kaum verstehbaren Text und das sich zu 90 Prozent im Pianissimobereich bewegt. Eigentlich ein Stück für Festivals. Und auch wenn das Lucerne Festival die Aufführung koproduziert, wundert man sich, wie viel man sich traut in dieser kleinen Schweizer Stadt.

Dort, wo das kleine, putzige Theaterhaus aus dem 19. Jahrhundert steht, endet die hölzerne, überdachte Kapellbrücke. Hier ist die Schweiz reines Idyll. Und auch wenn ein Stückchen weiter, den Fluss Reuss entlang, das supermoderne und für seinen analytisch klingenden Konzertsaal berühmte Luzerner Kongresszentrum steht, kann man sich erst einmal schwer vorstellen, dass hier nun einer wirkt, dessen Herangehensweise an Oper grundsätzlich mit einer Umkrempelung des Raums verbunden ist. In Inszenierungen von Benedikt von Peter gibt es nie die Gewissheit, dass der Orchestergraben das Geschehen auf der Bühne von den Zuschauern abtrennt. Er will an die Zuschauer ran. Und deshalb steht nun vor dem Theater eine große Holzkiste, und eine schnell zusammengeschraubte Treppe führt direkt ins obere Foyer des alten Hauses - auch ein Sinnbild dafür, wie man Schwellenängste minimiert und die Zuschauer ins Theater hineinsaugt. Die Holzkiste, die "Box", haben Sponsoren bezahlt und sie ist Außenspielstätte im wahren Wortsinn. Drinnen wird die erste Schauspielpremiere, "Ödipus Stadt", stattfinden. Wobei "drinnen" nicht ganz richtig ist: Man wird im Inneren die Außenwelt akustisch nicht ausblenden können, die Außenwände lassen sich entfernen, der Spielort kann völlig offen sein.

Benedikt von Peter will "Gefühls- und Erzähltheater". Letzteres wird man in der ersten Spielzeit vor allem im Schauspielbereich finden. Das heißt aber nicht, dass hier Stücke des klassischen Kanons "erzählt" werden. In Peters Auffassung kann Erzähltheater auch ein visuelles Poem sein oder eine Produktion, in der Luzerner Mütter auf der Bühne kochen und dabei ihre Geschichten erzählen. Da denkt man sich, na klar, so macht man das heute, das gibt es bei Gruppen wie Rimini Protokoll oder She She Pop. Einwand Benedikt von Peter: Bei der niederländischen Regisseurin Alize Zandwijk sei das alles ganz anders, da dürfte auch geweint und gelacht werden. "Das ist nicht kühl, das ist hochemotional."

Peter denkt gern, in Windeseile, während er eine Zigarette nach der anderen exekutiert

Benedikt von Peter, Jahrgang 1977, vermittelt den Eindruck, er wisse sehr genau Bescheid über Moden auf dem Theater, über vorherrschende Inszenierungsstile, über aktuelle Diskussionen, sei es die Notwendigkeit einer Patriarchen-Dämmerung im Amt des Intendanten betreffend oder die Finanzierbarkeit des Betriebs. Er selbst wird seit acht, neun Jahren als Regiehoffnung des Musiktheaters herumgereicht. Einige seiner Arbeiten sind legendär, wie in Hannover Nonos "Intolleranza 1960" und Giuseppe Verdis "Traviata". Dabei stellte er die Sängerin der Violetta, Nicole Chevalier, allein auf die Bühne, Orchester, Chor und die anderen Solisten waren irgendwo im Raum untergebracht, das Ergebnis war ein faszinierender innerer Monolog der Traviata; er wird ihn in Luzern wieder aufnehmen. In Bremen leitete er vier Jahre lang die Musiktheatersparte, und bevor er damit begann, gründete er, als er noch Jura, Germanistik, Gesang und Musikwissenschaften studierte, zusammen mit Benjamin von Blomberg eine freie Truppe. Blomberg ist inzwischen Chefdramaturg an Matthias Lilienthals Münchner Kammerspielen, Peter nun Chef in Luzern, einem Haus mit großer Geschichte und einem für Schweizer Verhältnisse durchaus überschaubarem Etat.

"Zynismus und Ironie sind für mich durch." Benedikt von Peter will keinen postdramatischen Firlefanz. Komplexität, das schon, aber nichts, was man "drei Mal dekodieren muss", um es zu verstehen. Er will keine Stücke zerlegen, sondern verführen, Menschen anlocken, ja vielleicht könnte man sogar so weit gehen, dass er die Besucher wieder mit dem Archaischen, dem Ritual des Theaters konfrontieren will. Das schließt Denken nicht aus, und Peter denkt gern, in Windeseile, während er an einem nassen Septembertag und vor einem Café in der Nähe des Theaters eine Zigarette nach der anderen exekutiert.

In Luzern plant man Großes. Box und Treppe zeigen architektonisch, weshalb man Peter an den Vierwaldstätter See lockte. Das Große in Planung ist eine "Salle Modulable", ein Theaterneubau, der dem Luzerner Theater, dem Festival, dem Orchester und der freien Szene gleichermaßen offenstehen soll. Das dürfte ziemlich einmalig sein in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Variable Räume gibt es in experimentellen Nebenspielstätten der Stadttheater, in den Produktionshäusern der freien Szene. Aber nicht als integratives Modell, das Oper, Performance, Konzert, Stadttheater und freie Szene vereint.

Tatsächlich war die Idee für diesen Saal, der nichts anderes als Raumtheater bedeutet, für Peter ein entscheidender Grund, sich für die Schweiz zu entscheiden. Weil hier doch das leichter möglich sein könnte als im herkömmlichen deutschen Theaterbetrieb, gerade dem der großen Opernhäuser, was er "Vergemeinschaftung" oder auch soziales Erleben im Theater nennt. Das ersehnte sich wohl auch Christof Engelhorn, ein inzwischen verstorbener Mäzen, der aber vor seinem Tod mittels eines Trusts auf den Bermudas Geld für eine Stiftung beiseitelegte, die nach einem etwas abenteuerlichen Streit mit Engelhorns Erben nun ihre Arbeit aufnehmen kann. Ob allerdings Benedikt von Peter bei der Einweihung überhaupt noch in der Stadt weilen wird, das weiß er momentan selbst nicht mit Sicherheit zu sagen - die Eröffnung ist momentan für 2023 geplant.

Bis es so weit ist, erkundet Benedikt von Peter die Region, will auch deren theaterbegeisterte Bewohner, die ihm vorkommen wie jene von Oberammergau, in sein Theater holen, will aber auch Verbindungen bauen zum "Südpol", einer im Verbund der freien Produktionshäuser verankerten Spielstätte. Er will keine bürgerliche Theatergrundversorgung, sondern strebt die Belebung eines Common Sense an, der der Diversifizierung des Theaterpublikums entgegenwirken und einen Ort neu definieren soll, an dem sich Gesellschaft versammelt. Und wenn nicht alle kommen, leistet er mit seinem Theater kulturelle Aufbauhilfe, etwa in einer leicht prekären, migrantisch geprägten Gegend von Luzern - denn das gibt es hier auch.

Benedikt von Peters Inszenierungen sind viel mehr als ein ästhetisches Statement. Sie bilden schon seit Langem das ab, was er sich vom Theater (wieder) erhofft. Aber ist er damit nicht einer jener Intendanten, die durch ihre künstlerische Persönlichkeit alles determinieren, und deren Ende gerade beschworen wird? Er wehrt heftig ab, sieht sich eher als der Cheforganisator eines Teams, ähnlich wie der Leiter einer freien Truppe. Kreative Ideen, meint er leicht kokett, kämen ihm auf dem Klo, die eigentliche Arbeit sei Planen, Reden, Machen, Tun. Ein Patriarch? Er hofft darauf, dass in einem Jahr seine Mitarbeiter weitgehend selbständig arbeiten. Allerdings dann wohl so, wie er es ihnen derzeit vorzumachen versucht.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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