UN:Vereinte Nationen - geschaffen, um die Menschheit vor der Hölle zu retten

UN: Das ikonische Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River in New York

Das ikonische Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River in New York

(Foto: BLOOMBERG NEWS)

Der Sicherheitsrat gelähmt, der Generalsekretär kraftlos, der ganze Verein ein Spielball von Ego-Staaten - haben die UN ausgedient? Nein, denn für Hunderte Millionen Menschen ist der Völkerklub ein Segen.

Kommentar von Stefan Ulrich

Arbre à palabres wird im frankophonen Afrika ein Baum - oft ein Baobab - genannt, unter dessen Blätterdach die Leute zusammenkommen, um Pläne für ihr Dorf zu schmieden und Streit zu schlichten. Auch die Weltgemeinschaft hat einen Palaverbaum. Er ist aus Stahl, Beton und Glas und steht in Manhattan. Hier, im Hauptquartier der Vereinten Nationen, treffen sich jedes Jahr ab September die Staaten der Erde, um über Konflikte und globale Probleme zu reden und Projekte für das Weltdorf zu erarbeiten.

Wenn am Dienstag die Generalversammlung der UN beginnt und eine Woche später Präsidenten, Könige und Premiers zur Generaldebatte antreten, wird etwas Glanz auf den Völkerklub fallen, der sonst wie abgemeldet wirkt aus der Weltpolitik. Syrien, Irak, Palästina, Ostukraine - Kriege und Krisen werden heute nicht primär von den UN und deren Sicherheitsrat angegangen, sondern von Koalitionen williger, das heißt besonders interessierter Nationalstaaten. Russland und die USA verhandeln über Syrien, im Normandie-Format wird über die Ukraine-Krise gesprochen, eine Fünf-plus-eins-Gruppe handelte das Atomabkommen mit Iran aus. Der UN-Sicherheitsrat wird allenfalls noch als Notar gebraucht, der die Ergebnisse beglaubigt.

Dabei sind die Vereinten Nationen 1945 gegründet worden, um "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren". Und es gab immer wieder Zeiten, wo sie als Weltordnungsmacht gefragt waren. Sie entschärften Krisen und sicherten den Frieden, in Kambodscha, Guatemala, auf Zypern, in Kosovo, auf Osttimor. Sie richteten Kriegsverbrechertribunale ein. Und bevor die USA 2003 den Irak angriffen, war der Sicherheitsrat der Ort, an dem um Frieden und Krieg gerungen wurde. Noch 2011 konnten sich die Veto-Mächte auf eine Libyen-Resolution verständigen, um die Zivilbevölkerung vor dem Gaddafi-Regime zu schützen.

Blasser UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

Heute schaut kaum noch einer nach New York. Die USA, Russland und China blockieren im Sicherheitsrat alles, was ihre nationalen Interessen stört. Und der blasse UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat nicht die Kraft seines Vorgängers Kofi Annan, als moralische Weltmacht zu wirken. Wenn diesen Herbst nun ein neuer UN-Generalsekretär ausgehandelt wird, ist damit zu rechnen, dass die wichtigen Staaten wieder eine eher schwache Persönlichkeit auswählen, die ihnen nicht in die Quere kommt.

Die UN leiden an einem Paradoxon und einem Dilemma. Paradox ist es, dass viele heutige Probleme - vom Klimaschutz über die Flüchtlingskrisen bis hin zur fairen Besteuerung globaler Konzerne - von den Staaten nur noch gemeinsam gelöst werden könnten. Zugleich erodieren jedoch überstaatliche Organisationen wie die UN oder die EU, weil sich viele Bürger in souveräne, vermeintlich starke Nationalstaaten zurückflüchten wollen.

Dies verstärkt das Dilemma, dass die Vereinten Nationen dem Gemeinwohl der Welt dienen sollen, aber völlig von ihren Mitgliedern, den Staaten, abhängig sind. Deren Regierungen pfeifen aufs große Ganze, sobald ihre nationalen Interessen betroffen sind. Auch, in ihrer Selbstwahrnehmung, verantwortungsbewusste Staaten wie Deutschland verlieren das Weh der Welt aus den Augen, wenn es um das Wohl der eigenen Autoindustrie geht.

Der Weltfriede ist fern, doch die UN helfen Millionen Menschen

Der Sicherheitsrat gelähmt, der Generalsekretär kraftlos, der ganze Verein ein Spielball seiner egoistischen Mitglieder - wäre es nicht an der Zeit, die Vereinten Nationen zu vergessen? Wer dies wie mancher UN-Hasser nicht nur in den USA fordert, übersieht zweierlei: Erstens ist der Völkerklub längst zur wichtigsten Hilfsorganisation der Erde geworden. Seine Unter- und Sonderorganisationen und Programme haben Hunderten Millionen Menschen geholfen. Wer kümmert sich um die Flüchtlinge in den Zeltlagern? Der UNHCR. Wer ermöglicht afrikanischen Mädchen Schulbildung? Unicef. Wer schützt die Tropenbewohner vor der Malaria? Die WHO. Für einen großen Teil der Menschheit sind die UN ein Segen.

Zweitens dienen die Vereinten Nationen als ein Forum, wo alle Staaten gehört werden, wo sich Regierungen aus scheinbar unvereinbaren Welten begegnen. Delegierte aus Israel und Iran, Nordkorea und den USA kommen unter diesem arbre à palabres zusammen. Und womöglich werden auch die Großmächte irgendwann wiederentdecken, wie sehr die Welt einen starken Sicherheitsrat braucht.

Zugegeben: Die UN sind weit davon entfernt, den ewigen Frieden zu schaffen. Doch das wäre auch zu viel verlangt. Realistischer ist es, sich an den einstigen Generalsekretär Dag Hammarskjöld zu halten, der daran erinnerte: "Die Vereinten Nationen wurden nicht geschaffen, um die Menschheit in den Himmel zu führen, sondern um sie vor der Hölle zu retten."

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