Gauting:Mit Schlagzeug in den Abgrund

Die Klassikreihe im Bosco eröffnet ihre Spielzeit mit einem kühnen Schostakowitsch-Projekt: Klaviertrio und Schlagzeugduo nehmen sich die 15. Sinfonie des großen russischen Komponisten vor

Von Reinhard Palmer, Gauting

Das ist ein schöner Zufall: Das zehnte Konzert des französischen Starquartetts Quatuor Ébène am 9. Dezember ist zugleich das 200. Konzert des Gautinger Klassikforums. Gemessen daran, dass Architekt Rainer A. Köhler - bald schon tatkräftig unterstützt vom Chef des Theaterforums, Hans-Georg Krause - erst seit 1999 diese Konzerte veranstaltet und dabei durchweg weltweit gefragte Spitzenmusiker - Newcomer wie Etablierte - in die Marienkirche sowie seit einigen Jahren ausschließlich ins Bosco locken konnte, ist dies eine sensationelle Zahl. Mit dem Jubiläumskonzert werden in der ganzen Zeit etwa 50 000 Karten verkauft worden sein, errechnete Köhler. Mit 22 Konzertmitschnitten des Bayerischen Rundfunks sei das Klassikforum insgesamt 45 Stunden auf Sendung gewesen.

Aber es sind nicht nur die großen Namen der Interpreten, die für das Renommee der Konzertreihe sprechen, sondern auch die Programme. Sie enthielten natürlich die großen Werke der Standardliteratur - teilweise bereits in mehreren Interpretationen -, sie waren auch so experimentierfreudig, wie man das sonst nur von Festivalprojekten her kennt. Denkwürdig etwa die ekstatischen Auftritte mit der extravaganten Geigerin Priya Mitchell, die mit ihrem Ensemble die vier Jahreszeiten von Vivaldi wie von Piazzolla mit leidenschaftlicher Hingabe schmetterte.

Ein ungewöhnliches Projekt eröffnet denn auch die neue Konzertsaison mit einer prominenten Besetzung: an der Violine die einstige Primaria des Artemis Quartetts, Natalia Prishepenko, neben dem vielfachausgezeichneten Solisten und Kammermusiker Sebastian Klinger am Violoncello. Die aus Armenien stammende ARD-Preisträgerin von 2006, Marianna Shirinyan, komplettiert das Klaviertrio. Zu hören sein wird das Ensemble mit Schuberts B-Dur-Klaviertrio D 898, einem der überdimensionalen Spätwerke von orchestraler Tragweite. Als "anmuthig, vertrauend, jungfräulich" bezeichnete Schumann das lyrischere B-Dur-Werk, das zusammen mit Schuberts Klaviertrio in Es-Dur ein Paar bildet. Die drängende Spannung und Tragik unter der heiteren Oberfläche ist auch in dem Werk in B-Dur nicht zu überhören. Mit seiner Ausdehnung der Themen zu Themenblöcken war das Klaviertrio einst zweifelsohne ein avantgardistisches Werk.

Für das Ensemble jedenfalls geeignet, ein Experiment einzuleiten. Dem klassischen Standardensemble wird nämlich das erfolgreiche Eadrum-Duo gegenüberbestellt. 2006 an der Musikhochschule In Freiburg gegründet, gewann es sogleich den ersten Preis im Deutschen Musikhochschulwettbewerb in Bremen. Der Schweizer Schlagwerker Domenico Carlo Melchiorre spielt hier zusammen mit dem ARD-Wettbewerbssieger von 2007, Johannes Fischer, dessen Komposition "DmitriRemix" mit Motiven von Schostakowitsch die Wendung von Schubert zu dem russischen Komponisten meistern muss. Spektakuläre fünfzehn Schlaginstrumente stehen für die zwei Werke auf der Bosco-Bühne dafür bereit.

Der Abend kulminiert in Schostakowitschs Sinfonie Nr. 15 A-Dur, op. 141 von 1971/72 - in der autorisierten Reduktion von Viktor Derevianko. Das Klaviertrio und das Schlagzeugduo interpretieren damit gemeinsam ein Spätwerk, dessen Komponist aufgrund gesundheitlicher Probleme den nahenden Tod wohl genauso gespürt haben muss wie Schubert seinen. Die Komposition dokumentiert das persönliche Drama des Abschiednehmens, aber auch Schostakowitschs kritische Auseinandersetzung mit den sowjetischen Machthabern, die sich im Allegretto burlesk-bizarr charakterisiert wiederfinden. Klinger sagt über dieses Werk: "Es ist Musik, die mir beim Spielen alles abverlangt - emotional wie auch physisch. Musik, die ihrer Grenzbereiche und Abgründe wegen existentieller nicht sein kann und die ich daher auch nicht zu oft 'mal eben so' spielen kann".

Die Reduktion aufs Quintett stellt zwar die pure Essenz dar, ist zugleich aber mit der Kraft des Originalwerkes für großes Orchester zum Bersten angefüllt. Ein großer Wurf, der einer Spielzeiteröffnung absolut würdig ist.

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