Serie: Wie wir wohnen:Zelle, Grotte, Wellness-Tempel

Lesezeit: 4 min

Die Wanne spielt Musik, LED-Lampen simulieren Sonnenaufgänge, das Smartphone steuert die Massagedüse: Das Badezimmer hat einen fulminanten Wandel hinter sich.

Von Oliver Herwig

Früher, also vor dem Immobilienboom in deutschen Innenstädten, gab es zwei Kriterien, die Mieter oder Käufer zurückschrecken ließen, etwas Neues zu beziehen: Keinesfalls durfte der Balkon fehlen - und das Bad musste ein Fenster haben. Zumindest für die Nasszelle gilt dieses Anforderungsprofil nicht mehr. Das innenliegende Bad ist längst Standard, auch, weil sich kompakte Grundrisse sonst gar nicht mehr (oder zumindest schwerer) realisieren ließen.

Das hat Folgen für die Ausstattung des Bades. Nein, nicht so sehr für Läufer und Sitzpolster (wer hat denn das noch?), sondern vielmehr für das Licht, das einen zu den sensibelsten Zeiten des Tages empfängt: morgens und abends. Niemand möchte schließlich in den Spiegel schauen - und ein Untoter blickt zurück. Was früher Halogenbirnen übernahmen - das warme Licht des Morgens auf den noch immer schlaftrunkenen Körper zu werfen - erledigen mehr und mehr LED-Leuchten. Die können so ziemlich alles, sogar für die Eulen unter den Badbenutzern einen Sonnenaufgang über die Baddecke fluten lassen und spezielle Farb- und Lichtstimmungen zaubern. Kaltes Neonlicht oder grünstichige Stromsparbirnen jedenfalls haben im Badezimmer nichts mehr verloren, auch wenn es sie in tausendfacher Form noch gibt, zumeist in Hotelketten oder Wohnheimen, die ihre Nasszellen als Komplettbausätze kaufen und in den Rohbau wie überdimensionale Kapseln einklinken. Kein Wunder, dass die Vollplastikräume auch so wirken: wie billiger Weltraumschrott.

Ein Bad im JW Marriott Marquis Hotel Dubai, Vereinigte Arabische Emirate. So stellen sich viele in Deutschland mittlerweile auch ihr Traumbad zu Hause vor. (Foto: Nicolas Dumont/dpa)

Das Wohnen auf Zeit, das manche Hotels in Perfektion verkörpern, ist zum neuen Maßstab der eigenen Standards und Wünsche geworden. Farben, Materialien und Raumschnitte tauchen immer öfter auch bei privaten Bauherren auf. Plötzlich sieht alles so clean, perfekt und irgendwie steril aus wie im Urlaub, samt beiger Wand, geölten Hölzern und Mehrfachdampfdüse in der Dusche.

In Zukunft reicht ein Wort, um die Temperatur zu regeln

Früher wollte man wohnen wie auf den Hochglanzbildern in Wohnzeitschriften, heute wie im Fünfsternehotel. Das hat eigenartige Konsequenzen. Zum Beispiel steht die Wanne (feucht, warm) immer öfter direkt neben dem Schlafzimmerbett (gerne kühl, aber unter der Bettdecke darf es ruhig kuschlig sein). Schon vor rund einem Jahrzehnt begannen Hotels, die beiden Intimzonen zu verschmelzen, manchmal rutschte man aus dem Bett gleich in die Wanne, meist jedoch trennen große Glasscheiben Dusche und Waschbecken von dem Wohnraum. Das ist ganz schön für einen Urlaub, aber ist es auf Dauer praktikabel im eigenen Haus? Dahinter steckt ein fundamentaler Wandel auch der Intimität. Was einst schamhaft versteckt und verborgen wurde, wetteifert nun mit dem Repräsentationsraum von einst, dem Wohnzimmer. Erst ging es der Küche so, in der nun an langen Tischen Gäste und Gastgeber sitzen, dann kam das Bad dran, das inzwischen als kleiner Wellness-Tempel herhalten muss, um gehobene Ansprüche zu dokumentieren. Wasserkultur, diese Idee sickerte langsam vom Hochadel in die bürgerliche Arbeitswelt.

Noch im Barock brauchte es Pavillons voll holländischer Fliesen und Wasserhähne mit vergoldeten Delfinköpfen, um das türkische Bad dorthin zu bringen, wo unter Puder und Perücken nur Gestank war. Das erste beheizbare Hallenbad seit der Antike errichtete Oberhofbaumeister Joseph Effner zwischen 1718 und 1722 im Schlosspark von Nymphenburg. Die Badeburg diente dem bayerischen Kurfürsten Max Emanuel als Ort erotischer Freuden. Doch es dauerte ein gutes weiteres Jahrhundert, bis Ludwig II. 1875 die Moderne einläutete. In Schloss Linderhof ließ er Capris Blaue Grotte nachbauen. Technik und Romantik wurden damit zum Traumpaar, das sich bis heute nicht mehr trennen lässt. Wellenmaschine und elektrische Beleuchtung schufen eine Traumwelt. Im Muschelkahn ließ sich der Märchenkönig zu Klängen von Richard Wagner zu einem künstlichen Regenbogen rudern. Ein elektrisch betriebener Projektionsapparat machte die perfekte Camp-Inszenierung möglich. Verglichen damit nehmen sich heutige Wellness-Tempel noch immer bescheiden aus, trotz Regendusche und ausgefeilter Lichtstimmung.

Ein Badezimmer aus dem Jahr 1929; vermutlich war es damals Teil einer Ausstellung oder eines Messestandes. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Das soll sich ändern: Drahtlose Schalter und vernetzte Systeme lassen neue Geometrien zu. Ultraflache Displays verschwinden bündig in der Wand oder werden handliche Fernsteuerungen, mit denen nicht nur Licht und Lichtfarbe, sondern auch Wassertemperatur, Intensität oder Position des Duschstrahls gesteuert werden können.

Das smarte Bad bietet Musikwellness, Hi-Fi-Klänge und elektronische Musikbibliotheken. Erste Hersteller bieten Akustikwannen an, als Teil eines umfassenden Soundsystems aus Körperschallwandlern und digitaler Steuerungsbox. Per Bluetooth lassen sich fortan Musikbibliotheken abspielen. Schall- und Wasserwellen ergänzen sich perfekt. Musik fördert die Tiefenentspannung. Und die Wanne wird zum Resonanzkörper.

In Zukunft versprechen Sanitärhersteller noch etwas mehr: barrierefreie Bäder mit "hohen Aufenthaltsqualitäten". Moderne Technik regelt alles. Es gibt punktgenau ansteuerbare Massagedüsen, dimmbares Licht, Düfte und den Lieblingssong zum Aufstehen. Im Bad der Zukunft reicht ein Fingerschnippen, um das Licht zu regulieren und ein Wort, um die Wassertemperatur zu regeln. Dazu kommt eine Badgeometrie, die einen auch jenseits des Ruhestandes unterstützt. Alt ist man ja nicht über Nacht, Alter kommt eher schleichend. Spätestens, wenn man das Bein nicht mehr einfach so über den Badewannenrand schwingt, ist vielleicht ein neues Bad angesagt, eines, das sich den kleinen Zipperlein nicht in den Weg stellt. So schwer sich Barrierefreiheit in deutschen Häusern auch tut, das Bad ist gewissermaßen das akzeptierte Einfallstor für Dinge, die auch im Alter noch funktionieren sollen und so ganz nebenbei allen das Leben etwas leichter machen, wie die bodengleiche Dusche, die böse Stolperfallen beseitigt.

(Foto: SZ)

Wasser ist Wohlstand, nicht nur Hygiene und Körperkult

Das Bad hat eine erstaunliche Karriere zum alltäglichen Luxusgut hingelegt. Von der Nasszelle zum Superplanschbad und zur ganzheitlichen Erlebniswelt, die noch genauer auf unsere Bedürfnisse eingeht, von der richtigen Temperatur bis zum richtigen Klang. Bald haben wir erreicht, was uns die Römer vor 2000 Jahren vormachten. Wasser ist Wohlstand, nicht nur Hygiene und Körperkult. Barrierefreie Grundrisse und neue Technologien sorgen dann womöglich dafür, dass wir lange in der eigenen Wohnung bleiben können.

© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: