Völkerrecht:Schutzlos unterm Halbmond

Der Internationale Strafgerichtshof könnte die Angreifer verfolgen. Theoretisch. Tatsächlich wohl kaum.

Von Stefan Ulrich

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gilt als Hüter des humanitären Völkerrechts, das darauf abzielt, selbst im Krieg ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu bewahren. Dabei verhält sich das Rote Kreuz den Kriegsparteien gegenüber neutral; und es hält stille Diplomatie oft für wirkungsvoller als lautes Anprangern. Umso mehr lässt es aufhorchen, wenn IKRK-Präsident Peter Maurer den Angriff auf den Hilfskonvoi in Syrien als "ungeheuerlichen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht" brandmarkt. Der Schock sitzt tief beim Roten Kreuz und bei den Vereinten Nationen. Stephen O'Brien, der UN-Chefkoordinator für humanitäre Einsätze, spricht von einem Kriegsverbrechen und fordert eine Untersuchung.

Die Empörung ist groß - doch wird sie auch Folgen für die Täter haben, wer auch immer sie sind? Die Umstände sprechen jedenfalls dafür, dass der Hilfstransport absichtlich attackiert wurde. Die Lastwagen waren klar mit Schutzzeichen der Vereinten Nationen und des Roten Halbmonds - des Pendants zum Roten Kreuz in vielen muslimischen Ländern - gekennzeichnet.

Der Internationale Strafgerichtshof ist zuständig - aber wohl nicht in diesem Fall

Damit fielen sie unter den besonderen Schutz des humanitären Völkerrechts, wie es in den Genfer Konventionen niedergelegt ist. Dies gilt unabhängig davon, ob man den Krieg in Syrien als internationalen bewaffneten Konflikt einschätzt oder als Bürgerkrieg. Der besondere Schutz von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond und von anderen humanitären Helfern gelte als Gewohnheitsrecht auch bei internen Konflikten, sagt der Jurist Tobias Ackermann vom Institut für Humanitäres Völkerrecht der Universität Bochum.

In einer Studie des IKRK zu den gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Völkerrechts heißt es in Regel 31 kurz und klar: "Humanitäres Hilfspersonal muss geschont und geschützt werden." Gleiches gilt laut Regel 32 auch für Objekte, die für humanitäre Hilfsoperationen verwendet werden - also etwa für die in Syrien angegriffenen Lastwagen.

Die Frage ist nur, wie der mörderische Bruch des humanitären Völkerrechts geahndet werden kann. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verfolgt Kriegsverbrechen. Dazu gehören laut dem Statut des Tribunals vorsätzliche Angriffe auf "Personal, Einrichtungen, Einheiten oder Fahrzeuge", die an einer humanitären Hilfsmission beteiligt sind. Allerdings ist das Weltgericht nicht weltweit zuständig, sondern nur dann, wenn der Staat, in dem das Verbrechen geschah oder aus dem die Täter stammen, dem Tribunal beigetreten ist. Dies haben bereits 124 Länder getan. Syrien, Russland - aber auch die USA - gehören dem Haager Gericht dagegen nicht an.

Es dürfte den Angriff auf den Hilfskonvoi daher nur ahnden, wenn ihm der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Fall zuweist. Dort verfügt Moskau aber - wie auch Washington - über ein Vetorecht. Russland könnte es somit verhindern, dass das Weltgericht die Angreifer auf den Konvoi bestraft.

Aller Empörung zum Trotz wird das Verbrechen daher womöglich straflos bleiben. Philip Luther von Amnesty International sagt: "Solange die internationale Gemeinschaft nicht zeigt, dass sie es ernst damit meint, Täter vor Gericht zu bringen, werden diese entsetzlichen Verbrechen tagtäglich weitergehen."

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