Tierschutz:Tierschützer machen führenden Landwirten schwere Vorwürfe

Tierschutz: Dieses Symbolbild zeigt nicht die Aufnahmen der Tierschützer, sondern einen Zuchtbetrieb in Niedersachsen

Dieses Symbolbild zeigt nicht die Aufnahmen der Tierschützer, sondern einen Zuchtbetrieb in Niedersachsen

(Foto: imago)
  • Heimlichen Filmaufnahmen zeigen kranke, schwer verletzte oder tote Schweine sowie Ferkel, die brutal getötet werden.
  • Die Aufnahmen stammen nach Angaben einer Tierschutzorganisation von hohen Funktionären der Landwirtschaft.

Von Oda Lambrecht und Silvia Liebrich

Die Tierschutzorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) wirft vier führenden Funktionären deutscher Landwirtschaftsverbände vor, dass sie in ihren Ställen den Tierschutz massiv verletzt haben. Dies legen Filmaufnahmen nahe, die Vertreter von Ariwa heimlich in den Ställen der betroffenen Landwirte angefertigt haben. Die Aufnahmen wurden vom NDR und der Süddeutschen Zeitung gesichtet und unabhängigen Tierschutzexperten zur Begutachtung vorgelegt. Nach Ansicht dieser Experten zeigen einige der Bilder eindeutige Gesetzesverstöße. Die Verantwortlichen müssten angezeigt werden, sagt der Veterinärwissenschaftler Matthias Gauly, der als Professor an der Universität Bozen lehrt und dem Agrarbeirat der Bundesregierung angehört. Auch Diana Plange, Fachtierärztin und vereidigte Sachverständige, stellte auf den Aufnahmen zahlreiche Mängel bei der Tierhaltung fest.

Auf den Filmaufnahmen sind zum Beispiel Schweine zu sehen, die krank, schwer verletzt oder tot sind. Außerdem Ferkel, die brutal getötet werden, oder Puten, die völlig verdreckt sind und tiefe Wunden haben. Die Mitglieder von Ariwa haben die Filme im Jahr 2015 heimlich über einen längeren Zeitraum hinweg aufgezeichnet.

Das Besondere daran: Das Material stammt laut Ariwa von Betrieben hochrangiger Branchenvertreter, deren Verbände immer wieder betonen, Tierhalter würden zu Unrecht an den Pranger gestellt und wegen schlechter Zustände in Ställen kritisiert. So hatte Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), erst im Juni beim Bauerntag in Hannover gesagt: "Die deutsche Tierhaltung steht für innovative Tierhaltung, für tiergerechte Tierhaltung." Die deutschen Bauern wirtschafteten "in und mit der Natur, und wir halten unsere Tiere tiergerecht."

Die Aufnahmen von Ariwa zeichnen nun ein anderes Bild. Sie stammen nach Angaben der Tierschutzorganisation unter anderem aus den Ställen von: Paul Hegemann, dem Vorsitzenden des Zentralverbandes der Deutschen Schweineproduktion (ZDS); von Johannes Röring, dem Präsidenten des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands, der für die CDU auch im Bundestag sitzt; von Helmut Gumpert, dem Präsidenten des Thüringer Bauernverbandes sowie von Thomas Storck, dem Vorsitzenden des Putenverbands VDP.

Auf längeren Videoausschnitten, die aus Hegemanns Betrieb stammen sollen, sind verletzte Schweine zu sehen, unter anderem mit großen offenen Wunden am After und blutig gebissenen Schwänzen. Einige Tiere husten, andere haben vereiterte Augen. Das Messgerät der Aktivisten zeigt Ammoniakwerte, die um das Dreifache über dem gesetzlichen Höchstwert liegen. Eine Belastung, die zu Atemwegserkrankungen führen kann. Für Diana Plange ist dies ein Zeichen, dass im Stall nicht oft genug sauber gemacht wird.

Was in Schweineställen erlaubt ist und was nicht, steht in der Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere. Sie regelt zum Beispiel, wie stark die Luft mit Schadstoffen belastet sein darf oder wie viel Platz einem einzelnen Tier mindestens zusteht. Eine ganze Reihe dieser Vorschriften würden in Hegemanns Betrieb nicht eingehalten, meinen Plange und auch Matthias Gauly, der andere Experte, der die Aufnahmen für die SZ und den NDR gesichtet hat. Die gesamte Haltung, die auf den Bildern gezeigt werde, sei als ordnungswidrig anzusehen, erklärte Plange. "Die Tiere haben über einen längeren Zeitraum ganz erhebliche Schmerzen, Leiden und Schäden erlitten."

Eine Sprecherin Hegemanns räumte Probleme ein. "Grundsätzlich bedauern wir das Entstehen solcher Bilder, die es in einer tierwohlgerechten Schweinehaltung zu vermeiden gilt." Die Tiere seien jedoch ärztlich behandelt worden.

Mehrere Tiere seien schwer verletzt oder krank, urteilen die Experten

Andere Aufnahmen sollen aus einem Betrieb in Vreden stammen, an dem Johannes Röring beteiligt ist. Er ist einer von zwei Bauernpräsidenten in Nordrhein-Westfalen und sitzt dem Fachausschuss für Schweinefleisch des Deutschen Bauernverbands vor. Mehrere Tiere seien schwer verletzt oder krank, urteilen die beiden Experten. Plange verwies auf ein Tier, das offenbar schon länger tot sei; es sei schwer vorstellbar, dass dies bei täglichen Kontrollen übersehen worden sei. Gauly sprach von der "schlechtesten Form" von Schweinehaltung, "die man sich vorstellen kann".

Röring hat bei öffentlichen Auftritten einen anderen Anspruch formuliert. "Am Ende ist Tierwohl eine ganz wichtige Komponente für mich", sagte der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands vor zwei Jahren in Berlin. Röring ließ die Ariwa-Vorwürfe zurückweisen. In einem Schreiben teilt sein Anwalt mit, die Haltungsbedingungen im Stall seien zum Zeitpunkt der Bildaufnahmen "einwandfrei" gewesen. Das tote Tier sei erst kurz vor der Aufnahme in das Abteil gelegt worden, um es dort zu fotografieren. Die Aktivisten von Ariwa bestreiten dies.

Es ist zu sehen, wie eine Betreuerin ein Ferkel auf den Boden schleudert, um es zu töten

Weitere Aufnahmen stammen laut Ariwa aus der Ferkelzucht in Thüringen. Einer der Geschäftsführer der Agrarprodukte Laskau GmbH ist Helmut Gumpert, Präsident des Thüringer Bauernverbands. Auf dem Filmmaterial ist zu sehen, wie eine Betreuerin ein Ferkel vom Muttertier wegnimmt und auf den Boden schleudert, um es zu töten. Doch das Neugeborene überlebt und wird, zappelnd, von der Frau unter die Kante einer Stallbucht geklemmt. In einem Abfalleimer daneben liegen halb tote Ferkel, die sich ebenfalls noch regen.

"Hier ist jemand überfordert, mit dem, was er macht", meint Gauly zu den Aufnahmen. Laut Vorschrift müssen die Ferkel erst betäubt und dann durch Blutentzug getötet werden. "Sie können also nicht ein halb lebendes Ferkel so entsorgen. Wie Müll. Das darf nicht sein." Das Unternehmen teilte mit, dass der Geschäftsführung bisher keine Verstöße bekannt seien. Der Verdacht werde jedoch sehr ernst genommen und betriebsintern geprüft.

Als problematisch stufen die Tierexperten auch die Zustände ein, die auf Aufnahmen zu sehen sind, die nach Angaben von Ariwa in den Putenställen von Gut Jäglitz in Brandenburg entstanden sind. Die Anlage gehört Thomas Storck, Vorsitzender des Verbandes Deutscher Putenerzeuger (VDP). Zu sehen sind viele verletzte Tiere, einige mit großen offenen Wunden, die sie sich offenbar gegenseitig zugefügt haben, dazwischen liegen immer wieder tote Tiere. Puten neigen von Natur aus dazu, Artgenossen anzufressen. In diesem Fall, meint der Tierschutzexperte Gauly, gehe der Kannibalismus jedoch zum Teil weit über das hinaus, was üblich sei. Er äußerte Zweifel, dass sich Tiere in diesem Zustand überhaupt noch verkaufen ließen: "Was da vom Hof geht, ist nicht etwas, das der Durchschnittsbürger wirklich essen will."

Inzwischen entlassene Mitarbeiter hätten sich falsch verhalten

In Putenställen gibt es, anders als in Hühner-, Schweine- oder Kuhställen, keine verbindlichen Haltungsregeln. Mehrere Anläufe, Puten in die Verordnung zur Nutztierhaltung aufzunehmen, sind gescheitert. Die Bundesregierung lehnte zuletzt im Februar einen entsprechenden Antrag des Bundesrates ab. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) setzt lieber auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Branche wie die Geflügelcharta, die 2015 verabschiedet wurde. Darin heißt es: "Verstöße gegen unsere Prinzipien nehmen wir nicht hin. Wer sich nicht gut um unsere Tiere kümmert, wird aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen." Storck bekennt sich zur Charta und hat sie auch offiziell an Schmidt übergeben.

In einer schriftlichen Antwort an SZ und NDR bedauert Storck die Vorfälle in seinem Stall. Er betont, er selbst sei im Herbst vergangenen Jahres auf die Probleme aufmerksam geworden. Inzwischen entlassene Mitarbeiter hätten sich falsch verhalten, die Missstände seien beseitigt.

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