Europäische Kommission:Von Tabak-Lobbyisten und Kartenlegern

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Die Geschichte der Kommission lässt sich auch als Geschichte ihrer Skandale erzählen. Nun versucht man hektisch, den Schaden einzudämmen.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer

Die Sache duldete keinen Aufschub. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Bahamas-Leaks unterschrieb EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen Brief an Ex-Kommissarin Neelie Kroes - mit der dringenden Bitte um "Klarstellungen". Die Nachricht, dass die Niederländerin als Mitglied der EU-Kommission jahrelang Direktorin der Mint Holdings Limited mit Sitz auf den Bahamas war, hat ihren früheren Arbeitgeber aufgeschreckt. "Wir haben sehr strenge Regeln, strengere als irgendjemand sonst", ließ Juncker seinen Sprecher erklären. Es sei "wichtig, dass diese Regeln eingehalten werden von allen, die die Ehre haben, als Mitglieder der Kommission zu dienen". Es ist bezeichnend, dass die EU-Kommission den Fall Kroes selbst zu einer Frage der Ehre erhebt. Das mutmaßliche Fehlverhalten der früheren Kommissarin trifft sie im Kern.

Zu tun hat das mit dem besonderen Wesen einer Institution, die in einigen Bereichen mehr Macht auf sich vereint als jede nationale Regierung in der EU, der es aber auf der anderen Seite an "eigenständiger Legitimation bei den gesellschaftlichen Kräften in den Mitgliedsstaaten" fehlt, wie es in einem Lehrbuch heißt. Kommt die Affäre einer Vorgängerregierung heraus, nützt das in den Mitgliedsstaaten den Nachfolgern im Zweifel eher als dass es ihnen schadet. Die Kommission aber, ohnehin oft als Sachwalterin von Wirtschaftsinteressen im Verdacht, muss um ihre Glaubwürdigkeit als Institution fürchten.

Interne Prüfer monierten das Verhalten Cressons. Doch die Kommission handelte nicht

Deshalb ist es für sie so gefährlich, dass sich ihre Geschichte auch als Geschichte der Skandale erzählen lässt. Eine ihrer schwärzesten Stunden erlebte die Brüsseler Behörde 1999, als das gesamte Kollegium unter dem damaligen Präsidenten Jacques Santer zurücktrat. Auslöser war die Affäre Cresson, die zum Symbol für EU-Vetternwirtschaft wurde. Édith Cresson, frühere französische Premierministerin und damalige EU-Wissenschaftskommissarin, hatte unter anderem ihrem Zahnarzt eine Stelle als "hochrangigen Wissenschaftler" verschafft. Der Mediziner, der Cresson privat als Kartenleger gedient haben soll, fertigte für 120 000 Euro Honorar ziemlich inhaltsarme Berichte an. Cresson war für das Programm "Leonardo da Vinci" mit einem Volumen von 600 Millionen Euro zuständig. Interne Prüfer monierten jahrelang Unregelmäßigkeiten, ohne dass die Spitze der Kommission handelte.

Im Jahr 2006 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass Cresson gegen die Verhaltensregeln der Kommission verstoßen hatte. Die Behörde habe ihr zu Recht Vetternwirtschaft vorgeworfen. Cressons Pensionsansprüche kürzten die Richter jedoch nicht. Das Urteil selbst sei eine angemessene Strafe, hieß es. Cresson wurde beschuldigt, während ihrer Zeit als EU-Kommissarin von 1995 bis 1999 Freunde in hohe Ämter befördert zu haben, für die sie nicht qualifiziert waren.

Die Affäre Cresson führte dazu, dass die angeschlagene Kommission das Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) gründete. Bis heute ist es Aufgabe der Ermittler, Betrug und Korruption in den EU-Institutionen aufzuklären. Allerdings wurde zuletzt die Immunität des OLAF-Chefs Giovanni Kessler teilweise aufgehoben. Die belgische Justiz will klären, inwieweit Kessler strafrechtlich verantwortlich ist für ein möglicherweise illegal aufgenommenes Telefongespräch eines Tabaklobbyisten mit einem Bekannten des ehemaligen EU-Gesundheitskommissars John Dalli. OLAF war zu dem Schluss gekommen, dass Dalli von einem Bestechungsversuch des Bekannten gewusst, aber nichts dagegen unternommen habe. Dabei soll der Versuch unternommen worden sein, für 60 Millionen Euro eine Änderung der EU-Regeln zu erreichen. 2012 trat Dalli zurück.

EU-Kommissare in der Kritik: Neelie Kroes war bis 2009 auch Direktorin einer Briefkastenfirma; der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso wechselte diesen Juli zu Goldman Sachs; Édith Cresson musste 1999 zurücktreten, weil ihr Vetternwirtschaft vorgeworfen wurde. (Foto: Marcel van Hoorn/AFP, Dominique Faget/AFP, Sean Gallup/Getty)

Erst kürzlich zog Junckers Amtsvorgänger José Manuel Barroso Kritik auf sich. Der "Frühstücksdirektor", wie ihn der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit einst verspottete, arbeitet nun als Berater der US-Investmentbank Goldman Sachs. Nach Empörung vor allem in Frankreich und auf Drängen der EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly degradierte Juncker seinen Vorgänger zum schlichten Interessenvertreter.

Gerade im Fall Kroes wird sich Juncker wohl keine Nachlässigkeit vorwerfen lassen wollen. Schon jetzt verweisen seine Leute auf Artikel 245 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU. "Die Mitglieder der Kommission haben jede Handlung zu unterlassen, die mit ihren Aufgaben unvereinbar ist", heißt es dort. Genauer: "Die Mitglieder der Kommission dürfen während ihrer Amtszeit keine andere entgeltliche oder unentgeltliche Berufstätigkeit ausüben." Im Verhaltenskodex für EU-Kommissare wird das noch erläutert, inklusive ausführlicher Auskunftspflichten, die Kroes verletzt hat, als sie ihren Direktorenposten in den Bahamas nicht deklarierte.

Eine Kürzung ihrer Pension ist denkbar, aber Kroes hat nicht viel zu befürchten

Mit reichlich Verspätung und als Reaktion auf Nachfragen von Journalisten informierten die Anwälte der Niederländerin Juncker am Freitag vergangener Woche per E-Mail über diesen "administrativen Fehler". Die E-Mail wurde allerdings zunächst nicht bemerkt, weshalb es auf mehrfache Nachfragen der SZ hieß, die Kommission habe keine Kenntnis von dem Fall. Entdeckt wurde die Mail erst am Mittwoch einige Stunden vor Veröffentlichung der Bahamas-Leaks. Mit Verzögerung erst begann deshalb im Brüsseler Berlaymont-Gebäude das Krisenmanagement. Es zielt darauf ab, den Schaden für den Ruf der Kommission als Institution einzudämmen.

Die ersten Reaktionen zeigen, wie schwer das wird. "Zu oft heißt 'Europäische Kommission': Steuertricks, Briefkastenfirmen und Lobbydeals", beklagte der Vizevorsitzende des Untersuchungsausschusses zu den Panama Papers im Europäischen Parlament, der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi. Auch Christdemokraten im EU-Parlament sind alarmiert und fordern nun noch mehr Einsatz gegen Steuerflucht. "Die Leaks zeigen, dass es um ein strukturelles Problem geht und nicht um die Skandale einzelner Individuen", sagte Dariusz Rosati von der Europäischen Volkspartei (EVP). "Die Kommission und ihr Präsident sind stolz darauf, die internationalen Bemühungen gegen Steuervermeidung anzuführen", meinte Junckers Sprecher klarstellen zu müssen.

Kroes selbst hat nicht wirklich viel zu befürchten. Die EU-Kommission könnte beim EuGH die Kürzung ihrer Pension und anderer Ansprüche beantragen. Die Ex-Kommissarin allerdings hat zwar Übergangsgeld erhalten, eine EU-Pension aber ließ die 75-Jährige sich nie auszahlen.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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