Geher Alex Schwazer:Urinprobe für den Staatsanwalt

IAAF World Race Walking Team Championships - Day Two

Alex Schwazer (Archivbild).

(Foto: Getty Images for IAAF)

Doping oder Komplott? Der Positivtest von Top-Geher Alex Schwazer ist ein mysteriöser Krimi - nun beschlagnahmen die Ermittler seine Urinprobe.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Die Mitarbeiter des Kölner Anti-Doping-Labors erhielten kürzlich ungewöhnlichen Besuch. Vertreter der Staatsanwaltschaft standen vor der Tür. Sie hatten es auf ein ganz bestimmtes unter den zigtausend Röhrchen in den Räumen des Labors abgesehen. Darin: der Urin des italienischen Top-Gehers Alex Schwazer, abgegeben am 1. Januar 2016 und Monate später als positiv detektiert. Die Besucher beschlagnahmten die Probe, sie wird an die Ermittlungsbehörden in Bozen geschickt - als zentrales Puzzlestück in dem wohl rätselhaftesten Dopingkrimi der jüngeren Sportgeschichte.

Der Fall Schwazer, 31, begann kurz vor den Sommerspielen 2012. Damals wurde der Geher positiv auf Epo getestet. Er gestand den Betrug unter vielen Tränen, wurde vier Jahre gesperrt - und stellte sich fortan den Behörden als Kronzeuge zur Verfügung. Schwazer packte aus über Doping in der Leichtathletik. Und er nahm sich den renommierten Dopingbekämpfer Sandro Donati als Trainer, um in Rio ein Comeback zu starten. Er qualifizierte sich auch. Doch am 21. Juni ereilte ihn erneut ein positiver Befund: diesmal auf anabole Steroide.

Schwazer bestreitet Doping vehement. Und sein Lager hegt einen Verdacht: Manipulation und eine sportpolitische Verschwörung steckten hinter dem neuerlichen Positivtest. Um den Kronzeugen Schwazer, der italienische Funktionäre und Trainer schwer belastet hat, abzustrafen - und um Donati zu stoppen. Der Wissenschaftler hatte einst ein Betrugsnetzwerk rund um Italiens Sportdachverband Coni und das Kontrolllabor in Rom aufgedeckt; seither spielt er eine zentrale Rolle in der Dopingstrafverfolgung des Landes. Im aktuellen Fall ist nun zu klären, ob ein Wiederholungstäter nur Theater spielt - oder ob tatsächlich ein Komplott vorliegt.

Allerlei Merkwürdigkeiten

Vor der Sportgerichtsbarkeit reichten die Argumente von Schwazer/Donati nicht aus. Der internationale Sportgerichtshof Cas bestätigte kurz vor den Spielen in Rio eine Acht-Jahres-Sperre. Der Bozener Staatsanwaltschaft aber erscheint die Verschwörungs-These keineswegs als völlig abwegig. Sie veranlasste nun die Beschlagnahme in Köln. Derlei, sagt Laborchef Wilhelm Schänzer, habe er nur ganz selten erlebt. Ein DNA-Test soll nun klären, ob sich im Röhrchen überhaupt Schwazers Urin befindet - und falls ja, was sonst noch.

Es gibt um diese Probe allerlei Merkwürdigkeiten. Schlüsselprotagonisten aber wollen sich dazu nicht äußern. Der Leichtathletik-Verband IAAF verweist auf sein vertrauliches Ergebnis-Management, die damals beauftragte Kontrollfirma GQS aus Stuttgart verweist pauschal auf die IAAF, obwohl sich viele Aspekte einer SZ-Anfrage konkret nur auf die Firma beziehen.

Nach SZ-Recherchen lässt sich der Vorgang bisher so rekonstruieren: Schon Mitte Dezember 2015 erging der Auftrag des Weltverbands an GQS, Schwazer zu kontrollieren. Doch erst am 1. Januar 2016 um 7.30 Uhr morgens tauchten Kontrolleure in dessen Südtiroler Heimatort Kalch auf. Nach gut einer Stunde war die Prozedur erledigt - jedoch kam der Urin gemäß vertraulicher Unterlagen erst mehr als 24 Stunden später im Labor in Köln an, am 2. Januar um 10.20 Uhr. Auch Formfehler soll es in dieser Zeit gegeben haben, unter anderem wurde nach Lage der Dinge auf dem Formular die strikt vorgeschriebene Anonymität nicht gewahrt. Zu den Kernfragen gehört natürlich auch, wie und wo der Urin in den mehr als 24 Stunden gelagert wurde. Eine mögliche Verfälschung der Probe müsste wohl bis zum 2. Januar passiert sein; danach wurde der Urin ja in Köln verwahrt.

Erst negativ, dann positiv

Merkwürdigkeiten passierten aber auch im Anschluss. Der erste Test der Schwazer-Probe Anfang Januar ergab nichts Auffälliges, auch nicht beim sogenannten Testosteron/Epitestosteron-Quotienten. Hier beträgt der offizielle Grenzwert 4:1, Schwazer lag darunter (3,5:1). Manche Verbände wie die IAAF legen von ihren Athleten jedoch Steroidprofile an, um die Entwicklung individueller Werte abgleichen zu können. Verfehlt bei einem Negativtest der Testosteron-Quotient die übliche Norm eines Athleten, erhalten Verband und einige Laborexperten nach rund zehn Tagen Bescheid. Und können weitere Analysen tätigen.

Die IAAF beauftragte allerdings erst im April, kurz vor Ende der vorgeschriebenen Aufbewahrungsfrist für Negativproben, das Kölner Labor mit einem verfeinerten Nachtest. Und jetzt fiel der Test positiv aus. Bereits am 13. Mai erhielt die IAAF aus Köln den Bescheid - danach aber tat sich wieder lange nichts, obwohl sich Schwazer an der Olympia-Qualifikation versuchte.

Mysteriöse Anrufe

Allerdings erhielt sein Trainer Donati in dieser Zeit Anrufe, dass sein Schützling andere Athleten siegen lassen solle. Diese Drohungen, sagt Donati, hätten ihn aus Kampfrichter-Kreisen erreicht, er schnitt die wiederholten Anrufe mit und übergab das Audiomaterial den Strafbehörden. Schwazer qualifizierte sich für Rio. Aber dann folgte der Schock: Am 21. Juni - erst 39 Tage nach Erhalt des Befundes - informierte die IAAF den Athleten und sperrte ihn.

Womöglich kann die beschlagnahmte Probe jetzt helfen, das Mysterium aufzuhellen. Eine Grundsatzfrage ist ja seit Aufdeckung des russischen Staatsdopings schon geklärt: Dopingproben-Behälter lassen sich diskret öffnen und wieder verschließen. Befände sich in Schwazers Probe eine andere DNA, wäre der Fall klar. Ließe sich aber nur Schwazers DNA feststellen, hieße auch das nicht zwangsläufig, dass der Geher gedopt hat. Die Probe könnte auch auf andere Weise manipuliert worden sein, etwa durch Hinzugabe von verbotenen Substanzen. Donati ist gerade dabei, eine Liste zusammenzustellen, welche Tests an der beschlagnahmten Probe durchzuführen seien.

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