Türkische Chronik (VII):Türkei zieht Schrauben der Unterdrückung weiter an

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Die Türkei kommt auch knapp drei Monate nach dem Putsch nicht zur Ruhe, immer wieder gibt es Proteste. (Foto: Ilyas Akengin/AFP)

Was Kritiker schon lange befürchteten, bestätigen jetzt geleakte E-Mails: Staatsmacht und Medien gehen in der Türkei Hand in Hand.

Gastbeitrag von Yavuz Baydar

Die Lage in der Türkei verdüstert sich täglich mehr. Die Geschichte des Landes, das einmal voller Hoffnung auf Verbesserung war, verwandelt sich immer mehr in einen Albtraum.

Die Schrauben der Unterdrückung werden immer stärker angezogen. Am Mittwochabend, nach einem sechsstündigen Treffen, wurde verkündet, dass der Nationale Sicherheitsrat, dessen Vorsitzender Präsident Erdoğan ist, beschlossen habe, eine Verlängerung des Ausnahmezustands zu empfehlen.

Das deckt sich mit dem erklärten Wunsch von Erdoğan und dem Premierminister Binali Yıldırım, das Land auch weiterhin per Dekret zu regieren. Höchstwahrscheinlich wird das "Dekretsregime" nach dem 21. Oktober für weitere drei Monate gelten. Da die Verfassung keine zeitliche Beschränkung für diese Notstandsverwaltung vorsieht, fürchten viele prominente Figuren aus der Opposition, dass sie auf Dauer fortgesetzt werden könnte.

Die Geschichte lehrt, dass autoritäre Herrschaft oft das Resultat von innerem Verfall ist. Die Ereignisse in den letzten Wochen und Monaten, vor und nach dem Putschversuch, machen überdeutlich, wie weit sich die Fäulnis innerhalb der staatlichen Institutionen ausgebreitet hat: in Form von ideologischer Rigidität, Parteilichkeit und dem wachsenden Einfluss machthungriger Gruppen ohne demokratisches Mandat. Doch auch weite Teile der politischen Klasse und der Oberschicht sind davon befallen.

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Was, wenn auch die Medien betroffen sind? Wie sollen sie gegen die Korruption kämpfen, wenn sie selbst ihre Geisel sind? Das ist einer der beunruhigendsten Aspekte des Niedergangs der Türkei.

Die Reste der Opposition empfinden nur noch Abscheu und Hoffnungslosigkeit

Eine aktuelle Geschichte zeigt, wie sehr die Beziehungen zwischen Macht und Medien von dieser Korruption infiziert sind. Auf der einen Seite steht RedHack, eine Gruppe junger Hacker, auf der anderen die Regierung. Doch dann kam der größte türkische Medienkonzern, die Doğan-Gruppe, mit ins Spiel. Seitdem empfinden die Reste der Opposition nur noch Abscheu und Hoffnungslosigkeit.

Die Geschichte begann, als RedHack am letzten Freitag in den sozialen Netzen erklärte, es habe den E-Mail-Account des Energieministers gehackt, der auch Schwiegersohn Erdoğans ist. Wenn die Regierung nicht bis Montag alle "politischen Gefangenen" freigelassen habe, würde RedHack die gesamte Korrespondenz des Ministers veröffentlichen. Die Behörden nahmen umgehend einige Verdächtige fest. Deren Anwälte erklärten, ihre Mandanten seien in der Haft gefoltert worden. Doch mehr konnten die staatlichen Stellen nicht tun.

Von Dienstag an schlugen die Leaks ein wie Bomben. Bald war klar, dass eine Figur im Mittelpunkt stand: Mehmet Ali Yalçındağ, der oberste Manager von Doğan Media, der in einer liebedienerischen Korrespondenz mit dem Minister, dessen Bruder und einem Berater des Präsidenten versuchte, die Gunst des Regimes zu gewinnen.

Die geleakten Mails stammen aus der Zeit von Mitte 2015 bis nach dem Putschversuch im vergangenen Juli. In einer Mail vom 6. Mai schreibt der Doğan-Manager an den Minister, er sei "offen" dafür, die politische Haltung des Blatts nach den Wünschen der Regierung zu justieren. "Es wäre sehr nützlich", schreibt er, "wenn wir die Positionen unserer Mediengruppe evaluieren würden. An zwei Punkten müssen wir entschieden sein: der Kampf gegen die 'Parallelstruktur' (er meint die Gülenisten) und für das Präsidentialsystem."

Eine Woche später schreibt Yalçındağ an den Berater Erdoğans und setzt den Minister in cc. Er bittet darum, an der Willkommenszeremonie für Erdoğan teilnehmen zu dürfen.

In einer Mail, die er an den Energieminister und dessen Bruder schickte, der Chef der Tageszeitung Sabah aus dem Konkurrenzunternehmen von Doğan ist, berichtet Yalçındağ ausführlich über ein Treffen mit Aydin Doğan. Er erzählt, dieser habe sich darüber beklagt, dass kritische Kolumnisten weiterhin für Hürriyet schreiben. Er erklärt, er plane, den Chefredakteur durch einen anderen zu ersetzen, der so regierungstreu wie möglich sei. Er bat nur noch um etwas Geduld.

In anderen Mails geht er noch tiefer in die Details. Er bezeichnet einige Doğan-Redakteure als "Feinde" und erklärt, wie sehr er mit dem Herausgeber und Chefredakteur von Hürriyet kämpfen musste, um zu verhindern, dass der Chef der Hürriyet-Büros in Ankara, Deniz Zeyrek, nicht im zur Doğan-Gruppe gehörenden Sender CNNTürk auftrat.

Yalçındağ schreibt an Erdoğans Berater und Serhat Albayrak, um ihm zu sagen, wie unglücklich er war, dass Premierminister Yıldırım Zeyrek ein Interview gegeben habe. Und er fährt fort: "Aber heute morgen lud unser Energieminister Deniz nicht zu seinem Pressegespräch ein. Super!" In einer anderen Mail schreibt Yalçındağ, wie toll es sich anfühle, so eng mit dem Präsidenten und dem Energieminister zu sein.

Und da ist noch mehr, aus der Zeit nach dem Putschversuch. Yalçındağ berichtet Erdoğans Berater von einem Besuch bei dem hohen General Yaşar Güler:

"General Yaşar sagte, wenn Aydin (Doğan) mir nicht diesen Job gegeben hätte, gäbe es die Doğan-Gruppe wahrscheinlich nicht mehr. 'Sie haben die Firma gerettet. Wir alle sollten streng über unsere nationale Einigkeit wachen. Ich hoffe, sie setzen das in Zukunft fort', sagte er. Und ich antwortete: Ja, mein Kommandant!"

"Mein Computer wurde irgendwie gehackt"

Am 18. August, einen Monat nach dem Putschversuch, schreibt Yalçındağ an den Minister und spricht davon, wie sehr er sich über einen Anruf des Präsidenten gefreut habe. "Ich rief unseren geschätzten Präsidenten an und übermittelte ihm meine besten Wünsche. Ich sprach ihn als ,Oberkommandierenden' an. Das mochte er sehr. Er entgegnete, da unsere Verfassung das vorsehe, könne ich das ruhig sagen. Wir lachten."

Bis zu diesem Donnerstag hat sich weder das Büro von Minister Albayrak noch der Präsident zu den Leaks geäußert. Yalçındağ behauptet, die Mails seien nicht von ihm. "Ich habe diese Mails nicht geschickt", sagt er. "Mein Computer wurde irgendwie gehackt."

Die Ironie liegt darin - auch das belegen die geleakten Mails -, dass es sich um dieselbe Person handelt, dessen Firma dem türkischen Militär ein System gegen Cyber-Angriffe verkaufen will.

Natürlich fand sich in den Zeitungen und Sendern der Doğan-Gruppe am Mittwoch kein Wort zu dieser Geschichte. Auch nicht in den anderen Medien, die den Mogulen gehören, die sich mit Erdoğan so gut arrangiert haben. Nur die unabhängige Zeitung Cumhuriyet machte mit der Geschichte auf der Titelseite auf.

Für die wenigen unabhängigen Redakteure und Reporter, die es in der Türkei noch gibt, waren die Leaks nicht überraschend. Die Doğan-Gruppe sucht seit Langem die Nähe zu den Machthabern. Im Jahr 2001 feuerte ihr Besitzer eine Gruppe von Kolumnisten, die sich gegen ein Gesetz ausgesprochen hatten, das den Medienmogulen den Löwenanteil der Branche sicherte. 2004 ging er so weit, den Ombudsmann der Zeitung Milliyet zu entlassen. Und als die AKP ihre Machtbasis weiter ausbaute, musste ein bekannter Journalist nach dem anderen gehen.

© SZ vom 30.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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