Pop:Der Schatten des Vaters

Embryo

Familienmusikurlaub: Christian Buchard (links) am Vibrafon und seine Tochter Marja (rechts) am Keyboard - hier im Süden Spaniens.

(Foto: Trikont)

Christian Burchards Tochter Marja führt "Embryo" weiter. Bei Trikont ist ein neues Album erschienen

Von Dirk Wagner

Fast möchte man ein Bibelzitat abwandeln, um die Münchner Multi-Instrumentalistin Marja Burchard zu beschreiben: Im Anfang war der Klang. Und der Klang wurde Fleisch. Tatsächlich nämlich scheint sie als personifizierter Klang alles, was sie berührt, in Musik verwandeln zu können. Darum genügten ihr auf einer Jam-Session mit der Münchner Krautrock-Formation Karaba auch nur Armreifen und Schlüssel, um damit den Sound der Band spannend zu erweitern. Mittlerweile sitzt sie dort als festes Mitglied am Schlagzeug und am Vibrafon. Bei der Express Brass Band spielt sie die Posaune, und in der von ihrem Vater Christian Burchard gegründeten Weltmusik-Legende Embryo spielt sie seit ihrem elften Lebensjahr Marimba, Vibrafon, Akkordeon, Klavier, Schlagzeug und Posaune. Um die Band auf ihren Tourneen auch jenseits der Bühne zu unterstützen, hat Marja sogar einen Lkw-Führerschein gemacht.

Auf dem neuen, bei Trikont erscheinenden Studioalbum von Embryo, "It Do", sind nun erstmals auch Eigenkompositionen der mittlerweile 30-jährigen Musikerin zu hören, die regelrecht in jene 1969 gegründete Band hineingeboren wurde, deren Führung sie allmählich übernimmt. Seit der siebzigjährige Christian Burchard vor einigen Wochen einen Schlaganfall erlitt, muss er, der auf dem neuen Album noch mitwirkt, nämlich pausieren. Weil Embryo aber nicht sterben darf, wie Marja Burchard betont, ist die Tochter nun entschlossen, das Erbe ihres Vaters anzutreten: "Mir wurde oft nachgesagt, dass ich bei Embryo nur der Schatten meines Vaters sei. Aber ich finde es großartig, sein Schatten zu sein. Mein Vater hat schließlich so viel Großes geleistet", schwärmt die Tochter des Mannes, der als Musiker sehr früh schon erkannt hat, dass sein wichtigstes Instrument nicht das Vibrafon, das Schlagzeug oder die Orgel ist, sondern das Gehör, das neugierig sämtliche Klangwelten in sich aufnahm, durch die Christian Burchard mit seiner Band wandelte.

Als diese Ende der Siebzigerjahre mit Unterstützung des Goethe-Instituts durch Indien tourte, spielte sie dort nicht nur ihr in München geschaffenes Repertoire. Vielmehr nutzte die Band die Gelegenheit, mit indischen Musikern zusammenzuarbeiten, was auch bedeutete, dass sie sich auf deren Musik einlassen musste. Statt der in Westeuropa üblichen Halbtöne nutzte Embryo folglich auch die in anderen Kulturen gängigen Vierteltöne. Später ließ Christian Burchard sich deshalb auch eigens Instrumente mit Vierteltonstimmungen bauen. Indem er nun eine westeuropäisch geprägte Jazzmusik neben Krautrock mit den anderen Musikformen fremder Kulturen vereinte, schuf Burchard bereits eine Weltmusik, bevor es diesen Namen dafür gab. Das Interesse an anderen Musikformen faszinierte sehr bald auch Burchards Tochter, die mit siebzehn Jahren eine Arbeit über die marokkanische Gnawa-Musik schrieb, eine Musik also, die von einer Bruderschaft als Heiler-Musik entwickelt wurde, die die zu heilenden Menschen in Trance versetzt. Ob man diese Musik entweiht, wenn man sie einer Popmusik zuführt, überlegte Marja schon vor dreizehn Jahren: "Wenn man zurück denkt, waren viele Musikrichtungen nur für Gott gedacht. So gesehen, wäre es nie zu uns, also zu Embryo gekommen, wenn es hier keine Veränderungen gegeben hätte und wir also diese Musik auch hören durften. Insofern haben Veränderungen auch was Gutes, zumal man meiner Meinung nach Musik gar nicht entweihen kann. Musik ist ja selbst schon was Heiliges", sagt Marja Burchard, die so verankert in der Musikwelt ist, dass sie den russischen Schriftsteller Dostojewski glatt als "John Coltrane des geschriebenen Wortes" bezeichnet.

Trotzdem studierte Marja Burchard nicht Musik, sondern Ethnologie. Eine Dokumentation über Pygmäen habe sie nämlich mal in der Jugend aus einer Depression befreit: "Ich fand das damals so toll, dass es also nicht nur unsere Lebensweise gibt, sondern auch ganz viele andere", sagt Burchard und lenkt ein: "Musik spielte ich ja eh schon. Aber die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit anderen Kulturen hat mich sehr gereizt." Unter der Anleitung eines indischen Musikers, der eine Viertelton-Trompete entwickelt hat, jammte sie diese Woche in einer Werkstatt. Zwei weitere Musiker bei der Jam-Session werden Embryo diesen Freitag im Kafe Kult auf der Oud und der Bratsche unterstützen. Letztlich ist Embryo nämlich auch unter der Führung von Marja Burchard gelebte Ethnologie, die nicht kolonialistisch auf andere Kulturen blickt, sondern diese interkulturell verinnerlicht.

Embryo, Freitag, 30. September, 21.30 Uhr, Kafe Kult, Oberföhringer Str. 156

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