Giftstoff:Verdämmt noch mal

Mehr als jedes zweite Haus in Deutschland dürfte irgendwo Styropor verbaut haben. Doch die Platten werden nun zum Problem - wegen eines nachträglich zugefügten Stoffes, der ab Freitag als Sondermüll gilt.

Von Michael Bauchmüller

Wenn es in deutschen Häusern heute auch im Winter schön warm ist, dann hat das eine Menge mit Eduard Simon zu tun, einem Apotheker aus Berlin. Er experimentierte mit dem Harz des Storaxbaums. 1839 gewann er so eine ölige Substanz, er nannte sie Styrol. Andere forschten weiter und machten aus Styrol Polystyrol. Wieder andere machten aus Polystyrol weiße Kügelchen und daraus ganze Platten, vulgo Styropor.

Seit den Fünfzigerjahren dämmen solche Platten Fassaden und Dächer, sie umgeben Fußbodenheizungen oder verringern den Trittschall. Energiespar-Gesetze verhalfen der Dämmung in den Siebzigern endgültig zum Durchbruch. Mehr als jedes zweite Haus in Deutschland dürfte irgendwo Styropor verbaut haben. Und mehr als jedes zweite Haus hat daher von diesem Freitag an ein Problem. Denn an den Fassaden klebt ab sofort nicht mehr nur Polystyrol, sondern Sondermüll.

Schuld ist nicht der Forschergeist des Herrn Simon, sondern ein nachträglich beigemengter Stoff: Hexabromcyclododecan, kurz HBCD. Seit gut fünfzig Jahren sorgt er dafür, dass die Polystyrolplatten nicht so leicht entflammbar sind. Es war der günstigste Brandschutz für das günstigste Dämmmaterial, deshalb ist er so verbreitet. Nach Zahlen des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik wurde die Dämmung zwischen 1950 und 2012 an 720 Millionen Quadratmetern Gebäudefläche verbaut. Was keiner wusste: HBCD ist giftig und obendrein verdammt langlebig.

Gefährlich ist das nicht für die Bewohner und auch nicht für diejenigen, die mit dem Stoff hantieren. Doch die kleinen Kügelchen gelangen in Flüsse oder Seen, Tiere halten sie für Nahrung. So reichert sich der Schadstoff in der Umwelt an. 2013 begann das Verfahren für das Verbot des Stoffes in der EU, diesen Freitag zündet die letzte Stufe: die offizielle Einstufung als "gefährlicher Stoff" - Sondermüll.

Chaos herrscht schon jetzt. Viele der betroffenen Häuser sind mittlerweile reif für eine Sanierung. Die alte Dämmung kommt runter, eine neue rauf. Bisher wurde das Polystyrol meist über Müllverbrennungsanlagen entsorgt. Was das giftige HBCD angeht, leisten die eigentlich ganze Arbeit: In der Hitze des Ofens zerfällt der Stoff. Doch durch die neue Einstufung gelten plötzlich ganz andere Regeln.

Um das Zeug verbrennen zu können, brauchen die Öfen nun Sondergenehmigungen - die wenigsten haben eine. Auch darf der Dämmstoff nicht mehr zusammen mit anderem Müll verbrannt werden. Wird er aber in größeren Mengen getrennt verfeuert, ist die Hitze größer, als die meisten Anlagen es aushalten. Die Folge: Kaum einer nimmt den Stoff noch an.

Auch Wertstoffhöfe wollen mit Styropor nichts mehr zu tun haben. Schließlich birgt jedes Kügelchen ab sofort akutes Giftrisiko. Selbst Reste von Putz oder Kleber gelten als kontaminiert. Containerfirmen weigern sich, Bauschutt mit dem alten Dämmmaterial abzufahren. So bleibt er auf den Baustellen liegen. "Die Situation eskaliert stündlich", sagt Michael Heide, Geschäftsführer des Bauindustrie-Verbands ZDB. Derweil plagen den Mieterbund ganz andere Sorgen: Vermieter könnten auf die Idee kommen, die teurere Entsorgung auf die Mieter umzulegen. So wie einst die Verlegung der Dämmplatten.

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