Stilkritik zu Tank Top:Freie Arme für freie Kerle

Justin Bieber 'Purpose' Tour - New York

Mr. Tank Top: Justin Bieber bei einem Auftritt in New York im Sommer 2016.

(Foto: Kevin Mazur/Getty Images)

Während Frauen gern etwas weniger tragen dürfen, wird das Tank Top für Männer in die Schmuddelecke gedrängt. Wo bleibt da bitte die Gleichberechtigung?

Von Thomas Hahn

Über die inneren Werte der Äußerlichkeit nachzudenken, klingt nach Schlittenfahren auf der Blumenwiese. Aber hat man denn noch eine Wahl? Die Debatte um die Frage, wer was wann wo an- beziehungsweise ausziehen sollte, läuft und läuft und läuft. Auch der moderne Mann sieht sich immer tiefer verwickelt in die Dress-Code-Fragen des Alltags.

Wahrscheinlich hat das auch damit zu tun, dass Frauen im Zuge der Gleichberechtigung dazu übergegangen sind, ihre Männer nach ihren persönlichen Vorstellungen anzukleiden. Außerdem wollen Männer heute gefallen, vor allem auffallen. Ohne Sinn fürs enge, Haut zeigende Accessoire wollen deshalb viele nicht mehr auskommen.

Das erklärt, warum das Tank-Top-Verbot von Hamburg ein Echo in der ganzen Republik findet. In dieser Woche wurde bekannt, dass sich zwei Fitnessstudio-Besucher an die Antidiskriminierungs-Stelle des Bundes gewandt haben, weil ein Mitarbeiter sie nicht in ärmellosen Shirts hatte trainieren lassen. Der Fall zeigt auf verwirrende Art, wie unterschiedlich Männer und Frauen bei der Kleiderordnung behandelt werden. Warum ist das so?

Frauen dürfen jedenfalls immer gerne etwas weniger tragen. Im Frauen-Beachvolleyball besteht sogar so etwas wie ein Bikini-Gebot. So etwas ist bei Geschlechtsgenossen nicht vorgesehen. Die sollen sich lieber bedeckt halten und ihre Reize verbergen.

Männerrechtler sind empört über die Ungerechtigkeit. Und das Tank Top gerät in die Schmuddelecke - dabei ist es ein so wunderbares Beispiel dafür, wie auch Wäsche Karriere machen kann.

Imagewandel fürs Unterhemd

Tank Tops hießen mal Unterhemd und gehörten zum Spießigsten, was der Kleiderschrank hergab. Dann kam eine Generation von sogenannten ganzen Kerlen, welche ein derart gutes Verhältnis zu ihrer Schulterpartie hatten, dass sie die normale Oberbekleidung irgendwann einfach wegließen.

Der junge Marlon Brando gehört zu den Pionieren eines neuen schulterfreien Bewusstseins, er machte als Vorzeige-Prolo Karriere und gab der Funktionswäsche Sex-Appeal. Inspiriert war er dabei offensichtlich vom Stil der Landarbeiter, die ihren Job aus praktischen Erwägungen im Unterhemd verrichteten. Eine historische Aufnahme zeigt Brando schwitzend und im fleckigen Ärmellosen wie das Denkmal einer Mode, die erst noch Mode werden sollte.

Tank Tops kann nicht jeder tragen. Sie inszenieren den jugendlichen, muskulösen Körper. Wer schon etwas aus dem Leim gegangen ist, der fühlt sich im Tank Top eher entblößt und seine Unförmigkeit den Blicken ausgesetzt. Gut möglich, dass sich das Teil auch deshalb schwer tut, gesamtgesellschaftlich Anerkennung zu finden: Der durchschnittliche Wohlstandsmann von 35 Jahren aufwärts eignet sich nicht als Tank-Top-Träger und denkt wahrscheinlich: Wenn ich es nicht tragen kann, sollen es auch die Gutgebauten nicht tun. Männer können sehr neidisch sein auf die Vorzüge anderer.

Man wächst mit der Zeit raus aus dem Tank Top. Bruce Willis oder Sylvester Stallone waren mal Protagonisten des Unterhemden-Wesens. Heute überlassen sie das Feld Jüngeren. Leuten wie Justin Bieber zum Beispiel, dessen kunstvolle Tattoos in einer solchen Oberbekleidung sehr schön zur Geltung kommen. Bieber steht in dieser Zeit stellvertretend für den modernen, mutigen Mann, der mit wenig Stoff viel fordert. Nämlich: freie Arme für freie Kerle.

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