Tschechien in der WM-Qualifikation:Mehr Skandale als gute Spieler

Tschechien in der WM-Qualifikation: Zum Plärren: Auch der wieder mal verletzte Routinier Tomas Rosicky kann seinen Tschechen im Qualifikationsspiel gegen Deutschland nicht helfen.

Zum Plärren: Auch der wieder mal verletzte Routinier Tomas Rosicky kann seinen Tschechen im Qualifikationsspiel gegen Deutschland nicht helfen.

(Foto: Hassan Ammar/AP)

Was passiert, wenn man die Nachwuchsarbeit schleifen lässt? Bestes Beispiel ist Tschechien: Die ehemalige Fußballhoffnung ist verkümmert. Und die Liga plagen große Probleme.

Von Tobias Schächter

Tomas Rosicky ist verletzt! Herauszufinden, wie oft dieser Satz in den vergangenen 20 Jahren geschrieben wurde, wäre eine wochenlange Strafarbeit. Allein in seinen zehn Londoner Jahren beim FC Arsenal fehlte der fragile Techniker bei mehr als der Hälfte aller Spiele. Und auch, als es jüngst bei der EM in Frankreich im letzten Gruppenspiel gegen die Türkei um alles ging, musste der Kapitän der tschechischen Nationalmannschaft wegen einer Muskelverletzung passen. Die Tschechen verloren und fuhren sieglos nach Hause. Altvordere wie Torwart Petr Cech, 35, oder Jaroslav Plasil, 34, traten nach dieser Enttäuschung aus dem Nationalteam zurück - Rosicky, 36, nicht. Er wechselte zurück in die Heimat zu Sparta Prag.

Nun aber ist Rosicky wieder einmal verletzt, im WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland an diesem Samstag in Hamburg wird er fehlen: "Schade für Tschechien", sagt Abwehrspieler Pavel Kaderabek. Rosicky hat seine Zukunft längst hinter sich, als Hoffnungsträger für die Nationalmannschaft taugt er nicht mehr, auch wenn viele das noch nicht wahrhaben wollen. Nur: Wer oder was taugt dann?

"Der tschechische Fußball hat nicht mehr die große Klasse wie früher, es fehlen die Namen", räumt Kaderabek achselzuckend ein. Der 24-Jährige ist gerade dabei, sich bei der TSG Hoffenheim einen Namen zu machen. Nach einer durchwachsenen ersten Saison überzeugt der dynamische Außenverteidiger inzwischen als lebhafter Dauersprinter. Er, Theodor Gebre Selassie von Werder Bremen und Linksaußen Ladislav Krejci vom FC Bologna sind die einzigen in Tschechiens voraussichtlicher Startelf, die regelmäßig in einer großen europäischen Liga zum Einsatz kommen; Vladimir Darida von Hertha Berlin und Torwart Jaroslav Drobny von Werder Bremen werden wegen Verletzungen ausfallen.

Tschechiens Fußball hat den Anschluss nicht geschafft

Trainer Karel Jarolim, 60, der Vater des ehemaligen HSV-Kapitäns David Jarolim, hat die Elf im Sommer von Pavel Vrba übernommen, der nach dem trostlosen EM-Aus seinen Rücktritt erklärt hatte. "Ich denke, das Problem ist nicht der Trainer. Es gibt hier einfach zu wenig Klassespieler, die in guten Ligen spielen - und die tschechische Liga selbst ist nicht so stark", analysiert Kaderabek. "In Tschechien habe ich fünf Sekunden Zeit, wenn ich den Ball bekomme, in Deutschland vielleicht eine, bevor der Gegenspieler angreift." Zu behäbig und ohne Ideen: So spielte Tschechien bei der EM in Frankreich. "Wir waren nicht gut", gibt Kaderabek zu.

Vorbei sind die großen Zeiten. Nach dem Ende des Ostblocks wechselten aus Tschechien immer wieder großartige Fußballer wie Pavel Nedved oder Rosicky zu großen Vereinen im Ausland. Die Endspielteilnahme bei der EM 1996 in England gegen Deutschland (1:2 durch Oliver Bierhoffs Golden Goal) blieb bisher der größte Erfolg des tschechischen Fußballs - aber neben dem Halbfinal-Aus bei der EM 2004 in Portugal gegen Griechenland auch die bitterste Niederlage. Künftig scheinen derlei Höhenflüge kaum möglich zu sein.

Tschechien hat es in der vergangenen Dekade verpasst, in die Ausbildung des Nachwuchses zu investieren. Den meisten der 16 Erstligaklubs fehlt es an Geld und Infrastruktur. So konnte ein großer Traditionsverein wie Slavia Prag erst durch den Einstieg eines chinesischen Investors ein Insolvenzverfahrenen stoppen.

Stürmer wie Schick und Kadlec schrecken die Gegner nicht

Der Vereinsfußball leidet unter geringem Zuschauerzuspruch und regelmäßigen Skandalen. In der vergangenen Saison wurden Schiedsrichter suspendiert, die offensichtlich betrunken ein Erstligaspiel leiteten. Die vorwiegend rechten Ultragruppen machen in den Kurven gegen Flüchtlinge mobil.

Es passt ins Klima, dass jüngst Spieler von Sparta Prag, darunter der Ersatztorwart der Nationalmannschaft, Tomas Koubek, eine Linienrichterin nach einer aus ihrer Sicht groben Fehlentscheidung sexistisch beleidigten ("Frauen gehören an den Herd!"). Die Sanktionen des Verbandes stehen noch aus, aber wenigstens die Strafe des Klubs hatte Charme: Die betroffenen Profis dürfen nun mit der Frauenmannschaft trainieren. Nationalcoach Jarolim bemerkte dazu lediglich: "Um ehrlich zu sein, ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern."

Zum Auftakt der WM-Qualifikation kam seine Auswahl vor nur 10 000 Zuschauern in Prag gegen Nordirland über ein ziemlich dünnes 0:0 nicht hinaus: "Wir schießen einfach keine Tore", klagt Kaderabek. Wo früher Pavel Kuka, Jan Koller oder Milan Baros Schrecken beim Gegner verbreiteten, heißen die Optionen gegen Deutschland nach der Verletzung von Milan Skoda nun Patrik Schick, 20, oder Vaclav Kadlec, 24. Doch diese beiden Angreifer stehen für ein weiteres Problem: Viele durchschnittliche Spieler werden von Beratern zu früh zu Wechseln ins Ausland gedrängt. Schick hat seit Sommer keinen Startelf-Einsatz für Sampdoria Genua absolviert, Kadlec ist nach einem misslungenen Versuch bei Eintracht Frankfurt längst zu Sparta Prag zurückgekehrt.

Playoff-Platz zwei in der Gruppe C hinter Deutschland sei das Ziel auf dem Weg zur WM in Russland, erklärt Kaderabek. Er weiß um die Wichtigkeit eines Siegs im Heimspiel kommenden Dienstag gegen Aserbaidschan. "Wir können aber auch gegen Deutschland überraschen", sagt er. Da klingt aber selbst dieser optimistische Jungprofi, dem Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann eine "außergewöhnliche Siegermentalität" attestiert, eher pflichtschuldig überzeugt.

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