Heiraten heute:Die Riten der klassischen bayerischen Hochzeit haben sich überlebt

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Ein Münchner Paar startet 1960 mit der Vespa ins gemeinsame Leben. (Foto: N/A)
  • Jährlich heiraten in Bayern ungefähr 60 000 Paare, bis zu 25 000 Paare lassen sich scheiden.
  • Heimatpfleger stellen fest, dass die traditionelle, überwiegend kirchlich geprägte Hochzeit langsam zu verschwinden droht. Die Feiern werden mehr und mehr zu Events hochstilisiert.
  • Dafür wird heute eher aus Liebe geheiratet. Früher war das in der Regel Geschäftssache.

Von Hans Kratzer

Wenn in den Filmschmonzetten von ARD und ZDF geheiratet wird, verlangt das Drehbuch häufig eine Bauernhochzeit, bei der sich trachtlerisch herausgeputzte Menschen tanzend im Kreise drehen und der joviale Pfarrer neben dem Brautpaar sitzt und die Hochzeitssuppe genießt. Die Realität sieht anders aus. Heutige Hochzeiten haben so gut wie keine Ähnlichkeit mehr mit den Feiern vor 20 oder 30 Jahren. Die Zeremonien werden immer aufwendiger, ausgefallener und extraordinärer. Den Beobachter beschleicht der Verdacht: Je verrückter die Hochzeit, desto brüchiger die Ehe.

Jährlich lassen sich in Bayern bis zu 25 000 Paare scheiden. Die Lust am Heiraten ist den Verliebten aber nicht vergangen. Immerhin geben sich im Freistaat jedes Jahr 60 000 Paare das Ja-Wort. Ungeachtet dessen ist die traditionelle, überwiegend kirchlich geprägte Hochzeit am Verschwinden. "Es ist wie bei der Baukultur", sagt der Chamer Heimatpfleger Hans Wrba. "Die Menschen wenden sich von der Tradition und vom überlieferten Brauchtum ab."

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Es stimmt schon, viele Hochzeiten lassen mittlerweile die diesem Ereignis ursprünglich innewohnende natürliche Erdung vermissen. Sie werden zum emotional aufgeladenen Event hochstilisiert. "Hochzeiten folgen heutzutage den Regeln der Verweltlichung des Brauchtums", bestätigt Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war eine solche Entwicklung undenkbar, zumindest auf dem Land. Eine Hochzeit war eine ernste und religiös geprägte Angelegenheit, nicht selten sogar eine Zwangsveranstaltung. "Der Gang vor den Traualtar war für viele Frauen letztlich der erste Schritt ins Grab", sagt die Kunsthistorikerin Martina Sepp, die sich intensiv mit den Hochzeitsbräuchen befasst hat. Eine Hochzeit war primär ein Spiegelbild des harten Alltags und aufs Überleben ausgerichtet, nicht auf Event und Gaudi.

Es hatte schon seinen Sinn, dass die Bräute einst einen Myrtenkranz anstelle eines Brautstraußes trugen, er sollte Unheil und böse Geister abwehren. Fast vergessen ist überdies, dass die Hochzeitskleider früher schwarz waren. Sie sahen wie Trauerkleider aus, und das war Absicht. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sind unzählige Mütter im Kindbett gestorben. Hochzeit und Tod lagen ohne Hochleistungsmedizin eng beisammen, was im dunklen Hochzeitskleid auf berührende Weise zum Ausdruck kam.

"Früher ist in den seltensten Fällen aus Liebe oder auch nur aus freien Stücken geheiratet worden", sagt Martina Sepp. "Die Heirathen sind in der Regel nicht Herzens- sondern Geschäftssache", notierte der Schriftsteller Felix Dahn vor 150 Jahren.

Umso spannender ist der aktuelle Transformationsprozess der Ehe. Heute hat jeder die Freiheit, zu heiraten oder solo zu bleiben. Zu Dahns Zeiten war mehr als die Hälfte der bayerischen Bevölkerung von der Möglichkeit einer Heirat ausgeschlossen. Eine Ehe durfte nur der eingehen, der eine Familie ernähren konnte. Ein Jungbauer heiratete erst, wenn der Hof übergeben war, eine Bauerstochter hatte sich bei der Wahl des Bräutigams ihrem Vater zu fügen. Für die Kaste des Dienstpersonals war eine Ehe schon aus finanziellen Gründen utopisch. Von diesem Elend rührt die hohe Zahl der unehelichen Kinder in jener streng katholischen Zeit her.

Längst sind Hochzeitsfeiern frei von den Fesseln dörflicher Enge und des Standesdünkels. Nun sind sie geprägt von der Globalisierung und dem von allen möglichen Kulturkreisen befeuerten Event. Manchmal greifen moderne Bräuche unbewusst sogar alte Traditionen auf. Der urbayerische Hennentanz gilt zum Beispiel als Vorläufer der modernen Hen Party, eine Art Junggesellenabschied für angehende Bräute, herübergeschwappt aus den angelsächsischen Ländern. Trotzdem: Die Riten der klassischen bayerischen Hochzeit haben sich überlebt, an ihre Stelle treten multikulturelle, sich blitzschnell wandelnde Sitten und Bräuche. Die moderne Hochzeitswelt kennt keine Grenzen mehr.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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