Studie:Der Qualm der Schuld und die Nebel des Vergessens

Überall alte Kameraden: Für Justizminister Heiko Maas sind die personellen Kontinuitäten im Rechtswesen nach der Nazi-Zeit eine "zweite Schuld".

Von Heribert Prantl

Die alten Nazis waren in der jungen Bundesrepublik überall - in der Verwaltung, in der Justiz, in den Parlamenten. Die Nazi-Richter hatten das Hakenkreuz von der Robe gerissen und richteten weiter. Die Jura-Professoren hatten die braunen Sätze aus ihren Büchern radiert und lehrten weiter. Die Beamten hatten Adolf Hitler von der Wand gehängt und verwalteten weiter.

Nazi-Juristen waren auch in besonders hoher Konzentration dort, wo das Recht sein Zuhause hat: im Bundesministerium der Justiz. Diese personellen und sachlichen Kontinuitäten zwischen der Nazi-Zeit und den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik hat nun das "Rosenburg"-Projekt untersucht; es ist benannt nach dem ersten Dienstsitz des Justizministeriums in Bonn. Warum war das Justizministerium, wie viele andere Behörden und Ämter auch, so braun damals? Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, hat das einmal so erklärt: Es handele sich um Leute, "die von früher was verstehen".

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) versteht das überhaupt nicht; es handle sich "um eine verstörende Formulierung". Bei der Einstellungspraxis im Justizministerium sei damals, in den Fünfzigerjahren, "wohl rechtstechnische Erfahrung wichtiger gewesen als eine rechtsstaatliche Einstellung", sagte Maas der Süddeutschen Zeitung: "Die Juristen der Nazizeit haben damals altes Unrecht, das aufgearbeitet hätte werden sollen, gedeckt und neues Unrecht geschaffen." Es sei völlig richtig, dies als "zweite Schuld" zu bezeichnen.

Studie: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Aus dem Qualm der Schuld wurden die Nebel des Vergessens. Diese zweite Schuld steht im Mittelpunkt der Rosenburg-Studie, die an diesem Montag im Bundesjustizministerium von Maas und seiner Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vorgestellt wird. Dessen Erkenntnisse sollen nun auch Inhalt einer Wanderausstellung werden, die auf die Reise durch die Republik geschickt wird, sagte Maas. Und: "Das Thema soll endlich in die Juristenausbildung Eingang finden".

Durch die Ergebnisse der Studie werde anerkannt, dass "das Unrecht bewusst gedeckt wurde"

Vor gut zwanzig Jahren hatte der Bundesgerichtshof eine Art Schuldgeständnis abgelegt und sich von seiner bisherigen Rechtsprechung distanziert; Nazi-Richter sind nämlich nie strafrechtlich belangt worden. "Eine Vielzahl ehemaliger NS-Richter", so bekannte der Bundesgerichtshof 1995, "hätte wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen zur Verantwortung gezogen werden müssen". Die Präsentation der Rosenburg-Studie im Justizministerium zu Berlin ist nun auch ein solches Schuld-Geständnis: Es sei dies, so erklärt Maas, "die Anerkennung der Tatsache, dass im Justizministerium das Unrecht bewusst gedeckt worden ist".

Späte Aufklärung

Das Justizministerium ist vergleichsweise spät dran. Erst 2012 hat die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine unabhängige Historikerkommission beauftragt, die vielen NS-Verstrickungen ihres Hauses offenzulegen. Im Auswärtigen Amt hatte Joschka Fischer (Grüne) das schon 2005 angeordnet. Noch später dran ist allerdings das Bundesinnenministerium, das funktional in der Nachfolge des notorischen NS-Reichssicherheitshauptamts steht. Erst 2014 beauftragte dort Thomas de Maizière (CDU) Wissenschaftler, braune Kontinuitäten nach 1945 aufzuklären. sz

Hat das Bundesjustizministerium in den frühen Jahren der Bundesrepublik Strafvereitelung begangen? "Davon muss man wohl ausgehen", sagt Maas. Es sei offensichtlich, dass Mitarbeiter des Ministeriums, "die schon als Juristen in der Nazizeit tätig gewesen sind, weiter dazu beigetragen haben, dass die Strafverfolgung von Naziunrecht unterblieb". Das sei eine erschreckende Erkenntnis, "die wir aber in aller Form offenlegen und aufarbeiten."

1989 ist ein Mahnmal für die Opfer der NS-Justiz vor der Richterakademie in Trier aufgestellt worden; 1989 ist auch zum ersten Mal eine Ausstellung über die NS-Justiz, über die erste Schuld also, vom damaligen Bundesjustizminister Hans A. Engelhard (FDP) eröffnet worden. Was ist seitdem passiert? Es habe sich, meint Maas, viel geändert im öffentlichen Bewusstsein, also nicht nur bei den Mitarbeitern seines Ministeriums: "Wir stehen zu der Schuld, die das Ministerium auf sich geladen hat", sagt Maas, "und ziehen Schlüsse für die Gegenwart". Das heißt: "Gegen extremistische Taten muss der Rechtsstaat mit aller Konsequenz vorgehen".

Maas schaut mit Sorge auf und in die Hassmaschinerie Internet. Bei der Hasskriminalität "müssen wir uns auf die neuen Entwicklungen einstellen". Man müsse alles dafür tun, dass die Beleidigung, Verleumdung und Verhetzung in den sozialen Netzwerken, "die es in dieser Qualität und Quantität bisher noch nicht gegeben hat, schneller gelöscht und konsequent bestraft wird." Es seien Gesetzesänderungen notwendig, wenn die Plattformbetreiber "weiterhin nicht schnell genug und zu wenig löschen".

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