Krankenkassen:Abrechnungsbetrug der Krankenkassen alarmiert Aufsichtsamt

Jens Baas

Jens Baas: "Die Kassen bezahlen zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen."

(Foto: dpa)
  • Krankenversicherungen hätten Ärzte dazu gebracht, falsche Diagnosen zu stellen, um mehr Geld zu kassieren, sagt der Chef der Techniker Krankenkasse.
  • Das Bundesversicherungsamt hat den mutmaßlichen Abrechnungsbetrug scharf verurteilt.
  • Andere Krankenkassen wiesen die Vorwürfe vehement zurück.

Von Kim-Björn Becker und Thomas Öchsner, Berlin/München

Das Bundesversicherungsamt hat den mutmaßlichen Abrechnungsbetrug von gesetzlichen Krankenkassen scharf verurteilt. Wenn Ärzte von Krankenkassen dazu veranlasst werden, falsche Diagnosen zu dokumentieren, sei das "rechtswidrig und zu unterbinden", erklärte die Bonner Behörde. Zugleich kündigte sie an, jedem einzelnen Fall nachzugehen, wenn ein mögliches Fehlverhalten einer Kasse bekannt wird. Die kommunalen Krankenhäuser verlangten, dass umgehend Staatsanwälte Ermittlungen einleiten müssten. Es gehe um "ungerechtfertigte Zahlungen" an die Kassen.

Der Chef der Techniker-Krankenkasse (TK), Jens Baas, hatte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt, es gebe zwischen den Kassen einen Wettbewerb, die Ärzte dazu zu bringen, möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren. "Die Kassen bezahlen zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen." So wollten die Kassen mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds erhalten, in den die Beiträge fließen. Dieser sieht einen Risikoausgleich vor: Kassen mit gesünderen Mitgliedern müssen Konkurrenten mit vielen schwer kranken Patienten unterstützen. Baas sagte, die Kassen hätten durch die Schummelei eine Milliarde Euro zusätzlich bekommen. Beteiligt seien vor allem die "großen regionalen Kassen". Er meinte damit wohl Kassen der AOK, aber auch die TK selbst.

SPD-Gesundheitsexperte: "Anleitung für eine Straftat"

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, das Vorgehen der Kassen unverzüglich aufzuklären. Die genannten Praktiken könnten eine "Anleitung für eine Straftat" sein, sagte Lauterbach der Süddeutschen Zeitung. Unter Umständen könnten Patienten zu Schaden kommen, weil sie falsch behandelt würden. Der Geschäftsführer der Innungskrankenkassen, Jürgen Hohnl, nannte das System der Geldzuweisungen mithilfe des sogenannten Risikostrukturausgleichs "manipulationsanfällig". Es sei bekannt, dass in Betreuungsstrukturverträgen zwischen einer Krankenkasse und der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung in einem Bundesland "unter dem Deckmantel einer besseren Versorgung für Diagnosen Extrageld an Ärzte bezahlt wird". Ein solcher Vertrag für Versicherte einer Kasse in Berlin liegt der SZ vor.

Andere Krankenkassen wiesen die Vorwürfe des TK-Vorstandschefs vehement zurück. Bei der DAK-Gesundheit als auch bei der Barmer GEK hieß es, Kassen würden keine Ärzte dazu verleiten, Patienten kränker zu machen, als sie eigentlich sind. Der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, sagte, Baas wolle den Risikoausgleich in Verruf bringen und zugunsten der Techniker reformieren. "Offenbar passt es ihm nicht, dass sich für seine Krankenkasse die Risikoselektion zulasten von chronisch Kranken nicht mehr lohnt."

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz stellte nach eigenen Angaben bereits Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die TK und weitere Kassen. Stiftungschef Eugen Brysch sagte, möglich sei eine Strafbarkeit wegen schweren Betrugs.

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