Sachsens Justizminister:Sebastian Gemkow - eine ungewöhnliche Erscheinung

Pressekonferenz zum Tod des Terrorverdächtigen Al-Bakr

Nach dem Bekanntwerden des Suizids von Dschaber al-Bakr in der Leipziger JVA lehnt Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow einen Rücktritt ab.

(Foto: dpa)

Sein Vater erhielt Morddrohungen, er selbst wurde mit Buttersäure attackiert: Sachsens Justizminister kennt die dunklen Seiten der Politik nicht erst seit dieser Woche - und will doch vehement weitermachen.

Von Cornelius Pollmer

Der Dienstsitz von Sebastian Gemkow liegt in der Hospitalstraße 7 in Dresden, und wenn der Minister dort über das Treppenhaus spricht, dann spricht er in der Regel auch über seine Familie. An der Decke dieses Treppenhauses ist eine Allegorie der Justitia zu sehen, es ist die äußere und damit gegenwärtige Schicht, jedoch nicht die einzige. Vor Justitia grüßte ein Allunionswappen der Sowjets von oben, wiederum davor waren Nationalsozialisten samt ihren Symbolen in das Haus eingezogen.

Von ebendiesen wurde ein Urgroßonkel Gemkows hingerichtet, Hans Oster. Der Generalmajor gehörte zum militärischen Widerstand gegen Hitler. Einen Tag nach dem gescheiterten Attentat am 20. Juli 1944 wurde Oster festgenommen, nachdem er als Verbindungsoffizier der Verschwörer enttarnt worden war. Hans Oster präge seine Familie bis heute, sagt Gemkow.

Montagsdemos, Connewitz, Hoyerswerda

Eine Zeitschicht später, in der untergehenden DDR, geriet Gemkow früh in Kontakt mit der politisch bewegten Gesellschaft des Ostens. Er war elf Jahre alt, als ihn sein Vater auf den Schultern mit zu den Leipziger Montagsdemonstrationen nahm. Die Mauer fiel, Gemkows Vater erhielt zunächst das Amt des Beigeordneten für Recht, Ordnung und Sicherheit, und er erhielt deswegen bald auch Morddrohungen. Der Sohn erinnert sich, diese als Zwölfjähriger am Telefon mitgehört zu haben.

Im Jahr 1994 starb der Vater an Krebs. Als Beigeordneter hatte er zuvor die großen Kämpfe des frisch zusammengeflickten Landes in der ersten Reihe erlebt - inklusive Asylprotesten und Straßenschlachten im heute wilden Stadtteil Connewitz, der damals ein noch viel wilderer gewesen ist. Gemkows Großonkel wurde zu dieser Zeit Sachsens erster Innenminister, wenige Tage nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda im Herbst 1991 musste der als IM "Ries" enttarnte Rudolf Krause allerdings zurücktreten.

In der dritten und gegenwärtigen Zeitschicht studierte Gemkow, 38, zunächst Rechtswissenschaften an den Universitäten in Leipzig, Berlin und Hamburg. Danach ließ er sich als Rechtsanwalt in Leipzig nieder. Der CDU gehört Gemkow seit 1998 an, zweimal zog er für diese bislang in den Landtag ein, beide Male direkt über seinen Wahlkreis in Leipzig.

Als Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich im November 2014 sein neues Kabinett vorstellte, zischte der Name Gemkow (versehen mit vielen Fragezeichen) besonders häufig über die Flure. Um den jungen Plötzlich-Minister bildete sich bei der Vorstellung der Landesregierung sogleich ein Menschenknäuel und unisono die Frage, wer, bitte, sind Sie?

Attacke mit Pflastersteinen und Buttersäure

Nicht nur die Opposition führte Gemkows Ernennung auf Regionalproporz im Ministerpuzzle der CDU zurück, ein gutes Jahr später solidarisierte sie sich dennoch mit ihm. Unbekannte griffen mitten in der Nacht seine Leipziger Privatwohnung mit Buttersäure und sechs Pflastersteinen an. Die Aktion reihte sich ein in eine ganze Serie von Attacken auf Einrichtungen und Personen der Justiz in Leipzig. Gemkow zeigte sich eher enttäuscht als wütend, und er sagte, er werde keinen Meter zurückweichen. In der Wohnung Gemkows befanden sich zum Zeitpunkt des Angriffs auch seine beiden kleinen Kinder und seine Frau, eine Lettin.

Als CDU-Minister in Sachsen ist Gemkow nicht allein wegen seines Alters eine ungewöhnliche Erscheinung: Er gilt noch dazu als umgänglich, bis weit über Fraktionsgrenzen. In Summe galt Gemkow auch deswegen bis zum Montag als unauffällig im besseren Sinne.

Diese Phase ist nach dem Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr zwangsläufig vorbei. Gemkow erklärte danach zwar die Übernahme politischer Verantwortung, einen Rücktritt aber lehnt er ab. Wie genau dies zusammenpassen soll, hat er bislang genauso wenig erläutern können wie den mindestens fahrlässigen Umgang der sächsischen Justiz mit dem womöglich wichtigsten Gefangenen der Republik.

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