Colin Kaepernick:Ein Mann, eine Hymne

Eli Harold, Colin Kaepernick, Eric Reid

"Tötet Kaepernick!": Der Spielmacher der San Francisco 49ers (Mitte) wird beschimpft, weil er beim Ertönen der US-Hymne aus Protest kniet.

(Foto: AP)

NFL-Quarterback Colin Kaepernick wird beschimpft und ausgebuht - weil er seit Wochen während der US-Hymne kniet. Sein politischer Protest beschäftigt das ganze Land.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die wichtigste Nachricht zuerst: Colin Kaepernick lebt noch, er erfreut sich bis auf kleinere Blessuren an Brust und Oberschenkeln bester Gesundheit. Wer vor der Partie in der US-amerikanischen Profi-Footballliga NFL zwischen den Buffalo Bills und den San Francisco 49ers ein paar im Internet veröffentlichte Kommentare gelesen hat, der hat ja durchaus um die Gesundheit des 49ers-Spielmachers fürchten müssen. Da hatte etwa gestanden: "Ich hoffe auf eine Verletzung, die seine Karriere beendet." Oder: "Die Bills-Defensive soll ihm den Hals brechen." Oder: "Tötet Colin Kaepernick!" Vor dem Stadion in Buffalo wurden T-Shirts verkauft, auf denen Kaepernicks abgetrennter Kopf zu sehen war.

Beim Warmlaufen wurde Kaepernick ausgebuht und beschimpft, während der Partie warfen einige Zuschauer Bierflaschen in seine Richtung. Der Grund für den Furor war zwischen Aufwärmen und Spielbeginn zu bestaunen: Kaepernick verweigerte beim Abspielen der Nationalhymne den amerikanischen Dreiklang (vom Sitz aufstehen, Mütze abnehmen, Hand aufs Herz legen), so, wie er das seit mehreren Wochen tut. Während der Saisonvorbereitung hatte er sich hingesetzt, mittlerweile kniet er.

In Buffalo gesellten sich die Mitspieler Eric Reid und Eli Harold zu ihm, vier weitere Kollegen reckten ihre rechte Faust zum Black-Power-Gruß nach oben, dem Zeichen der Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre. Die Zuschauer im Stadion buhten zunächst, dann überstimmten sie die Hymne mit "U-S-A"-Rufen.

Sogar Präsident Barack Obama musste sich bereits zu der hitzigen Debatte äußern

Kaepernick möchte gegen Polizeigewalt und Rassismus protestieren, und dafür wählt er das Abspielen der US-Hymne als Plattform, wie die schwarzen Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen 1968. Am Sonntag knieten Akteure in sieben anderen Football-Stadien, aus dem stillen Protest von Kaepernick ist längst eine gesellschaftliche Bewegung gewachsen, schließlich ist Profisport ein Teil der Unterhaltungsindustrie, die Akteure sind längst Protagonisten der Popkultur. Selbst Präsident Barack Obama musste sich bereits dazu äußern: "Es ist sein verfassungsmäßiges Recht, sich so zu verhalten. Wir müssen über diese Probleme sprechen, diese Diskussion hat er angestoßen."

Die ohnehin hitzige Debatte, die oftmals ganz viel Meinung und ganz wenig Ahnung enthält, wurde in der vergangenen Woche noch heftiger geführt, weil Kaepernick von 49ers-Trainer Chip Kelly zum ersten Mal in dieser Saison in die Stammformation befördert worden war. Kaepernick erhielt Morddrohungen und wurde in Briefen als undankbarer und unpatriotischer Vaterlandsverräter geschimpft. Ruth Bader Ginsburg, seit 23 Jahren beisitzende Richterin am Supreme Court, sagte in einem Interview gar: "Es ist respektlos und dumm, was er da tut. Ich würde ihn nicht verhaften lassen, sondern ihm zeigen, wie lächerlich er sich verhält." Kurz darauf entschuldigte sie sich mit der Begründung, doch recht wenig Ahnung gehabt zu haben: "Ich wusste wenig über seinen Protest und hätte den Mund halten sollen."

Kaepernicks Klub wollte ihn erst nicht spielen lassen

Die Beförderung Kaepernicks wurde dadurch verkompliziert, dass ihn die 49ers in dieser Spielzeit keinesfalls aufs Spielfeld lassen wollten. Das lag weniger am Protest als vielmehr an den Details seines Vertrages. Kaepernick hatte seinen Klub vor vier Jahren ins Endspiel geführt und wenig später einen mit 126 Millionen Dollar vergüteten Sechs-Jahres-Kontrakt unterschrieben. Darin sind zahlreiche Klauseln enthalten, zum Beispiel jene, dass Kaepernick bei einer schweren Verletzung während dieser Spielzeit in der kommenden Saison 14,5 Millionen Dollar verdienen würde, auch wenn er im Krankenhaus liegt oder auf der Ersatzbank hockt.

Das wollten die Verantwortlichen der 49ers nicht riskieren, sie würden Kaepernick am liebsten gerne ganz fortschicken. Nur weil Kaepernick auf diese Versicherung verzichtete, durfte er auflaufen und jene Frage beantworten, die kaum gestellt worden war in den vergangenen Wochen: Kann dieser hochbegabte Quarterback, der einst aufregendste Akteur dieser Liga, noch eine Mannschaft führen? Taugt er überhaupt noch was?

Die 49ers verloren 16:45, das lag aber vor allem an der Defensive, deren Akteure eher wie Mitglieder eines unorganisierten Hühnerhaufens wirkten als die eines professionellen Footballteams. Kaepernick schaffte mit Pässen einen Raumgewinn von 187 Yards (ein Touchdown und keine Interception) und erlief selbst 66 Yards. Im Statistik-Lexikon der NFL werden solche Zahlen unter dem Begriff Durchschnitt geführt. Kaepernick zeigte, dass er noch spielen kann - wie gut, das zeigte er nicht.

Der 28-Jährige wurde deshalb später fast exklusiv nach seinem gesellschaftlichen Engagement befragt. Er trug ein Muhammad-Ali-Shirt: "Er hat für eine ähnliche Sache gekämpft. Er inspiriert mich dazu, mit meinem Protest weiterzumachen." Und zum Furor der Fans sagte er: "Ich verstehe nicht, was unamerikanisch daran ist, wenn man sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einsetzt. Ich finde das patriotisch." Colin Kaepernick dürfte auch in der kommenden Woche wieder auflaufen.

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