Literaturnobelpreis:Ich ruf zurück!

1980s photo of American folk singer Bob Dylan Born Albert Zimmermann on May 24th 1941 Aufnahmed

Er hatte noch nie viel Lust, zu tun, was man von ihm erwartet: Bob Dylan auf einem Foto aus den achtziger Jahren.

(Foto: imago/United Archives Internatio)

Die Schwedische Akademie hat den Versuch aufgegeben, den Literaturpreisträger Bob Dylan ans Telefon zu bekommen. In einer Welt des ständigen Gequassels ist Unerreichbarkeit ein Affront. Warum eigentlich?

Von Martin Zips

In einer Gesellschaft, in der jeder jederzeit erreichbar ist, gilt das Unerreichbarsein mitunter als Affront. Wenn jemand nicht sofort auf etwas antwortet oder zurückruft, schießen schnell Spekulationen ins Kraut, der Mensch könne arrogant, frech oder gar unverschämt sein. Womöglich leide er unter einer narzisstischen Störung oder sei ein leicht durchgeknallter Anhänger des Hesychasmus, einer spirituellen Bewegung der Ruhe. Und die Reaktionen fallen umso heftiger aus, wenn es sich bei dem Abgetauchten um ein verdientes Mitglied der Gesellschaft handelt, das man doch nur mit einer kleinen Auszeichnung beglücken möchte.

Die Schwedische Akademie hat gerade den Versuch aufgegeben, den Literaturnobelpreisträger Bob Dylan an den Telefonhörer zu bekommen. Fünf Tage nach seiner Verkündung als diesjähriger Preisträger habe die Jury den US-Sänger immer noch nicht gesprochen, erklärte ein Sprecher und bemühte sich um hesychastische Gelassenheit: "Wir machen kein Aufhebens darum. Wir haben seinen Agenten und den Tourmanager erreicht, und sie werden uns zu gegebener Zeit zurückrufen."

Den Agenten! Den Tourmanager! Zurückrufen! Hat man es als 75-jähriger Songwriter denn nicht nötig, mal kurz Dankeschön zu sagen?

Um ganz sicherzugehen, hat man den Nobelpreisträger auch per Post informiert

"Nehmen Sie Kontakt zu uns auf, wir versuchen, zu Ihrem Büro durchzukommen", hatte das Nobel-Komitee vor drei Jahren verzweifelt getwittert, als es die "Organisation für das Verbot von Chemiewaffen" telefonisch nicht erreichte. Damals suchte der Friedensnobelpreis seinen Träger - und ständig war besetzt. Schließlich nahm doch jemand ab. Nur bei Dylan wählt man sich die Finger wund.

Bei der Schwedischen Akademie dürfte die Stimmung jedenfalls gerade in etwa so sein wie damals auf der Valley Forge Military Academy, als diese im Jahr 1952 ihren einstigen Schüler, den Schriftsteller J.D. Salinger, für seinen "Fänger im Roggen" auf einem Galadinner ehren wollte. Salinger reagierte nicht, aus der Hand seiner Schwester Doris stammt eine kurze Antwort mit dem Hinweis, ihr Bruder befinde sich im Ausland und sei "nicht erreichbar". In Wirklichkeit hatte Salinger einfach keine Lust auf einen Preis jener Academy, über die er sich in seinem Buch lustig gemacht hatte. Lieber beschäftigte er sich mit den Kontemplationsübungen des bengalischen Heiligen Sri Ramakrishna und blieb der Veranstaltung fern.

Typen, die der öffentlichen Anerkennung nicht bedürfen

Immerhin ist davon auszugehen, dass Dylan schon mitbekommen haben dürfte, dass man ihm da was verleihen will. Schließlich wurde ihm die Einladung zur Feier im Stockholmer Rathaus am 10. Dezember zusätzlich per Brief zugestellt. Ob er es wie die Schriftstellerin Elfriede Jelinek macht? Bei Preisen verspüre sie "eigentlich mehr Verzweiflung als Freude", hatte sie als frisch ausgerufene Literaturnobelpreisträgerin im Jahr 2004 erklärt - und war der Zeremonie ferngeblieben.

Als ähnlich sperrig erwies sich an anderer Stelle der russische Wissenschaftler Grigori Perelman, der mit seinem Beweis der Poincaré-Vermutung zwar eines der sieben größten Probleme der Mathematik gelöst hatte, dafür aber partout keine Auszeichnung entgegennehmen wollte. Selbst nicht die mit einem Preisgeld von einer Million Dollar verbundene Fields-Medaille, einen Oscar der Mathematik.

Die Gesellschaft indes tendiert dazu, solche Leute für undankbar, wenn nicht gar dreist zu halten, obgleich deren Kauzigkeit einen auch beeindruckt. Weil es sich hier um Typen handelt, die der öffentlichen Anerkennung zu ihrem persönlichen Wohl anscheinend gar nicht bedürfen. So hat Schriftsteller Patrick Süskind, von dem es nur Magnesium-Blitz-Fotos gibt, bisher quasi jeden Preis abgelehnt. Ans Telefon geht er sowieso nie. Von seinem Pendant, dem US-Schriftsteller Thomas Pynchon, gibt es zwar auch kein aktuelles Bild, aber immerhin hat der in einigen Simpsons-Folgen mal einen Typen mit Papptüte am Kopf synchronisiert.

Auch J. D. Salinger lebte hinter einer hohen Mauer. Das war sein gutes Recht

Was ist so schlimm an der Kommunikationsverweigerung? Tucholsky hat recht: "Was wäre der Mensch ohne Telefon? Ein armes Luder. Was aber ist er mit dem Telefon? Ein armes Luder." Glaubt man der gerne bis zum Burn-out schreibenden Burn-out-Schriftstellerin Miriam Meckel, so existiert das "Glück der Unerreichbarkeit". So wie jemand in "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" von Heinrich Böll (Nobelpreis) die Stille im Radioprogramm auf Tonband sammelt, meint sie, so habe jeder das Recht auf eine Mauer um sich. Eine Mauer wie die, hinter der sich der schon erwähnte J. D. Salinger in seinem Haus in New Hampshire ganz real verbarg.

Also auch, wenn sich Dylan weiter nicht rührt: Verzweifeln sollte man nicht. Die Ablehnung des Preises ist in den Akademie-Statuten ja gar nicht vorgesehen. Das musste schon Sartre erfahren, als er 1964 verkündete, er werde den Nobelpreis für Literatur nicht annehmen, weil er um seine Unabhängigkeit fürchte. Danach strich ihn niemand von der Liste. Nur als er elf Jahre darauf um sein Preisgeld bat, war es zu spät. Das gab es dann für ihn nicht mehr.

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