Geschichtsrevisionisten:"Reichsbürger" sind nicht bloß harmlose Verschwörungstheoretiker

  • Die sogenannten Reichsbürger sind ein Sammelbecken für Menschen, die eines eint: Sie erkennen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht an.
  • Dass die Reichsbürger nicht harmlos sind, belegen die Probleme, die Behörden zunehmend mit ihnen haben.

Von Barbara Galaktionow

Sie verweigern Steuerzahlungen, besitzen keinen Ausweis oder fahren ohne Führerschein auf Deutschlands Straßen. Manchmal - wie jetzt in Mittelfranken - setzen sie auch Gewalt ein, wenn sie es mit Polizisten oder Behördenvertretern zu tun bekommen. Und sie sehen sich dabei völlig im Recht. Die sogenannten Reichsbürger sind ein Sammelbecken für Menschen, die nicht wirklich organisiert sind, die jedoch eines eint: Sie erkennen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht an.

Diese sei lediglich eine "GmbH", deren "Personal" von außen gesteuert werde - wobei häufig auf die USA verwiesen wird. Das Deutsche Reich existiere daher nach wie vor - wahlweise in den Grenzen von 1937 oder auch 1871.

Die angeblich fehlende Legitimität der Bundesrepublik begründen die Reichsbürger beispielsweise mit der Behauptung, Deutschland sei nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten besetzt worden und an diesem Status habe sich nie etwas geändert. Andere sind dem Verfassungsschutz Sachsen zufolge davon überzeugt, die Bundesrepublik sei mit der Wiedervereinigung untergegangen.

"Alles Systemkritiker - so wie ich", sagt Xavier Naidoo

Das klingt nach weltfremden Spinnern und ziemlich kruden Verschwörungstheorien, ist aber offenbar auch leicht zu unterschätzen. So trat der Mannheimer Soulbarde Xavier Naidoo vor zwei Jahren auf einer Veranstaltung der Reichsbürger auf und fand - im Gegensatz zu einer breiten Öffentlichkeit - nicht viel dabei. Das seien halt "alles Systemkritiker - so wie ich", rechtfertigte er seinen Auftritt, bei dem er selbst unter anderem die offizielle Version der Ereignisse vom 11. September 2001 anzweifelte und seiner Ansicht nach "die Liebe" repräsentierte.

Tatsächlich sind die Reichsbürger häufig aber in der rechtsextremistischen Szene verankert. Allein in Bayern werden derzeit 30 bis 40 Personen aus der Reichsbürgerszene dem Rechtsextremismus zugeordnet, sagte ein Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz am Mittwoch. Und der Kreis derer, die sich den "Reichsbürgern irgendwie zugehörig fühlen" sei "in der letzten Zeit deutlich gewachsen".

Das heißt nicht, dass diese unbedingt zielgerichtet politisch vorgehen. Dem sächsischen Verfassungsschutz zufolge reicht das Spektrum der Reichsbürger von "einzelnen gefestigten Rechtsextremisten über Querulanten und Wichtigtuer bis hin zu Trittbrettfahrern mit reiner Zahlungsverweigerungsabsicht".

Dass die Reichsbürger nicht harmlos sind, belegen auch die Probleme, die die Behörden zunehmend mit ihnen haben. So geben sie sich häufig als Vertreter selbst zusammenfantasierter - und konkurrierender - Reichsregierungen aus und verstricken die Behörden in juristische Kleinkriege. In Dachau zog ein Finanzbeamter vor Gericht, nachdem er einen Drohbrief von einem Reichsbürger erhalten hatte. Mehrere Bundesländer - beispielsweise Bayern - veröffentlichten in den vergangenen Jahren eigens Leitfäden für den Umgang mit derartigen Pseudo-Reichs-Regierungsvertretern. Auch der Verfassungsschutz in Brandenburg erstellte eine entsprechende Broschüre.

Immer wieder gefährliche Angriffe auf Polizisten und Behördenvertreter

Wirklich beunruhigend ist den Behörden zufolge vor allem die Tatsache, dass es in jüngerer Zeit immer wieder zu gefährlichen Angriffen auf Polizisten oder Behördenvertreter kommt, wenn diese versuchen, geltendes Recht durchzusetzen. Der jetzige Fall im mittelfränkischen Georgensgmünd, bei dem ein 49-Jähriger bei einer Razzia Polizisten zum Teil schwer verletzte, ist da nicht der erste.

So schleifte beispielsweise in Baden-Württemberg ein Reichsbürger einen Polizisten mit seinem Auto mit, als dieser seine Papiere kontrollieren wollte. In Sachsen-Anhalt mussten 200 Polizisten zur Zwangsräumung des Grundstückes eines früheren Schönheitskönigs anrücken, welches dieser zum '"Staat Ur" erklärt hatte. Auch in diesem Fall setzte der sogenannte Reichsbürger eine Schusswaffe ein, verletzte einen SEK-Beamten, und wurde selbst ebenfalls angeschossen.

Das Innenministerium warnte im September dem Tagesspiegel zufolge auch in Bezug auf die Reichsbürger davor, dass das aggressive Verhalten gegen Vollzugsbeamte belege, "dass zumindest in Teilen der Bewegung anlassbezogen auch vor schwersten Gewalttaten bis hin zu Tötungsdelikten nicht zurückgeschreckt" werde.

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