Nach Wilhelm Hauff:Die globale Krise beginnt im Schwarzwald

Johannes Naber liefert mit "Das kalte Herz"ein Stück Kapitalismuskritik.

Von Fritz Göttler

Der Kohlenmunk-Peter ist womöglich der armseligste Loser der deutschen Literatur. Seine Geschichte, erzählt von Wilhelm Hauff im Märchen "Das kalte Herz", ist eine nicht enden wollende Reihe von Peinlich- und Bösartigkeiten, von naiven Hoffnungen und getäuschten Erwartungen, von Korruption allüberall. Eine Parabel vom Brutalo-Kapitalismus, die fast zweihundert Jahre nach ihrer Entstehung aktueller ist denn je. 1950 wurde sie von der Defa verfilmt, Regie Paul Verhoeven, Kapitalismuskritik in prächtigen, an Hollywoodstandards orientierten Tableaus. Nun gibt es, ebenso prächtig, die Neuverfilmung von Johannes Naber. Aber gibt es noch ein Publikum, dem das "Schatzhauser im grünen Tannenwald. . ." aus dem Märchen noch im Ohr klingt?

Neoliberalismus pur: Du darfst keine Angst haben, anderen wehzutun, sagt der Holländer Michel

Der Verlierer Peter ist ein Köhler-Kid im Schwarzwald, rußverschmiert, von den andern verachtet und schikaniert, wenn er es wagt, mal den Blick zu heben. Die unterste Klasse, Schmutzarbeit. Immer mehr anständige Handwerker verlieren ihre Arbeit, werden Obdachlose. Frederick Lau spielt Peter mit rauer, staubverklebter Stimme und seiner großartigen Mischung von Sanftheit und Renitenz. Peter hat ein Auge auf Lisbeth, die Tochter des reichen Glasfabrikanten, Henriette Confurius spielt sie, man kennt sie aus Dominik Grafs Schiller-Film "Die geliebten Schwestern". Lisbeth kommt vornehm und clean daher, wie es sich für ein Bürgertöchterchen gehört, aber in ihren Augen blitzen Lust und rebellischer Geist.

Das kalte Herz

Ganz unten: Frederick Lau als rußverschmierter Kohlenmunk-Peter.

(Foto: Weltkino)

Die Idee zum Film und erste Drehbuchentwürfe stammen aus der Zeit der großen Finanzkrise. Peter Munk liefert sich, damit er endlich auch Erfolg und Geld hat, den Waldgeistern aus, erst dem guten, dem Glasmännchen, dann dem bösen, dem Holländer Michel. Dieser verkörpert und predigt den herzlosen absoluten Neoliberalismus, er warnt Peter, er dürfe sich nicht von der Angst packen lassen - der Angst, anderen wehzutun: Damit tust du dir nur selber weh. Peter lässt sich das Herz rausnehmen und operiert nun als Geschäftsmann ohne Skrupel. Er geht nach Holland, zum Tor zur Welt, wo das ganz große Geschäft gemacht wird, der globale Holzhandel, mit dem die Ökokrise beginnt. Als er zurückkommt, ist er gut genug, um Lisbeth als Frau zu verlangen.

Ein märchenhafter Politthriller mit Fantasy- und Horrorelementen, sagt Andreas Marschall, der am Drehbuch mitarbeitete. Die Finanzkrise und parallel dazu die Entwicklung der Computereffekte haben den Look der Fantasyfilme verändert, und unseren Blick darauf. Man spielt im luftleeren Raum, die Realität ist sekundär geworden. Der deutsche Wald ist nun von Herr-der-Ringe- und Zombie-Wesen bevölkert, Milan Peschel zum Beispiel als erdiges Glasmännchen: "Menschen, ihr kennt mich nicht mehr", klagt er zu Beginn, "früher habt ihr an uns Geister geglaubt."

"Hör auf mit den Geistergeschichten", sagt Peter einmal zu seiner Mutter, "wir können uns nur selber helfen." Die Moral, auf die die Geschichte zuläuft, ist zu schön, um wahr zu sein. Aber natürlich ist Frederick Lau als kalter und geiler Kapitalist, mit glatt gegeltem Haar und schwerem dunklen Bürgerrock, einfach unglaublich attraktiv.

Das kalte Herz, D 2016 - Regie: Johannes Naber. Buch: Christian Zipperle, Johannes Naber, Steffen Reuter, Andreas Marschall. Kamera: Pascal Schmit. Mit: Frederick Lau, Henriette Confurius. Moritz Bleibtreu, Milan Peschel, David Schütter, Roeland Wiesnekker, Sebastian Blomberg, André M. Hennicke, Jule Böwe, Lars Rudolph. Weltkino, 119 Min.

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