NS-Ideologe Alfred Rosenberg:Hitlers fanatischer Philosoph

Adolf Hitler gratuliert Alfred Rosenberg zum Geburtstag, 1938

Adolf Hitler gratuliert Alfred Rosenberg (re.) 1938 zu seinem Geburtstag.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Tagebücher des NS-Chefideologen Rosenberg tauchten erst 2013 auf - und bilden die Grundlage für eine neue Biografie. Demnach pries er noch kurz vor seiner Hinrichtung das Nazitum als "edelste Idee".

Rezension von Ludger Heid

Der aus dem Baltikum stammende, 1893 geborene Alfred Rosenberg war 1918 vor den Bolschewiki nach Deutschland geflohen, hatte sich weißgardistischen Emigranten-Kreisen angeschlossen und war in München der rechtsradikalen Thule-Gesellschaft beigetreten. Als er sich dann 1920 der Deutschen Arbeiterpartei anschloss, aus der bald die NSDAP hervorging, war sein völkisch-antisemitisches Weltbild längst ausgeformt.

Rosenberg war am gescheiterten Hitler-Putsch 1923 beteiligt und hatte versucht, die Partei während der Inhaftierung Hitlers zusammenzuhalten, was der Führer ihm später mit einer Reihe von Partei- und Staatsämtern dankte.

Es gab wohl keinen zweiten nationalsozialistischen Führer, der so streitsüchtig - und damit für andere lästig - war wie Rosenberg, schreibt Volker Koop in einer neuen Biografie. Zum einen lag dies daran, dass er zwar stets Ämter mit wohlklingenden Titeln bekommen hatte, aber nie die entsprechenden Kompetenzen und Machtmittel besaß, die Ämter auch wirklich auszufüllen.

Seit 1923 war Rosenberg "Hauptschriftleiter" des NS-Zentralorgans Völkischer Beobachter, ab 1937 Herausgeber - eine beispiellose Karriere innerhalb der NSDAP nahm ihren Lauf. Kaum eine Ausgabe des Parteiblattes, in der Rosenberg nicht mindestens einen Artikel schrieb und gegen Bolschewisten, mehr noch gegen Juden zu Felde zog. Zu seinem 50. Geburtstag spendete ihm der Völkische Beobachter dieses Lob: "Mit der ganzen Wucht seines kämpferischen Geistes warf er sich dem jüdisch-bolschewistischen Geschmeiß entgegen."

Ein Hardliner des Antisemitismus

In vielen Schriften vertrat Rosenberg seine These von der prinzipiellen Überlegenheit der germanischen Herrenrasse, deutete die Geschichte als Kette von Rassenkämpfen, verbunden mit einer antichristlichen Blut- und Bodenmystik, vertrat einen militanten Antisemitismus.

Mit seinem 1930 erschienenen Hauptwerk "Der Mythus des 20. Jahrhunderts" - bis 1942 waren mehr als eine Million Exemplare verkauft! - avancierte Rosenberg zu einem der NS-Hauptpropagandisten und erwarb sich den Ruf als dämonischer Meisterdenker, als mörderisch-kühler Intellektueller der NSDAP und ihr Chefideologe.

Rosenberg wurde 1933 zum Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP ernannt. Ab 1934 war er "Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" und von 1941 bis 1945 war er Reichsminister für die besetzten Ostgebiete.

Was den Antisemitismus betraf, so war Rosenberg ein Hardliner, daran lässt Koop keinen Zweifel. Zwischen Rosenberg und Hitler bestand in der "Judenfrage" ein Gleichklang. Viele der antijüdischen Forderungen Rosenbergs finden sich denn auch in den späteren NSDAP-Programmen oder im Regierungshandeln der Partei wieder.

Rosenberg sei der "Spiritus Rector" innerhalb der NS-Polykratie gewesen, so Koop, der den kompromisslosesten Antisemitismus gepredigt habe und keinen Zweifel an Deutschlands Entschlossenheit gelassen habe, den "gesamten Kontinent vom jüdischen Schmarotzertum" zu befreien.

Furchtbarer Nazi und Egomane

Erst im Jahre 2013 waren Rosenbergs Tagebücher, die der US-Ankläger Robert Kempner seinerzeit an sich genommen hatte, wieder aufgetaucht - sie sind die Grundlage der Koop'schen Untersuchung.

Angesichts der Vielzahl von Rosenbergs Ämtern und des umfangreichen Dokumentenbestands, den sein Biograf oft in ermüdender Länge ausbreitet, zeichnet Koop das Bild eines furchtbaren Nazis in der Diskrepanz zwischen dessen übersteigerter Egomanie und seinem tatsächlichen Einfluss in der real existierenden NS-Politik.

Ein Rädchen im Getriebe der nationalsozialistischen Gewaltpolitik war Rosenberg gewiss nicht - er war ein Rad, ein Überzeugungstäter. Und so endete seine Karriere als "anerkannter Parteiphilosoph" folgerichtig am Strick, wozu ihn die Richter im Nürnberger Prozess als einen der "Urheber des Rassenhasses" verurteilt hatten.

Als Hauptkriegsverbrecher wurde er, der sich auch vor Gericht als intransigenter Nationalsozialist präsentiert hatte, schuldig gesprochen wegen Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Planung, Eröffnung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Den Tod habe er verdient, urteilt Koop, denn er sei es gewesen, der dem Holocaust den Boden bereitet und den Nationalsozialisten die "philosophische" Rechtfertigung für den Mord an Millionen Juden geliefert habe.

"Philosophische" Rechtfertigung für die Shoa

Der amerikanische Gerichtspsychologe Gustave M. Gilbert notierte nach einem Besuch in der Zelle des Angeklagten Rosenberg einmal, dieser sei verärgert gewesen, weil der Mitangeklagte Baldur von Schirach, seinen, Rosenbergs, Einfluss als unbedeutend abgetan habe.

Nachdem durch den Prozess das Ausmaß des Judenmords sichtbar geworden war, pochte Rosenberg darauf, mit seinen Aussagen und Schriften Einfluss genommen zu haben, mithin mitverantwortlich zu sein. Unbeirrbar in seinem ideologischen Denken, fanatischer Antisemit, eitel und intrigant, blieb er bis zuletzt dem Führer treu ergeben.

Noch im Gefängnis schrieb er: "Der Nationalsozialismus war eine europäische Antwort auf die Frage eines Jahrhunderts. Er war die edelste Idee, für die ein Deutscher die ihm gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Er war eine echte soziale Weltanschauung und ein Ideal blutbedingter kultureller Sauberkeit."

Das Todesurteil gegen Alfred Rosenberg wurde in den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 1946 vollstreckt. Dem Geistlichen, der ihn fragte, ob er für ihn beten solle, gab er mürrisch zur Antwort: "Nein, danke."

Ludger Heid ist Neuzeithistoriker. Er lebt in Duisburg.

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