NS-Vergangenheit:"Die Quandts haben nie etwas eingestanden"

Eric Friedler, Autor des Films "Das Schweigen der Quandts", über die Ignoranz schwerreicher Unternehmer - und über historische Wahrheit.

Ansgar Siemens

Etwa fünf Jahre hat NDR-Redakteur Eric Friedler, 36, zusammen mit seiner Kollegin Barbara Siebert für die Dokumentation "Das Schweigen der Quandts" recherchiert.

Der Film legt dar, wie stark der Unternehmer Günther Quandt und sein Sohn Herbert in der NS-Zeit von Zwangsarbeitern profitiert haben. Das Batteriewerk Afa, später Varta, in Hannover-Stöcken etwa war mit einem Konzentrationslager verbunden.

Ende September lief eine 60-minütige Fassung der Dokumentation bereits spätabends in der ARD. Am Donnerstag sendete der NDR eine neu geschnittene Version, die 90 Minuten dauert.

Die Quandt-Erben, die zu den reichsten Menschen in Deutschland zählen, haben inzwischen den Historiker Joachim Scholtyseck beauftragt, die Unternehmensgeschichte in der NS-Zeit wissenschaftlich zu erforschen.

sueddeutsche.de: Es gibt eine verlängerte Version Ihrer Dokumentation "Das Schweigen der Quandts". Warum?

Eric Friedler: Es war von vornherein geplant, eine 90-minütige Version des Film auszustrahlen. Wir sind ausführlicher auf das Leben von Harald Quandt eingegangen. Zudem haben wir die Reaktion der Familie Quandt auf die Erstausstrahlung des Films berücksichtigt.

sueddeutsche.de: Die Quandt-Erben sprechen von Vorwürfen, "die uns bewegt haben" - und haben prompt eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Familiengeschichte angekündigt. Hat das Schweigen nun ein Ende?

Friedler: Einerseits dementieren die Quandts die in der Dokumentation gezeigten Fakten nicht. Anderseits sagen sie nicht klar und deutlich: "Ja, es hat KZs gegeben, die mit unseren Fabriken verbunden waren." Nun soll ein von der Familie bestimmter Historiker die Unternehmensgeschichte im Dritten Reich aufarbeiten. Dabei haben Historiker schon erforscht, dass es ein KZ in Hannover-Stöcken gab, dass KZ-Häftlinge in Quandts Werken in Berlin, in Wien, in Polen zur Arbeit gezwungen wurden. Dass Tausende Zwangsarbeiter in anderen Quandt-Fabriken arbeiten mussten. Das sind Fakten.

sueddeutsche.de: Sie haben noch einmal mit dem ehemaligen KZ-Häftling Carl-Adolf Soerensen gesprochen, der in Quandts Varta-Fabrik in Hannover traktiert wurde. Wie hat dieser Mann auf die Forschungs-Offensive der Quandts reagiert?

Friedler: Herr Soerensen sagt: Solange die Familie Quandt nicht endlich anerkenne, dass es das Konzentrationslager in Stöcken gab, dass es Gefangene und Tote gab, solange sei für ihn dieses Vorhaben nur ein Aufschieben der Auseinandersetzung mit der historischen Wahrheit. Die Fakten lägen auf der Hand. Dafür braucht man seiner Meinung nach keinen Historiker. Er bietet an, mit der Familie auf das ehemalige Lagergelände zu gehen, um ihr zu zeigen, was damals passiert ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was ein Quandt-Nachkomme zu den Vorwürfen sagt.

"Die Quandts haben nie etwas eingestanden"

sueddeutsche.de: Fordert er eine Entschuldigung?

Friedler: Herr Soerensen möchte endlich seinen Frieden finden. Allein das Eingeständnis, dass es KZ-Häftlinge in Quandts Werken gab, wäre für ihn Entschuldigung genug. Und er würde sie heute annehmen, obwohl seine Erfahrungen mit den Quandts in den letzten Jahrzehnten schlecht waren. Er hatte Anfang der siebziger Jahre mit Leidensgenossen die Quandts um finanzielle Unterstützung gebeten. Die Ex-Häftlinge waren schwer krank von der Zwangsarbeit. Die Quandts verweigerten Geld mit der Begründung, sie hätten sich bei älteren Mitarbeitern erkundigt, doch niemand wisse etwas über KZ-Arbeiter. Dabei lebte zu dieser Zeit Herbert Quandt noch - er war Personalchef des Unternehmens gewesen.

sueddeutsche.de: Aus der Quandt-Familie wollte nur Sven, der Sohn von Herbert, ein Statement abgeben. Dass die Alliierten seinen Vater und Großvater nach dem Krieg nicht belangt haben, will er als Beweis ihrer Unschuld sehen.

Friedler: Die Alliierten haben die Quandts juristisch nicht belangt - das ist richtig. Dennoch ist klar, dass die Briten von dem KZ in Stöcken wussten und auch von den NS-Verstrickungen der Quandts. Sie schickten die entsprechenden Dokumente, die wir im Film zeigen, nicht an die Anklagevertreter bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg. Wohl auch deshalb, weil Quandts Werke schon seit Mai 1945 für die Briten Batterien produzierten. Wir haben die Dokumente dem ehemaligen amerikanischen Ankläger Benjamin Ferencz gezeigt. Er sagt, hätten diese Unterlagen in Nürnberg vorgelegen, wären die Unternehmer angeklagt worden.

sueddeutsche.de: Wie groß ist die Schuld der Unternehmer Günther und Herbert Quandt?

Friedler: Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen. Wir haben die Fakten dargestellt: Es gab ein KZ in Stöcken, dessen Häftlinge für Varta unter unmenschlichen Bedingungen schuften mussten. Es gab Frauen aus dem KZ Ravensbrück, die in Quandts Berliner Werk zur Arbeit gezwungen wurden. Es gab unsagbar großes menschliches Leid. Es gab Enteignung und Arisierung. Und es gab hohe Profite.

sueddeutsche.de: Die Quandt-Erben haben direkt und indirekt - über ihre Beteiligungen etwa an BMW - in einen Zwangsarbeiterfonds eingezahlt. Reicht das nicht?

Friedler: Es geht nicht ums Geld, es geht um historische Wahrheit. Es ist eine Sache, Geld zu geben, damit man etwa in den USA weiterhin gute Geschäfte machen kann. Das geschah zu einer Zeit, als der internationale Druck aufgrund der amerikanischen Sammelklagen auf die deutsche Industrie immens war. Auch BMW rechnete bestimmt mit Geschäftseinbußen, wenn es nicht reagiert hätte. Aber was war mit den anderen Firmen, die die Quandts im Dritten Reich besessen haben, bevor sie bei BMW einstiegen? Die Quandts haben sich nie den historischen Fakten gestellt. Sie haben nie etwas eingestanden. Im Gegenteil: Sie fühlten sich wohl eher belästigt, als die ehemaligen Opfer direkt mit ihnen Kontakt aufnehmen wollten.

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