Nahverkehr:Kommunen fürchten "Zwangsprivatisierung" ihrer Busnetze

Nahverkehr: Ein verlockendes Geschäft: das Liniennetz städtischer Busse - wie etwa hier in Kiel.

Ein verlockendes Geschäft: das Liniennetz städtischer Busse - wie etwa hier in Kiel.

(Foto: Holger Weitzel/imagebroker/Mauritius Images)

Die Deutsche Bahn greift nach den Nahverkehrsnetzen der Städte. Dort wächst der Ärger. Denn der Zuschlag ist oft so gut wie sicher.

Von Markus Balser

Bloß kein Aufsehen! Der Riese, der das Kleine entdeckt, schleicht sich lieber leise an. Am Anfang flöhen Mitarbeiter des Deutsche-Bahn-Konzerns mit 40 Milliarden Euro Umsatz das EU-Amtsblatt. Sie suchen nach auslaufenden Konzessionen. Denn wo Städte ihre Verkehrsbetriebe mit einem neuen Auftrag für das eigene Stadtbusnetz ausstatten wollen, wird es für die Deutsche Bahn interessant. Der Logistikkonzern will sich das eine oder andere Stadtbusnetz beschaulicher Kommunen unter den Nagel reißen - gegen deren Willen. Bei der Bahn weiß man: Ein einstimmiger Ratsbeschluss gegen die Privatisierung des Nahverkehrs kann durchaus gerade deren Anfang sein.

Wie eine Stadt die Kontrolle über ihr Busnetz verlieren kann? Warum funktionierenden Verkehrsbetrieben plötzlich die Liquidierung droht? In betroffenen Städten können sie anfangs kaum glauben, dass legal sein soll, was die Bahn nun schon an mehreren Orten praktiziert hat. Die Strategie des privaten Konkurrenten: Das Unternehmen wartet nicht etwa die turnusmäßigen Ausschreibungen ab, sondern nutzt einen Passus des novellierten Personenbeförderungsgesetzes. Demnach können Unternehmen vor Beginn der Ausschreibung die Übernahme von Netzen beantragen, wenn sie diese ohne öffentliche Zuschüsse betreiben. Der Zuschlag ist ihnen dann kaum noch zu nehmen.

So geschah es inzwischen in Pforzheim, so versuchte es die Bahn in Hildesheim. Doch das scheint nur der Anfang zu sein. Die Orte gelten als Blaupause für eine mögliche Privatisierungswelle bei Verkehrsbetrieben. Denn in vielen weiteren Städten laufen bundesweit in nächster Zeit Konzessionen aus. Und nicht allein die Bahn macht mobil. Jedes private Unternehmen hat diese Möglichkeit. Neben dem großen Busbetreiber aus Berlin versuchen sich deshalb auch andere große Konkurrenten oder wie in Oldenburg oder Leverkusen Mittelständler, den Zuschlag zu sichern.

In deutschen Städten sind die Angriffe derzeit Tagesgespräch. Sie haben ein regelrechtes Beben ausgelöst. "Zwangsprivatisierung" nennen verärgerte Lokalpolitiker das Prinzip. Denn mit dem Betrieb des Nahverkehrs geht es aus ihrer Sicht um Daseinsvorsorge und um Wirtschaftspolitik - die Grundaufgaben einer Stadt. Entsprechend alarmiert reagierte zuletzt auch der Deutsche Städtetag auf die Entwicklung. "Die Kommunen müssten das Recht zurückerhalten, einen guten und effizienten Nahverkehr für die Bevölkerung zu organisieren", sagte Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.

"Überall Kampfansagen zu machen, würde uns nicht helfen," sagt Guido Verhoefen

Die Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet um den Betrieb behäbiger Stadtbusse plötzlich mit so harten Bandagen gegekämpft wird, beginnt in der deutschen Provinz. Viele Busbetreiber, auch die bislang auf dem Land starke Bustochter der Bahn, rangeln um immer weniger Aufträge. Der Wegzug junger Menschen in die Städte, die Überalterung ganzer Landstriche, bedeutet für sie: weniger Geschäft im alten Terrain. Die Busse aber sind da, das Personal auch. Allein die Bahntochter Regio hat bundesweit 8000 Mitarbeiter. Alle Anbieter müssten versuchen, neue Geschäfte zu erschließen, sagt Guido Verhoefen, der Leiter der Geschäftsentwicklung bei der zuständigen Bahntochter Regio in Berlin. Etwa in den wachsenden Städten des Landes. "Als Busbetreiber schauen wir uns natürlich alles an, was vier Räder hat", sagt Verhoefen. Der Konzern wolle aber die Konfrontation mit den Städten nicht zur Regel machen. "Nur ein sehr kleiner Teil ist wirklich attraktiv", schränkt Verhoefen ein. Und "überall Kampfansagen zu machen, würde uns nicht helfen". Allerdings schrecke der Konzern auch vor großen Flotten nicht zurück, kündigt Verhoefen an. Große Städte, aufgepasst.

In Hildesheim beginnt nach dem Angriff der Bahn ein Wettlauf mit der Zeit

Eigentlich könnte das Interesse der Unternehmen an den Netzen auch für die Städte eine Chance sein. Dass Jahr für Jahr millionenschwere Verluste der traditionell defizitären städtischen Verkehrsbetriebe wegfallen, eröffnet Chancen an anderer Stelle. Zumal die Bahn, da wo sie zum Zug kommt, neue Busse und moderne Technik verspricht.

Doch die Kommunen bezweifeln, dass private Anbieter wirklich ohne Finanzspritze fahren. Das aktuelle Recht sei ein Einfallstor für Unternehmen, die behaupten, ohne Zuschüsse klarzukommen, sagt Dedy. In der Praxis aber würden auch sie öffentliche Zuschüsse, etwa für die Beförderung von Schülern und für vergünstigte Tickets im Verkehrsverbund, erwarten. So lehnte die Bezirksregierung Köln den Antrag eines privaten Anbieters wegen Zweifeln an den Berechnungen ab, angesichts der nötigen Investitionen in Busse. Externe Experten gingen davon aus, dass Kosten zu niedrig angesetzt waren und Einnahmen nicht ausreichten, um die Kosten zu decken. Von Spareffekten durch eine Verdrängung städtischer Busnetze durch private könne keine Rede sein, sagt auch der kaufmännische Vorstand der Stadtwerke Hildesheim. Die Abwicklung der städtischen Verkehrsbetriebe hätte mindestens zehn Millionen Euro gekostet, rechnet Michael Bosse-Arbogast vor. Jahrelang habe das gereicht, um Verluste auszugleichen. "Das ist doch volkswirtschaftlicher Irrsinn."

In Hildesheim begann nach dem Angriff der Bahn ein Wettlauf mit der Zeit. Konfrontiert mit der Bahn-Offerte mussten die Stadtwerke in Windeseile selbst ein privatwirtschaftliches Angebot vorlegen, das auf Zuschüsse verzichtet. Folge für die Mitarbeiter: Sie werden jetzt deutlich schlechter bezahlt. Die Stadt musste mit den Gewerkschaften einen neuen Tarifvertrag aushandeln. Denn die Personalkosten gelten als wichtigste Stellschraube im Nahverkehr. Aber immerhin: Die Verkehrsbetriebe überlebten. Der Streit hat längst auch die Bundespolitik erreicht. Als Skandal bezeichnet etwa die Grünen-Politikerin Brigitte Pothmer, dass Städte durch die geltende Rechtslage dazu gezwungen sein könnten, ein Produkt zu akzeptieren, das sie gar nicht haben wollen. Man müsse kein Schelm sein, um hier erfolgreiche Lobbyarbeit im Sinne der Deutschen Bahn zu erkenne, sagt Pothmer und fordert eine Gesetzesänderung. Bei öffentlichen Aufgaben sollte besonders gelten, dass nicht nur der Preis, sondern auch Nachhaltigkeit und Arbeitnehmerrechte eine Rolle spielen.

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