Kanada:Justin Trudeau, der Geduldige

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Trudeau ist in Kanada - und nicht nur dort - geradezu eine Kultfigur. Seine Erfolgsbilanz ist allerdings mau. (Foto: REUTERS)

Der kanadische Premierminister kann den Vertragsabschluss mit der EU selbst gut gebrauchen - und das nicht nur, weil für sein Land Ceta noch deutlich wichtiger ist als für die Europäer.

Von Reymer Klüver

Bis zuletzt hat er an seinen Plänen festgehalten, selbst über den Atlantik zu kommen und in Brüssel seine Unterschrift unter den Ceta-Pakt mit der EU zu setzen. Justin Trudeau blieb gelassen, obwohl die Streithähne auf dem alten Kontinent seine Geduld mächtig strapazierten mit immer neuen Nachforderungen und obwohl seine Handelsministerin schon das Scheitern der Verhandlungen mit den notorisch uneinigen Europäern konstatiert hatte (was sie später wieder zurücknahm).

Doch Justin Trudeau, Kanadas Sunnyboy-Premier, ist nicht nur für seine Umgänglichkeit und einen geradezu ansteckenden Optimismus bekannt. Er könnte den Vertragsabschluss mit der EU selbst ganz gut gebrauchen - und das nicht nur, weil für Kanada das Handelsabkommen noch deutlich wichtiger ist als für die Europäer.

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Trudeau steht im Ruf, viel versprochen und wenig eingelöst zu haben

Trudeau ist in Kanada - und nicht nur dort - geradezu eine Kultfigur. Seine Popularitätswerte sind seit seiner Wahl zum Premier vor einem Jahr sogar noch deutlich gestiegen. Mittlerweile halten den Sozialdemokraten fast drei Viertel seiner Landsleute für eine bedeutende politische Führungspersönlichkeit. Bei öffentlichen Auftritten in seinem Heimatland wird der jugendlich wirkende 44-jährige Familienvater vom Publikum meist enthusiastisch gefeiert. Im Internet ist er ein Star: Der Ein-Minuten-Clip, in dem er die Funktionsweise von Quantencomputern erklärte, wurde innerhalb von zwei Wochen von fast einer halben Million Menschen angeklickt, genauso wie seine Tanzeinlage bei einer Schwulenparade in Vancouver.

Aber die Popularität kann auch zur Belastung werden. Denn Trudeau hat ein kleines Image-Problem. Nicht ganz unähnlich dem Charismatiker im Präsidentenamt beim großen Nachbarn im Süden steht der kanadische Premier im Ruf, viel versprochen und bisher wenig eingelöst zu haben.

Kanada würde vom Freihandel mit Europa enorm profitieren

Da käme ihm ein Abschluss mit der EU gerade recht. Denn anders als in Europa ist Ceta in Kanada ziemlich beliebt. Das Land würde vom Freihandel enorm profitieren: Die EU ist für Kanada der wichtigste Handelspartner nach den USA, und Ceta würde den Warenaustausch noch einmal um sieben Milliarden Euro anwachsen und fast 80 000 neue Arbeitsplätze in Kanada entstehen lassen.

Der Ruf, ein politisches Leichtgewicht zu sein, hat Trudeau schon lange belastet. Ehe er 2013 den Vorsitz seiner Partei, der Liberal Party, eroberte, hatte er sich in fünf Jahren als Parlamentsabgeordneter nicht ein Mal grundsätzlich zu wirtschaftlichen oder außenpolitischen Fragen geäußert. Doch er konnte einen Umstand in die Waagschale werfen, der ihn für den Posten als Partei- und später als Regierungschef fast zu prädestinieren schien: Trudeau ist im Amtssitz des kanadischen Premiers in Ottawa großgeworden. Sein Vater Pierre war dort, von 1968 bis 1984 mit einer kurzen Unterbrechung Hausherr. Nicht wenige seiner Landsleute erwarten nun, dass Justin Trudeau es seinem verehrten Vater gleichtun will.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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