Rechtsextremismus:Ich will Sachsen nicht aufgeben

Zwei Jahre Pegida in Dresden

Das ist Sachsen. Aber in dem Bundesland engagieren sich auch Menschen gegen den Hass.

(Foto: Oliver Killig/dpa)

Unsere Autorin hat sich vor einem Jahr wütend von ihrer Heimat abgewandt. Doch nun muss sie erkennen, dass sie es sich damit zu einfach gemacht hat.

Von Antonie Rietzschel

Die Stimme der Frau zittert, als sie ihre Frage stellt. Vielleicht vor Aufregung, vielleicht aus Verzweiflung. Sie sitzt in der hintersten Reihe eines Vortragsraums mitten im Dresdner Zentrum. In ihrer Freizeit betreut sie Flüchtlinge, die Angst vor Übergriffen haben. Die sich nicht gewollt fühlten. Ob sie aus Sachsen wegziehen sollten, die Frage käme immer häufiger auf. Und am liebsten, so die Helferin, würde sie mit "Ja" antworten. "Was denken Sie?", fragt mich die Frau.

Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Dresden. Ich bin weggezogen, vor neun Jahren. Ich habe in Bremen studiert, in Kasachstan und Russland gearbeitet. Schließlich verschlug es mich nach München. In die Heimat komme ich nur noch als Gast. Meine Eltern leben hier, ab und zu bin ich auch beruflich in Sachsen unterwegs. An diesem Abend des 28. September halte ich einen Vortrag in Dresden. Einen Tag zuvor ist vor einer Dresdner Moschee ein Sprengsatz explodiert. Der Schock sitzt immer noch tief - bei mir, aber auch im Publikum. Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob man als engagierter Mensch die Hoffnung komplett aufgeben muss, das sich in dieser Stadt, in diesem Bundesland etwas ändert.

Ich gebe der Dame recht. In diesem Moment habe auch ich das Gefühl, als ob jede Hoffnung verloren sei. Eine alte Wut auf meine Heimat kocht hoch, die ich ein Jahr gepflegt habe. Doch in diesem Herbst muss ich erkennen, dass ich es mir mit meiner Haltung sehr einfach gemacht habe.

Im Sommer 2015 besuche ich Heidenau. Die Stadt, in der ich sieben Jahre zur Schule gegangen bin, ist plötzlich ein brauner Fleck auf der Landkarte. Rechtsextreme randalieren vor einer Notunterkunft für Flüchtlinge. Ich berichte von vor Ort, werde als "Lügenpresse" beschimpft. Ich bin der "Wessi", von dem man sich nichts sagen lässt. Weil ich aus Sachsen weg gezogen bin, gehöre ich für manche Leute nicht mehr hierher - und will schließlich auch nicht mehr dazu gehören.

Daraufhin schreibe ich einen Text, der mit "Ich will kein Ossi mehr sein" überschrieben ist. Meine Mutter ruft mich weinend an. Ein alter Bekannter aus Pirna meint: "Vielleicht wollen wir dich auch gar nicht zurück." Aus ganz Deutschland erhalte ich E-Mails von Menschen, die genau wie ich aus dem Osten weggezogen und nun ratlos sind.

Ich drehe meiner Heimat also den Rücken zu, gebe es auf, sie zu verteidigen. Vielleicht, weil ich hoffe, dass sie wie ein trotziges Kind plötzlich zur Vernunft kommt. Doch immer wieder werde ich enttäuscht. Als in Clausnitz ein wütender Mob Flüchtlinge anschreit. Als unter dem Jubel Schaulustiger ein geplantes Asylbewerberheim in Bautzen abfackelt. Wenige Monate später kommt es dort zu Krawallen zwischen Rechtsextremen und jungen Flüchtlingen.

Ganz lösen kann ich mich nicht von Sachsen. Ich besuche immer noch gerne Familie und Freunde, doch bin ich längst nicht mehr so unbeschwert wie anderthalb Jahre zuvor. Wenn ich durch die Straßen von Pirna oder Dresden laufe, schaue ich genau auf T-Shirt-Aufdrucke oder Tätowierungen.

Ich regte mich auf über die Gleichgültigkeit

Als ich vor Kurzem für anderthalb Wochen in Sachsen bin, kommt mir gleich am Pirnaer Bahnhof ein Kerl entgegen, auf dessen T-Shirt "German Steel for the Front" steht, daneben ist ein Maschinengewehr abgebildet. Ein anderer hat sich eine Deutschlandflagge auf die Wade tätowiert, dazu "Made in Germany". Einmal fahre ich hinter einem Auto her, auf dessen Heckscheibe das Eiserne Kreuz klebt. Durch die Fußgängerzone schlendern wie selbstverständlich drei Typen mit Klamotten der rechtsextremen Marke Thor Steinar.

Ich rege mich auf über die Gleichgültigkeit auf, mit der das alles hingenommen wird. In meinem Urteil fühle ich mich bestätigt, selbst wenn ich mal nicht hinschaue. Den Tag der Deutschen Einheit verbringe ich mit Freunden im Haus meiner Eltern, sie stammen aus Brasilien, aus München, einige leben im früheren Westberlin. Zu DDR-Zeiten hätte uns die Mauer voneinander getrennt. Aber jetzt sitzen wir gemeinsam am Küchentisch und spielen Karten. Für uns gibt es keine schönere Art, die Wiedervereinigung zu feiern.

Doch dann versaut Pegida wieder alles. Eine Flüchtlingshelferin erzählt mir, wie schlimm es für sie war, die Frauenkirche nach den Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung zu verlassen. Gerade war ihr für ihr Engagement gedankt worden, dann öffneten sich die großen hölzernen Türen und sie hörte, wie Demonstranten "Volksverräter" brüllten. Am Ende unserer Unterhaltung sagte die Dame aber auch: "Es war so ein schönes Wochenende - aber jetzt wird wieder nur über diese Minderheit berichtet." Eine andere Frau forderte: "Hört auf, die Hassenden verstehen zu wollen."

Das "dunkelste Bundesland"?

Wegen beruflicher Termine bin ich in diesen Wochen immer wieder in der alten Heimat. Ich besuche Veranstaltungen in Pirna, Dresden und Meißen, bei denen es um Flüchtlinge geht. Ich habe damit gerechnet, dass Pegida-Anhänger auftauchen, um die Veranstaltung zu stören. Doch es kommen vor allem Menschen, die von ihrem ehrenamtlichen Engagement erzählten. Von einem Bürgermeister, der offen rechts ist. Über Nachbarn, die einen im Supermarkt anbrüllen, weil man einem jungen Flüchtling beim Einkauf hilft. Über eine Schule, in der rechtsextreme Übergriffe totgeschwiegen werden. Und immer wieder die Frage: Was tun? Für uns, für die Flüchtlinge und gegen den Hass? Die Ratlosigkeit war erdrückend. Und dann Ende September in Dresden diese Frage: "Was denken Sie?"

Meine Antwort, "ich habe das Bundesland aufgegeben", hat einen erstaunlichen Effekt. Das Publikum diskutiert untereinander und mit mir selbst. Was solle denn werden, wenn einfach alle weg gingen? Das wäre eine absolute Katastrophe. Es gebe doch durchaus positive Entwicklungen. Zwar könne man sich nicht auf die Landesregierung verlassen, aber es habe sich doch zivilgesellschaftlich so viel getan. Die Diskutierenden stemmen sich so leidenschaftlich gegen das Aufgeben, dass mir eines klar wird: Wenn ich mich einfach abwende, dann auch von den Menschen, die versuchen, etwas zu ändern.

Sie sind nicht so laut wie Pegida in der öffentlichen Wahrnehmung. Wenn über Sachsen berichtet wird, dann meistens als Brutstätte für Wutbürger und Rechtsextreme. Der Fall Dschaber al-Bakr führte dazu, dass das Magazin Stern Sachsen als "dunkelstes Bundesland" bezeichnete. Als käme ich aus einer Art Schattenreich. Damit hat das Sachsen-Bashing seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, in mir regt sich Widerwillen. Ich, die doch ebenfalls auf meine Heimat eingedroschen hat, will sie wieder verteidigen.

Denn auch das ist Sachsen: Nach einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Meißen stehe ich nachts mit einer kleinen Gruppe im dem dunklen Gewölbe des Doms. Die Kerzen in unseren Händen flackern und werfen Schatten auf die steinernen Wände. Ein Teilnehmer der Führung stammt aus Algerien. Er stimmt direkt vor dem Altar ein Lied an - auf Arabisch. Er singt zart und doch ist der ganze Raum von seiner Stimme erfüllt. Es ist Montagabend. Normalerweise demonstriert da in Dresden Pegida gegen die Islamisierung des Abendlandes. Wenn die wüssten.

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