NSU-Prozess:Hinter Zschäpes Fassade

NSU-Prozess: Einen Mangel an "Gemüthaftigkeit und Empathie" bescheinigt der Gutachter der Angeklagten Beate Zschäpe.

Einen Mangel an "Gemüthaftigkeit und Empathie" bescheinigt der Gutachter der Angeklagten Beate Zschäpe.

(Foto: AFP)
  • Wie kann das Gericht über die Schuld der Hauptangeklagten im NSU-Prozess befinden? Ein Psychiater entwirft dafür zwei Szenarien.
  • Folgt der Richter dem zweiten, kommt Zschäpe nie wieder in Freiheit.

Von Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm

Professor Henning Saß ist ein sehr ruhiger, sehr zurückhaltender, ein sehr trockener Mann. Wie ein grauer Schatten saß er bisher im Prozess, nur drei Meter von Beate Zschäpe entfernt. Selten hat er etwas gesagt, kaum etwas gefragt.

Doch er hat beobachtet: Hat jedes Mienenspiel von Beate Zschäpe verfolgt, hat gesehen, wie sie auf weinende Zeugen reagiert, wie sie ihren Anwälten die kalte Schulter zeigt und immer wieder gerne mitlacht, wenn jemandem im Gerichtssaal ein Patzer passiert. Mehr als 300 Tage lang ist Saß in die Psyche der Hauptangeklagten im NSU-Prozess eingedrungen. Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu schauen, reden wollte Zschäpe nicht mit ihm.

Am Donnerstag vergangener Woche hat der Psychiater sein 173 Seiten langes Gutachten bei Gericht abgeliefert - an diesem Donnerstag nun ist es bekannt geworden. Und es könnte für Beate Zschäpe gefährlich werden. Saß hat die Aufgabe, die Schuldfähigkeit von Zschäpe zu überprüfen, falls sie verurteilt wird. Und er kommt zu dem Ergebnis: voll schuldfähig.

Aber er sieht noch mehr. Denn der Psychiater zeichnet in dem Gutachten zwei Szenarien dafür, wie das Gericht über ihre Schuld befinden könnte. Folgt das Gericht dem zweiten Szenario, dann kommt Zschäpe nie wieder in Freiheit.

Gutachter Saß geht zunächst von Szenario 1 aus - dass die Angeklagte über ihre Zeit im Untergrund die Wahrheit gesagt habe. Dass sie also die zehn Morde ihrer Gefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ablehnte, sich deswegen mit ihren Freunden anlegte, nicht durchdrang mit ihrer Kritik, aber auch nicht aus dieser Gemeinschaft ausbrechen konnte. Dass sie die passive Dulderin war.

Verhalten anders als Selbstcharakterisierung

Wenn diese Variante zuträfe, schreibt Saß, dann wäre bei Zschäpe kein "Hang" zu Verbrechen zu attestieren. Jener Hang, der eine verfestigte, eingeschliffene Verhaltensweise ist, die einen Menschen dazu treibt, immer wieder Verbrechen zu begehen. Genau so einen Hang verlangt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Wenn Zschäpe also nur die Dulderin gewesen wäre, dann wäre bei ihr keine Sicherungsverwahrung nötig.

Doch Saß macht in seinem Gutachten recht deutlich, dass viel gegen diese Variante vom braven Frauchen spricht, das immer erst hinterher von den Morden erfuhr. Erstens stimme ihr Verhalten im Prozess nicht mit dem überein, wie sich Zschäpe selbst charakterisiert.

Braves Frauchen oder aktive Mittäterin

Im Prozess erscheint sie - so Saß - "stark, durchsetzungswillig, kämpferisch und auch manipulativ", gerade wenn es um den Streit mit ihren alten Anwälten geht. Gleichzeitig wirke sie im Gerichtssaal ruhig, selbstsicher und entspannt. Auch zahlreiche Zeugen hätten sie als selbstbewusst und eigenständig beschrieben.

Das führt den Psychiater zu folgendem Schluss: "Dies spricht eher gegen die Annahme, dass sie sich über eine sehr lange Periode entgegen ihrer eigenen Auffassung in einer so wichtigen und dramatischen Frage wie dem Begehen einer Serie von Tötungshandlungen dem Willen der beiden Lebenspartner gebeugt hätte."

Außerdem hätten Nachbarn und Urlaubsfreunde das Bild einer Freundesgruppe gezeichnet, die ihr Leben genossen habe. Zschäpe habe demnach nicht resignierend ein Leben geführt, das ihr widersprach. Von inneren Konflikten sei nirgendwo etwas zu sehen gewesene.

Das zweite Szenario, das Saß zeichnet, entspricht dem Bild von Zschäpe, das auch die Anklage von ihr hat: das einer Frau, die über die Pläne ihrer Freunde informiert und aktiv in die Planungen eingebunden war, auch bei der Herstellung des Bekennervideos. In diesem Fall müsse man davon ausgehen, dass sie die Taten akzeptiert habe. Man müsse von einer "ganz anderen kriminellen Energie" ausgehen als bei dem Bild, das Zschäpe von sich selbst zeichnet.

"Kaum Hinweise über Erschütterung"

Dann würde es sich bei ihrem Verhalten wohl tatsächlich um einen "tief eingeschliffenen inneren Zustand" handeln, also einen "Hang" - was gestützt wird durch Straftaten schon vor dem Untertauchen, die Bereitschaft zu militanten Aktionen, der Herstellung des menschenverachtenden "Pogromly"-Spiels und der engen Gemeinschaft im Untergrund, die sich über die natürliche Tötungshemmung hinwegsetzte, selbst wenn sie an den Morden nur mittelbar beteilt war.

Saß betont, es habe auch nach dem Auffliegen des NSU bei Zschäpe "kaum Hinweise für eine Erschütterung über das Geschehen" gegeben. Aus ihrer knappen Erklärung vor Gericht lasse sich das jedenfalls nicht herauslesen.

"Bei heutigem Kenntnisstand kann nicht festgestellt werden, dass ein grundlegender Wandel in Haltungen und Überzeugungen eingetreten ist", schreibt Saß. Und er hält es für möglich, dass Zschäpe sich später wieder der gewaltbereiten rechten Szene zuwendet, es gebe ja weiter eine Unterstützerszene für ausländerfeindliche Delikte.

Saß hält Zschäpe nicht durch Alkoholsucht oder Persönlichkeitsstörungen in ihrer Schuldfähigkeit eingeschränkt. Er sieht bei ihr nur egozentrische Züge, dazu einen Mangel an "Gemüthaftigkeit und Empathie". Und: Die Angeklagte könne sehr gut die Fassade wahren.

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