Marathon in New York:Als würden seine Gegner Bleiwesten tragen

Ghebreslassie of Eritrea crosses the finish line to win the men's field of the 2016 New York City Marathon in Central Park in New York City

Ghirmay Ghebreslassie auf der Ziellinie in New York.

(Foto: REUTERS)

Mit spielerischer Leichtigkeit gewinnt Ghirmay Ghebreslassie, 20, den fiesen New-York-Marathon. Bleibt die Frage, wie alt der eritreische Läufer wirklich ist.

Von Johannes Knuth

Als das Rennen gerade in seine schwerste Phase eintauchte, wirkte Ghirmay Ghebreslassie am befreitesten. Er federte die Auffahrt zur Willis Avenue Bridge hinauf, die sich steil vor ihm erhob, die über den Harlem River führte und hinter dem Fluss zart, aber stetig anstieg. Er schüttelte die letzten Verfolger ab, den Kenianer Lucas Rotich, Lelisa Desisa aus Äthiopien, die jetzt liefen, als würden sie Bleiwesten tragen. Und als Ghebreslassie gewonnen hatte, lief er die Zielgerade freudig wieder zurück, ausgerüstet mit Eritreas himmelblauer Landesflagge. Später flanierte er mit Rotich noch durch den Zielraum, als hätten sie sich zur Joggingrunde im Central Park verabredet. Nur halt mit 42,195 Kilometern in den Beinen.

Der New-York-Marathon am Sonntag hat mal wieder gezeigt, dass man nicht unbedingt die prominentesten Lauffelder braucht, die teuersten Zutaten, um ein schmackhaftes Rennen zuzubereiten. Die Kenianerin Mary Keitany zeigte ein langes Solo im Herbstwind, das sie zu 2:24:26 Stunden und ihrem dritten New-York-Erfolg in Serie trug. Und bei den Männern gewährte der Lauf bereits einen Blick in die Zukunft. Ghebreslassie, 20, war der jüngste Sieger, den New York bislang hervorgebracht hat; auch Rotich, der Zweite, ist mit seinen 26 Jahren nach den Regeln des Gewerbes noch ein Talent.

Und dann war da die Zeit, die Ghebreslassie ins Geschichtsbuch des New Yorker Klassikers schrieb. Der Kurs durch die fünf Stadtteile ist einer der fiesesten überhaupt, er rüttelt einen Läufer immer dann durch, wenn er gerade in einen Rhythmus gefunden hat. Ghebreslassie traf am Sonntag nach 2:07:51 Stunden ein, wenige waren hier je schneller.

Rasanter Aufstieg im 15 Monaten

Der Sonntag war also der vorläufige Höhepunkt eines Aufstieg, der Ghebreslassie innerhalb von 15 Monaten vom 19 Jahre alten Unbekannten in die Elite des Straßenlaufs geführt hat. Er ist mit einem beachtlichen Gespür für Rennen ohne Skript, ohne Tempomacher ausgestattet, in denen der Kopf zwischen Sieg und Niederlage trennt. Wie er das schafft, darüber hielt er in New York ein Impulsreferat: "Du brauchst absolutes Selbstvertrauen. Wenn du das Vertrauen verlierst, ist es hoffnungslos. Ohne Hoffnung kannst du nichts schaffen." Ghebreslassie bewies am Sonntag auch wieder jenes Gespür für den winzigen Moment, in dem man ein zweistündiges Rennen auf seine Seite zieht.

Auf der Betonauffahrt nämlich, wenn die meisten zu tief in den eigenen Qualen stecken, als dass sie einen Angriff parieren könnten. Vor einem Jahr bei der WM in Peking, in seinem zweiten Marathon überhaupt, hatte sich Ghebreslassie nach 34 Kilometern abgesetzt, als die Besten weichgekocht waren von der Hitze.

"Ich bin in einer heißen Gegend aufgewachsen", sagte der neue Weltmeister damals, "das Wetter hier war sehr schön." In diesem Jahr lief er drei Marathons, ein riskantes Unterfangen, in London und Rio wurde er je Vierter, und nun, elf Wochen nach Olympia, der Sieg in New York. Acht Tage vor seinem 21. Geburtstag.

Er verdiente 125.000 Dollar an einem Tag

Die Marathonwelt hat in den vergangenen Jahren einige junge Hochbegabte begrüßt, aber so früh wie Ghebreslassie ist selten einer an die Spitze geschossen. "Er ist unseren Planungen ein wenig davongelaufen", sagte sein Manager Jos Hermens - das war vor einem Jahr. Früher wechselten die Läufer nach einer erfüllten Karriere auf der Bahn in eine zweite Laufbahn auf der Straße. Mittlerweile sind viele Stadionmeetings und Verdienstmöglichkeiten verschwunden. Der Nachwuchs probiert es also gleich auf der Straße, dieser Trend nimmt stählerne Festigkeit an. Der junge Ghebreslassie verdiente allein am Sonntag 100 000 Dollar für seinen Sieg, 25 000 weitere für seine Zeit.

Wobei: Das mit dem Alter ist bei ihm so eine Sache. Man habe gehört, schrieb das Fachportal RunBlogRun nach der WM 2015, dass er "zwischen 20 und 25 Jahren" alt sei. Sein Management ließ Anfragen dazu unbeantwortet. Ghebreslassie erzählte lieber, dass seine Eltern nicht viel von seiner Laufkarriere hielten, dass er im Niederländer Jos Hermens schließlich einen Unterstützer fand. Er lebt und trainiert in Eritrea, aber er ist aufgeschlossen für neue Trainingslehren. Hermens hat ihn in das von ihm geförderten Projekt eingebettet, in dem Wissenschaftler den ersten Läufer züchten wollen, der einen Marathon unter zwei Stunden läuft. Man kratze noch an der Oberfläche seines Könnens, sagte Hermens in New York.

Und jetzt? Dass der Anti-Doping-Kampf in Afrikas Laufhochburgen seit Langem nachlässig geführt wird und Zweifel schürt, kann man Ghebreslassie kaum anlasten. Aber was der frühe Erfolg für die jungen Knochen bedeutet, muss sich noch zeigen. "Drei Marathons im Jahr bringen dir viel Geld", sagte der drittplatzierte Abdi Abdirahman, 39, am Sonntag zum Sieger: "Aber wenn du eine lange Karriere haben willst, genieße dein Leben und mach nicht mehr als ein, zwei Marathons im Jahr." Ghebreslassie lauschte aufmerksam. Dann klatschte er.

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