NSU-Prozess:Wahrheit und Täuschung

  • "Die Aufklärungspflicht gebietet die Beiziehung dieser Akten nicht", sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger.
  • Die Opferanwälte Mehmet Daimagüler und Seda Başay-Yıldız hatten gefordert die Ermittlungsakten im Mordfall Peggy Knobloch zum NSU-Prozess hinzuzuziehen.
  • Die Soko Peggy prüft eine versehentliche DNA-Verschleppung durch Polizisten.

Von Wiebke Ramm

Die Bundesanwaltschaft sieht keinen Anlass, die Ermittlungsakten im Mordfall Peggy Knobloch zum NSU-Prozess hinzuzuziehen. Die Opferanwälte Mehmet Daimagüler und Seda Başay-Yıldız hatten dies gefordert, nachdem bekannt geworden war, dass sich am Ablageort von Peggys Leiche eine DNA-Spur des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt fand. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München über den Antrag steht noch aus.

"Die Aufklärungspflicht gebietet die Beiziehung dieser Akten nicht", sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger am Dienstag zu Beginn des 319. Verhandlungstages im NSU-Prozess. Es sei "nach aktuellem Erkenntnisstand" nicht zu erwarten, dass der Inhalt der Peggy-Akten zur Aufklärung der NSU-Taten beitragen könne. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich in den Akten etwa Hinweise fänden, wie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Böhnhardt ihr Leben im Untergrund finanziert haben. "Dass sich die drei ihren Unterhalt möglicherweise auch durch Kinderpornografie finanzierten, ist reine Spekulation", sagte Greger. Schon gar nicht sei zu erwarten, dass sich dazu Hinweise in den Akten zum Fall Peggy fänden.

Noch ist unklar, ob es sich bei der DNA-Spur von Böhnhardt am Fundort von Peggys Leiche um eine tatrelevante Spur handelt. Die Soko Peggy prüft eine versehentliche DNA-Verschleppung durch Polizisten.

Am Nachmittag sagte im NSU-Prozess das Opfer eines Angriffs durch den Angeklagten Carsten S. und weitere junge Männer im Juli 1998 an einer Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla aus. Der heute 36-jährige Martin K. berichtete, dass er mit einem Freund an einer Ampel stand, als sie von etwa sechs Neonazis angegriffen wurden. Er sei zu Boden gerissen, geschlagen und getreten worden. Martin K. habe vergeblich versucht zu fliehen. Die Angreifer hätten ihn in ein Holzhäuschen gezerrt und dort weiter auf ihn eingeprügelt.

Erst vor wenigen Wochen konnte Martin K. als Opfer identifiziert werden

Das Gericht präsentierte Fotos aus der Krankenakte des damals 17-Jährigen im Saal. Sie zeigten das malträtierte Gesicht von Martin K. Seine Nase war gebrochen, sein rechtes Auge zugeschwollen. Noch heute packe ihn die Angst, wenn er nachts auf eine Gruppe von Männern treffe, sagte der Zeuge.

Mit seiner Aussage stützt Martin K. die Glaubhaftigkeit der Angaben des Angeklagten Carsten S. - und belastet indirekt den Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Carsten S. hatte an einem früheren Verhandlungstag voller Scham von dem Vorfall berichtet. Seiner Erinnerung nach sei auch Wohlleben an dem Angriff beteiligt gewesen. Wohlleben bestritt dies und zweifelte an, dass es die Schlägerei überhaupt gegeben hat. Erst vor wenigen Wochen konnte Martin K. als Opfer identifiziert werden.

Unter Tränen wandte sich Carsten S. am Ende des Prozesstages an den Zeugen: "Ich wollte Ihnen sagen, dass mir sehr leid tut, was passiert ist. Ich habe damals mitgemacht und dafür wollte ich mich entschuldigen."

Carsten S. und Wohlleben sind wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. Sie sollen Böhnhardt und Mundlos die Pistole beschafft haben, mit denen diese neun Männer türkischer und griechischer Herkunft ermordeten. Carsten S. hat die Waffenlieferung bereits gestanden und zugleich Wohlleben belastet. Wohlleben bestreitet jedoch, in die Waffenbeschaffung involviert gewesen zu sein. Das zehnte Mordopfer des NSU war die Polizistin Michèle Kiesewetter.

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