Deutsche US-Politik:Ende der Bequemlichkeit

Die neue US-Regierung ist für Berlin ein schwarzes Loch.

Von Stefan Braun

Wenn man noch vor Kurzem mit Vertretern der Bundesregierung über die US-Wahl gesprochen hat, konnte man viel über das Team von Hillary Clinton hören. Nationaler Sicherheitsrat, State Departement, Pentagon - für alle Ressorts, die wichtig sind, wusste man in Berlin schon Namen. Die Kandidaten waren bekannt, zu allen gab es vertrauensvolle Beziehungen.

Man muss das erwähnen, um deutlich zu machen, was passiert ist. Mit Donald Trumps Wahl steht Berlin vor einem schwarzen Loch; die Regierung hat keine Ahnung, was auf Deutschland zukommt. Weder zu Trump noch zu seinem Team gibt es Kontakte, die man so nennen könnte. Im deutsch-amerikanischen Verhältnis ist so etwas bisher undenkbar gewesen.

Eines freilich ahnt man schon jetzt, dazu braucht es keine Trump-Berater und keine programmatische Rede des neuen US-Präsidenten: Für Deutschland könnte sich die Welt gravierender verändern als nach dem Fall der Mauer. Trump wird sich, wenn er seine Wahlversprechen nicht brechen möchte, so sehr auf Amerika konzentrieren, wie das seit Langem keiner seiner Vorgänger getan hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er deshalb auch die letzten Reste jenes Schutzschirms abbauen, den die USA über die alte Bundesrepublik, über Europa und später über das vereinte Deutschland gespannt hat. Washington übernimmt die Hauptlast bei internationalen Krisen? Das wird sich ändern. Amerika trägt den Hauptteil humanitärer Hilfe in Notlagen? Ist nicht mehr zu erwarten.

Deutschland muss seine Rolle ohne Trumps Amerika suchen

Und so wird endgültig Realität, was Bundespräsident Joachim Gauck vor drei Jahren noch aus der Vernunft heraus empfohlen hatte: Deutschland wird international mehr Verantwortung übernehmen müssen. Nicht, weil das Spaß macht, sondern weil es mit der alten Bequemlichkeit vorbei ist. Jener Bequemlichkeit, mit der Berlin und Europa stets auf Washington setzen konnten, wenn hier oder dort die Welt brannte. Will Europa, das Europa der Demokraten, der Menschenrechte, der Liberalität, seine Werte verteidigen, muss es selbst ran.

Die Folgen wird man in der Ukraine-Krise und in Syrien bald studieren können. In beiden Fällen ist die Gefahr groß, dass Russlands Präsident Wladimir Putin von Trumps Sicht auf die Welt profitieren könnte. Sein Ziel, trotz Krim und Syrien-Bombardements mit dem Kreml die Verständigung zu suchen, könnte für die Gegner Russlands grausam enden - und Berlin sehr schnell zwingen, die eigene Rolle ohne Washington selbst zu begründen.

Das im Übrigen ist nicht alles. Trumps Wahl wirft auch ein Schlaglicht darauf, wie lächerlich und klein eine große Koalition wirkt, die bei zentralen Themen wie Rente und Klimaschutz auch nach Monaten der Vorbereitung keine Kompromisse findet. Ganz so, als habe sie nicht verstanden, dass es Populisten und Demokratiefeinde besonders stark macht, wenn eine Regierung wichtige Probleme ungelöst lässt. Trumps Erfolg lehrt: Politik darf sich nicht mehr um sich selbst drehen.

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