Die Zahlen:Verjüngung und Vervielfältigung

153 000 Zuschauer kamen in Lilienthals erster Saison, doch derzeit nimmt der Zuspruch ab, sowohl bei der Auslastung als auch bei den Theater-Abos. Wichtiger wurden die kleinen Bühnen neben dem großen Saal des Schauspielhauses.

Von Egbert Tholl

73 Prozent. So hoch war die prozentuale Gesamtauslastung aller Vorstellungen zusammen in der ersten Saison von Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen. Das ist gut - allgemein gilt im subventionierten Theaterbetrieb alles jenseits von 70 Prozent als Erfolg. Und: Vorgänger Johan Simons hatte in seinen fünf Spielzeiten nur einmal eine höhere Auslastung, nämlich in seiner ersten, 2010/11.

Nun gilt im Betrieb der darstellenden Künste auch, dass relative Auslastungszahlen oft relativ wenig aussagen. Spielt man etwa viel auf Nebenspielstätten, erzielt man mit einer viel geringeren Anzahl von Zuschauern eine viel höhere prozentuale Auslastung als auf einer großen Bühne. Deshalb muss man auch die absoluten Zahlen nennen, wie sie der geschäftsführende Direktor Oliver Beckmann mitteilt und wie sie das Münchner Kulturreferat bestätigt: 153 000 Besucher hatten die Kammerspiele in der Saison 2015/16. In der davor, der letzten von Johan Simons, waren es 158 000, in seiner ersten 151 000. Allerdings gab es unter Lilienthal mit 659 Vorstellungen auch 139 mehr als in der letzten Saison von Simons. Dazu zählt eine Fülle von Gastspielen, dazu zählen auch Lesungen, Übernachtungen in Shabby-Shabby-Hütten, Popkonzerte, Diskussionen.

Während die Anzahl der Veranstaltungen stieg, nahmen die Erlöse an der Kasse ab. 2,781 Millionen Euro nahmen die Kammerspiele in der ersten Saison Lilienthals ein; 3,057 waren es in der letzten von Simons, in dessen schlechtester (2012/13) waren es allerdings etwas weniger, 2,739. Die geringeren Erlöse unter Lilienthal erklären sich mit einer Verjüngung des Publikums, also mit einem erhöhten Verkauf von Studentenkarten und sogenannten Flat-Rate-Saisonkarten: Der Anteil der Jugendkarten stieg von zwölf auf 20 Prozent (Saison 2014/15 und 2015/16). Der Anteil der Abonnements blieb praktisch gleich, er sank lediglich um ein Prozent auf 22, der freie Verkauf normaler Kaufkarten stieg um sechs Prozent.

Interessant wird es, wenn man die Zahlen der drei Spielstätten einzeln betrachtet. Im Schauspielhaus gab es unter Lilienthal 269 Vorstellungen (281 waren es im Schnitt zwischen Herbst 2009 und Sommer 2015), in der Spielhalle 171 (90), im Werkraum 138 (99) und 81 im öffentlichen Raum (27). Das heißt, die kleineren Spielstätten wurden stärker bespielt als im Schnitt der sechs vorangegangenen Saisons, das große Schauspielhaus weniger. Dort liefen die meisten der älteren, von Simons übernommenen Produktionen wie etwa "Ekzem Homo" von Gerhard Polt und den Well-Brüdern, oder es spielte die Kultpopband Tindersticks. Außerdem erhöht die leicht rückläufige Anzahl der Vorstellungen im Schauspielhaus insgesamt die Attraktivität jeder einzelnen. Allerdings sei dazu gesagt, dass Lilienthals erste Saison wegen des Intendanzwechsels später begann, mithin zehn Tage kürzer war.

Das sind die Zahlen von Lilienthals erster Saison. Zu Beginn von dessen zweiter schaut es düsterer aus. Die prozentuale Gesamtauslastung sank auf derzeit 60 Prozent, 18 Prozent der Abos wurden gekündigt, wobei etwa die Hälfte davon durch neuaufgelegte Probe-Abos teilaufgefangen wurde. Im Oktober konnte man etwa eine Jelinek-Lesung im Schauspielhaus verfolgen, bei der mehr Menschen auf der Bühne agierten als zahlende Zuschauer im Parkett saßen. Zum Vergleich: Das Münchner Volkstheater hatte im Oktober eine Auslastung von 80 Prozent und teilt mit, der Start einer Saison sei traditionell immer schwierig; bis Ende des Jahres gehe man davon aus, wieder 90 Prozent zu erreichen. Das Residenztheater hat für Oktober noch keine endgültigen Zahlen, weist aber für die gesamte Saison 2015/16 eine Auslastung von 79,7 Prozent aus.

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