Bodensee:An Bord des kürzesten internationalen Linienflugs der Welt

Kürzester internationaler Linienflug der Welt

Ein Klimadesaster? Eine tolle Alternative zu Auto, Bahn und Schiff? Das bisher einzige Flugzeug der Regionalfluggesellschaft People's Air Group.

(Foto: Felix Kästle/dpa)

Am Bodensee wird heftig diskutiert: Ist die neue 20-Kilometer-Verbindung zwischen Deutschland und der Schweiz ein Klimadesaster oder eine tolle Idee? Unser Autor ist mitgeflogen.

Von Max Hägler, Bodensee

An diesem Novembertag dauert es ein bisschen länger, elf Minuten. Beim Jungfernflug haben sie es in nur vier Minuten geschafft. Aber eigentlich macht das überhaupt nichts. Denn der Blick ist fantastisch, nach dem Abheben in Friedrichshafen und der schnell folgenden Rechtskurve: links das verschneite Montafon, rechts der stille Bodensee. Dann eine Linkskurve. Und landen in Altenrhein. Diese Strecke ist Weltrekord: Bislang lag Kinshasa-Brazzaville vorne, die beiden Hauptstädte sind getrennt vom Kongo-Fluss, eine Boeing 787 pendelt dort 26 Kilometer hin und her. Nun also eine Verbindung zwischen Deutschland und der Schweiz, das sind 20 Kilometer, die auch von einem Düsenjet geflogen werden: Seit Monatsbeginn bietet die Fluggesellschaft People's Air Group die Strecke an, 40 Euro einfach.

Ein Flug mit einer Embrear über den Bodensee? Absurd, schimpfen Politiker aus der Schweiz. Ein Klimadesaster. Spannend ist die Symbolkraft: endlich können die Menschen in Windeseile von hüben nach drüben. Das ist so selbstverständlich nicht. Wer den Bodensee kennt, weiß um die Schwierigkeiten. In Österreich und der Schweiz braucht es Autobahnvignetten, die Alternative sind kleine Nebenstraßen. Auf der Nordseite führt die Bundesstraße durch allerlei schöne Orte, oft mit Tempobeschränkung auf 30 Kilometer pro Stunde. Und per Bus und Bahn dauert der Weg mit allerlei Umsteigen zwei Stunden. Per Boot ist es ebenfalls schwierig, anders als es im Bodensee-"Tatort" den Eindruck machte. In der kalten Jahreszeit queren nur noch sehr wenige Passagierschiffe regelmäßig den See.

So schön das Wasser ist, es trennt vor allem. Der Chef der Fluglinie, Daniel Steffen, ein unkomplizierter Schweizer mit Karohemd und Designerbrille, würde das gerne ändern. Er könnte sich ein "Bundle" vorstellen, sagt er: Von der Schweiz etwa nach Friedrichshafen fliegen, dort ins Dorniermuseum gehen, an der Promenade spazieren und per Fähre zurück. Könnte ein schöner Tagesausflug sein - wenn denn Schiffe und Busse führen. Wobei es Steffen eher um die Menschen geht, die nach Köln wollen: Denn die Verbindung heißt zweimal am Tag eigentlich Altenrhein-Köln, mit Zwischenlandung in Friedrichshafen.

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Aber wieso der Startpunkt Altenrhein? Es gibt eine historische Verbindung; als Dornier nach dem Ersten Weltkrieg in Friedrichshafen keine Flugzeuge mehr bauen durfte, wurde das Flugboot Do-X auf der anderen Seite des Sees zusammengenietet. Heutzutage geht es vor allem um Bregenz, Hauptstadt von Vorarlberg, wenige Kilometer neben Altenrhein. Viele Menschen fliegen von hier nach Wien. Der Unternehmer Markus Kopf, der hier aus der Gegend stammt, übernahm als Investor die Verbindung vor einigen Jahren, der Flugplatz gehörte ihm schon. Mit seinem Geschäftsführer Steffen überlegte er dann, was man noch so machen kann von Altenrhein aus. Große Städte gibt es rundherum nicht, das muss auch Friedrichshafen immer wieder spüren: Auch das ist ein Nischenflughafen, der vor allem wegen der starken Industrie lebt: MTU, Airbus und der Autozulieferer ZF haben hier viel Personal, sind alle an der Flughafengesellschaft beteiligt. Konkurrenz dazu macht keinen Sinn, hat Steffen gedacht, sondern Kooperation. Ein Kleiner mit einem sehr Kleinen, dann werden beide ein bisschen größer, war der Gedanke, den sie auf der anderen Seite des Sees teilen.

Schafe grasen auf dem Platz in Altenrhein, auf dem es sehr still ist. Viele Flugzeuge hat Steffen noch nicht im Bestand. Genauer gesagt: eines. Ist die neue Verbindung dann überhaupt ernst gemeint? Oder besser: Kann es funktionieren? 112 Plätze hat die Embrear, drei Passagiere waren letztlich an Bord, zwei ab Köln. "Sie sind der einzige Fluggast ab Friedrichshafen, leider", meinte der Mann am Check-In. Im Flugzeug drohte die Stewardess grinsend: "Wenn Sie sich streiten, setzen wir Sie auseinander!" Es folgte eine ganz individuelle Sicherheitsunterweisung und ein Fläschchen Wasser wurde gereicht.

Nett. Aber zukunftsträchtig? Einer der beiden Mitreisenden fragte beim Ausstieg: Ob die bei meinem nächsten Trip im Dezember überhaupt noch im Geschäft sind? Er erinnert an die zwei regionalen Linien, die hier vor gar nicht allzu langer Zeit pleitegingen.

Ja, klar, sagt Steffen. Der Aufbau einer Verbindung in Europa kostet eine Million Euro. Das sei zu viel, um das zum Spaß zu machen. Und: Gerade eben an diesem Vormittag hat er ein zweites Flugzeug bestellt, für elf Millionen Euro. Extra für diese neue Strecke. Ein komisches Gefühl sei das schon, so viel Geld auszugeben.

Und ein Risiko. 40 000 Fluggäste pro Jahr braucht die Regionalfluggesellschaft People's Air Group, damit sich das dann rechnet. Die allermeisten werden in Friedrichshafen zusteigen, glaubt der Chef. Aber einige schon auch den Weg über den See finden. Nicht nur, weil sie vielleicht in Bregenz, Liechtenstein oder St. Gallen wohnen, den Blick beeindruckend finden oder das Kuriosum in ihrem Tagebuch vermerken wollen. Sondern weil der Flug schlicht billiger ist: Keine deutsche Luftverkehrsabgabe - und auch keine 19 Prozent Mehrwertsteuer.

Anm. der Red: Wie der Flughafen Friedrichshafen mitteilte, hat People's Viennaline bekanntgegeben, die Strecke nur noch bis zum 14. April 2017 zu bedienen. Die Fluggesellschaft erklärte, die Auslastung der Flüge habe sich "nur zögerlich verbessert". Auch die Verbindung weiter nach Köln/Bonn wird eingestellt.

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