Ermittlungen:Polizei durchsucht bayerisches Landeskriminalamt

  • Die Staatsanwaltschaft Nürnberg ermittelt gegen sechs LKA-Beamte wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt, wegen Urkundenunterdrückung, Betrug, Datenveränderung, Falschaussagen vor Gericht.
  • Zwei der Beschuldigten sind nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hohe Führungskräfte - und sie sind nach wie vor im Dienst.
  • Es war offenbar nicht die erste Razzia beim LKA. Nun herrscht in der Behörde angespannte Stimmung.

Von Stefan Mayr und Olaf Przybilla

Es war ein durch und durch ungewöhnlicher Einsatz. Am Donnerstag durchsuchten acht Polizisten und Staatsanwälte eine Polizei-Dienststelle an der Münchner Barbarastraße - aber nicht irgendeine. Die Razzia fand in den Räumen des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) statt, in denen besonders brisante Fälle behandelt werden: das Dezernat 62. Ausgerechnet in jener Abteilung, in der laut LKA-Organigramm die "Organisierte Kriminalität" und "besondere Deliktsformen" bekämpft werden, haben sechs Beamte womöglich schwere Straftaten begangen.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg ermittelt gegen die Beamten wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt, wegen Urkundenunterdrückung, Betrug, Datenveränderung, Falschaussagen vor Gericht. Und gegen zwei von ihnen sogar wegen des Verdachts des Diebstahls in mittelbarer Täterschaft.

Zwei der Beschuldigten sind nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hohe Führungskräfte. Und sie sind nach wie vor im Dienst. Als Kriminaldirektoren bearbeiten sie federführend sehr sensible Fälle. Entsprechend schlecht ist die Stimmung unter den Beamten, die unter den Beschuldigten Dienst tun müssen. "Diese Abteilung ist nicht mehr integer", sagt ein Polizist der SZ. Die Motivation unter Kollegen, die als Zeugen gegen ihre Vorgesetzten aussagen mussten, leide massiv. Arbeit bleibe liegen. "Das kann man nicht bringen, auch wenn die Unschuldsvermutung gilt."

Wie die Staatsanwaltschaft Nürnberg bestätigt, war die Durchsuchung nicht der erste unangemeldete Besuch im LKA. Bereits 2014 und Anfang 2015 gab es Razzien. Dabei wurden nicht nur Büros, sondern auch Privatwohnungen der Führungskräfte und anderer Beamter in München, Nürnberg und Augsburg durchstöbert. Jede einzelne der drei Durchsuchungen wurde von einem Richter abgesegnet. Bevor dieser unterschreibt, muss er prüfen, ob der Vorwurf schwer genug und begründet ist, um eine derartige Aktion zu rechtfertigen.

Der Einsatz im LKA ist nicht nur deshalb spektakulär. Ungewöhnlich ist der Fall auch, weil sich jeder Interessierte zuvor ein Bild machen konnte, wie schwer die Vorwürfe gegen die LKA-Beamten wiegen - und wie belastend die Beweislage für die Ermittler, darunter Spitzenbeamte, tatsächlich ist. Einige der Beschuldigten mussten seit Dezember 2015 als Zeugen im Würzburger V-Mann-Prozess öffentlich aussagen.

"Ich muss sagen, leider Gottes sind wir verarscht worden."

Im Kern ging es dabei um die Frage, ob ein früheres Mitglied der Rockergruppe "Bandidos" seine Funktion als Spitzel des LKA, als ein sogenannter V-Mann also, ausgenutzt hat, um ungehindert mit Drogen handeln zu können. In einem ersten Prozess war der V-Mann zu fast sieben Jahren Haft verurteilt und in der Verhandlung von LKA-Leuten als Lügner und Fantast dargestellt worden. Das änderte sich beim zweiten Prozess vollkommen. Zwar wurde der V-Mann erneut verurteilt, mit Drogen hätte er so oder so nicht handeln dürfen. In strafrechtliches Zwielicht gerieten diesmal aber auch die LKA-Leute.

Über die sagte ein früherer Beamter der Würzburger Polizei vor Gericht: "Ich muss sagen, leider Gottes sind wir verarscht worden." Und zwar vom LKA. Ein Kollege der LKA-Beamten berichtete sogar, ihm sei "heiß und übel" geworden, als er merkte, dass seine Kollegen offenkundig Akten manipuliert hatten, um ihre Mitwisserschaft an Aktionen des Bandidos zu vertuschen.

Einer der Tatvorwürfe ist dann auch Urkundenunterdrückung: Material, das in den Akten stand und sie selbst ins Zwielicht gesetzt hätte, sollen LKA-Leute entfernt haben. Auch sollen zwei von ihnen von einem Diebstahl von Mini-Baggern gewusst und die Bandidos gedeckt haben - daher der Tatvorwurf des Diebstahls in mittelbarer Täterschaft. Auch soll der Tacho des Autos, mit dem der V-Mann unterwegs war, manipuliert worden sein: Verdacht des Betrugs und der Datenveränderung. Und schließlich sollen Beamte das Gericht im ersten Prozess bewusst mit der Unwahrheit bedient haben: Verdacht der Falschaussage. Alles andere als Kavaliersdelikte.

Bisher hat die Staatsanwaltschaft zwar keine Anklage erhoben, und solange kein Urteil vorliegt, gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch haben die Razzien eine verheerende Wirkung aufs Personal in der betroffenen LKA-Abteilung. Wie ein Beamter der SZ berichtet, werde unter den Polizisten bereits gewitzelt: "Wer meldet sich freiwillig, wenn es soweit ist, um den Chef festzunehmen und abzuführen?" Solche Sprüche gebe es im kleinen Kreis.

Andere Fragen, die sich die Kollegen stellen, sind weniger witzig: Wie kann jemand, gegen den ermittelt wird, die Dienstaufsicht führen? Warum werden diese Leute trotz massiver Vorwürfe von der LKA-Führung nicht suspendiert oder zumindest von der Leitungsfunktion entbunden? Nur der V-Mann-Führer wurde suspendiert. Wie glaubwürdig ist die Polizei, wenn Leute federführend gegen die Organisierte Kriminalität ermitteln, denen selbst gemeinsam begangene Straftaten vorgeworfen werden?

Die SZ richtete diese Fragen ans LKA. Dieses gibt keine Auskunft, man verweist an die Staatsanwaltschaft Nürnberg. Diese nennt keine Details. Nach SZ-Informationen aber prüft sie, ob eine der Führungskräfte die Zeugenaussage eines untergebenen Beamten beeinflusst hat. Eine Anweisung soll gelautet haben: "Zu denen sagst du gar nichts." Das sind schwere Vorwürfe, sagt ein Polizist, "da geht es um Vertuschungshandlungen im Amt". Die Autorität der Beamten sei nicht mehr gegeben. Das Strafmaß für Strafvereitelung im Amt sieht bis zu fünf Jahren Haft vor.

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