Amazon:Kunden überweisen ins Nichts

  • Betrüger fordern ihre Kunden auf, die Bezahlung nicht wie üblich über das Amazon-Konto abzuwickeln, sondern den Kaufpreis per Vorkasse direkt an den Händler zu überweisen.
  • Wenn der Kunde das tut, schnappt die Falle zu. Dann storniert der Fake-Verkäufer die Bestellung bei Amazon und das Geld ist weg.

Von Christian Endt und Michael Kläsgen

Andrea Hotzy ahnte nichts Böses, als sie bei Amazon eine AEG-Waschmaschine für ihre Tochter bestellte. Auf der Website sah alles wie immer aus. Erst freute sie sich noch, weil sie dieses unglaublich attraktive Angebot aufgestöbert hatte: ein Schnäppchen für nur 220 Euro! Der teuerste Anbieter wollte 600 Euro. Gutgläubig klickte die Bankangestellte auf den Bestellbutton. Selbst sie, die täglich mit Gelddingen zu tun hat und von Betrügereien im Internet weiß, merkte von dem Schwindel nichts.

Wie Hotzy geht es derzeit Zehntausenden Amazon-Kunden. Sie fallen auf sogenannte Fake-Shops herein, auf Online-Läden, die es gar nicht gibt; auf fiktive Händler, die auf Amazon Waren anbieten, die sie gar nicht besitzen. Sie wollen nichts verkaufen, wollen nur das Geld der Kunden.

Kaum Aussicht darauf, das Geld wiederzusehen

Die Masche läuft immer nach einem ähnlichen Schema ab, fand das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen heraus. Die Betrüger fordern ihre Kunden auf, die Bezahlung nicht wie üblich über das Amazon-Konto abzuwickeln, sondern den Kaufpreis per Vorkasse direkt an den Händler zu überweisen. In der Regel sollen sie ihre Kreditkartendaten bei Bezahldiensten wie Paypal, Western Union oder Paysafe angeben, sagt eine Sprecherin des LKA. Wenn der Kunde das tut, schnappt die Falle zu. Dann storniert der Fake-Verkäufer die Bestellung bei Amazon und das Geld ist weg. Gegenüber Amazon hat der Kunde keinerlei Handhabe. Denn die "A-bis-Z-Garantie", der Verkäuferschutz des Onlinekonzerns, gilt nur, wenn die Bezahlung über die Webseite von Amazon.de erfolgt. Die bestellte Ware bekommt der Käufer nie zu Gesicht.

Amazon wird derzeit von solchen Fake- Shops geflutet und bekommt das Problem nicht in den Griff. "Wir nehmen das Thema ernst und beschützen unsere Kunden und Händler", beteuert Ralf Kleber, der Deutschland-Chef des Online-Händlers, auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung. Kunden sollten alle Käufe ausschließlich über die Amazon-Website abwickeln und niemals Ware beim Verkäufer direkt bezahlen, weder durch Überweisung noch per Scheck. Die Verkäufer wiederum seien dazu verpflichtet, alle Transaktionen nur über die Amazon-Plattform laufen zu lassen. Trotzdem gelingt es Amazon nicht, den Betrug auszumerzen.

Der Online-Handel wächst in großen Schritten. Der Umsatz wird dieses Jahr allein in Deutschland die Marke von 50 Milliarden Euro durchbrechen. Und mit ihm wächst auch der Betrug. 2015 registrierte das Bundeskriminalamt mehr als 74 000 Fälle von Warenbetrug im Internet. Tendenz stark steigend.

Der durch die Fake-Shops entstandene Schaden sei "erheblich", sagt eine Sprecherin des LKA in Hannover, das sich der Internetkriminalität zentral angenommen hat. "Immer wieder fallen Kunden darauf rein". Sie rät, sich vor auffälligen Angeboten in Acht zu nehmen.

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Opfer melden sich, wenn überhaupt, bei den lokalen Polizeidienststellen. Keine Behörde schaffte es bislang, die Betrugsdelikte bundesweit zusammenzutragen. Dazu ist das Phänomen zu neu. Und Amazon hat kein Interesse daran, Zahlen zum Cybercrime zu veröffentlichen.

Das Preisvergleichsportal Spottster.com wurde als einer der Ersten auf die Betrügereien aufmerksam. Es verfolgt, wie viel bestimmte Produkte auf Amazon durchschnittlich kosten. In der Regel bleiben die Zahlen über Monate einigermaßen konstant. Aber etwa seit August spielen viele Preise verrückt. Die Kurven schlagen heftig nach unten aus. An manchen Tagen kosten einzelne Artikel nur noch ein Fünftel des üblichen Preises.

Bei manchen Produkten, beispielsweise bei Elektro- und Haushaltsgeräten, sind zeitweise so viele gefälschte Angebote im Umlauf, dass die ernst gemeinten Offerten dahinter kaum zu finden sind. "Das ist ein Problem, das jetzt im Weihnachtsgeschäft noch zunimmt", sagt Kathrin Körber, bei der Verbraucherzentrale Niedersachsen zuständig für Online-Handel. Sie räumt ein: "Fake-Shops wirken häufig professionell, seriös und echt, so dass sie nur sehr schwer als gefälscht zu erkennen sind."

Verkäuferprofil mit den typischen Bestandteilen ist ein Schwindel

Andrea Hotzy hatte mit ihrer AEG-Waschmaschine Glück. Ihre Schwägerin warnte sie noch rechtzeitig und Hotzy stornierte sofort. Katharina Wiser, die Schwägerin, ist selber ein Opfer der Fake-Shops. Nicht als Kundin von Amazon, sondern als Händlerin, die ihre Ware auch über die Plattform verkauft. Die Geschäftsinhaberin von Insidehome, einer Firma südöstlich von Wien, verkauft Infrarotheizungen. Im August fielen ihr die Schwindeleien erstmals auf. "Aber dann wurden es immer mehr. Und in den vergangenen zwei Wochen ist es ganz schlimm geworden", sagt sie.

Katharina Wiser dokumentiert die Fake-Shops mit Screenshots, die sie auch an Amazon schickt. Darauf ist zu sehen, wie geschickt die Betrüger vorgehen. Ihre Angebote sehen täuschend echt aus. Der "neue Verkäufer" dieter222 beispielsweise verweist wie seriöse Anbieter auf sein Verkäuferprofil, das Impressum, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und das Widerrufsrecht. Nur, dass das alles fake ist, Schwindel.

Katharina Wiser, Händlerin bei Amazon

"Warum warnt Amazon seine Kunden nicht mit einem Hinweis vor den Fake-Shops? Warum lassen die die Kunden in die Falle laufen?"

Manche Betrüger erfinden Kunden-Bewertungen. "Alles bestens" oder "super", heißt es da. Nur die Nachnamen der fingierten Käufer lassen auf einen schwarzen Humor der Schwindler tippen. Sie heißen Ralf Panne und Gerda Paech. Natürlich ist das Kunden-Feedback "100 % positiv". Und wie bei seriösen Angeboten verheißt unten rechts "Die Amazon A-bis-Z-Garantie" ein Rundum-Sorglos-Paket. Nur dass es überhaupt nichts zu kaufen gibt.

Besonders schwer sind die Fälschungen zu erkennen, wenn es gar keine Fälschungen sind. Nicht immer machen sich die Betrüger die Mühe, einen eigenen Shop anzulegen. Manchmal übernehmen sie einfach einen, den es schon gibt. Einem IT-Händler aus Nordrhein-Westfalen ist das passiert. Seinen Namen will der Geschäftsmann nicht in der Zeitung lesen. Mit einer Phishing-Mail haben Betrüger sein Passwort abgegriffen, an einem Sonntagabend. "Kurz darauf waren mehrere Tausend Artikel auf meinem Profil eingestellt", sagt der Händler. "Ich bekam 400 Bestellungen in einer Stunde." Normalerweise handelt der Mann mit Computern, plötzlich standen auch Kindermöbel und Solarien in seinem Shop. Er setzte sein Passwort zurück, legte den Shop vorübergehend still - doch nach kurzer Zeit kamen immer wieder neue Bestellungen und Anfragen. Erst am nächsten Morgen um 10 Uhr reagierte Amazon und sperrte den Account. Die aufgegebenen Bestellungen wurden von Amazon allesamt storniert ohne Angabe von Gründen. Der Händler sagt, er erhalte nun zahlreiche Beschwerden, manche würden mit rechtlichen Schritten drohen.

Diese Betrüger nehmen seriösen Händlern das Geschäft weg. Standardmäßig werden die Angebote bei Amazon nach dem Preis sortiert, die gefälschten Dumping-Offerten stehen daher über denen von Händlern wie Katharina Wiser. Sie ist verärgert über Amazon. Auf all ihre Mails erhält sie immer nur eine nichtssagende Standardantwort. Und wenn Amazon einen Fake-Shop von der Website nimmt, poppt keine 24 Stunden später ein anderer wieder auf. "Warum warnt Amazon seine Kunden nicht mit einem Hinweis vor den Fake-Shops?", fragt Wiser. "Warum lassen die die Kunden in die Falle laufen?"

"Hätten doch merken müssen, dass dieser Preis nicht in Ordnung sein kann"

Viele Menschen erledigen ihre Internet-Einkäufe inzwischen unterwegs, vom Smartphone aus. Auf der mobilen Website ist die Benutzeroberfläche reduziert, Informationen sind knapper dargestellt. Viele Konsumenten lassen sich am Handybildschirm weniger Zeit, prüfen nicht jedes Detail. Das macht sie besonders anfällig für Fake-Angebote. Auch Andrea Hotzy griff über ihr Telefon auf Amazon zu, als sie beinahe auf den Waschmaschinen-Betrüger hereinfiel.

Als Hotzy den Betrugsversuch bemerkte, wollte sie sich telefonisch an Amazon wenden. Allerdings ist es nicht so einfach, auf der Website die gut verstecke Kontakt-Rufnummer zu entdecken. Eine halbe Stunde habe sie suchen müssen, sagt Hotzy. Am anderen Ende der Leitung war die Dame dann zwar freundlich, erinnert sich die Bankangestellte. Sie stellte aber die geistige Zurechnungsfähigkeit der Kundin infrage: "Sie hätten doch merken müssen, dass dieser Preis nicht in Ordnung sein kann", warf die Amazon-Frau Hotzy vor.

Nach dieser Erfahrung will sie bei Amazon nichts mehr bestellen.

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