Autoindustrie:Die große Wende

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Autonomes Fahren, E-Motoren, Vernetzung: Die Autoindustrie steckt im größten Wandel ihrer Geschichte. Für die Hersteller geht es dabei um alles.

Von Thomas Fromm

Daimler-Chef Dieter Zetsche, bis vor nicht allzu langer Zeit mit Anzug und Krawatte unterwegs, tritt seit Neuestem in Jeans und Turnschuhen auf. Was genau er damit sagen will, ob er sich einfach mal lockerer machen will oder ob das Ganze Teil eines Stuttgarter Masterplans ist, Mercedes zu kalifornisieren - so genau weiß man es nicht. Zetsche selbst sagt, jeder solle sich so anziehen, wie er mag, und da gefällt ihm der Stil der jungen IT-Aufsteiger aus dem Silicon Valley wohl besser als die Standardware vom Herrenausstatter. Auch BMW-Chef Harald Krüger ist der Meinung, dass sich in diesen Zeiten jeder anziehen sollte, wie er will - und bleibt selbst bei Anzug und Krawatte. Allerdings sprechen sowohl Zetsche als auch Krüger in letzter Zeit verdächtig oft über die Bedeutung von Firmenkulturen, über digitale Autos und starke Elektrobatterien, flache Hierarchien und eine neue Offenheit. Für eine Branche, in der es jahrzehntelang vor allem um PS und Drehmomente ging, ist das schon eine beachtliche Veränderung. Es ist kein Zufall.

Die Branche, früher ein Wanderzirkus für "Petrol-Heads", Männer mit Benzin im Blut, wird gerade neu erfunden. Egal ob in Turnschuhen oder handgenähten Budapestern: In einigen Jahren wird sie anders aussehen als heute. Es wird die Zeit kommen, in der man sich fragt: Wie kann es sein, dass man einmal PS-starke Boliden in die Mitte von Automessen gestellt hat, auf deren Motorhauben spärlich bekleidete Damen saßen? Es wird eine Zeit sein, in der Autos elektrisch fahren, häufig auch automatisch, und in der viele Menschen überhaupt kein eigenes Auto mehr wollen, sondern sich je nach Bedarf Fahrzeuge teilen oder mieten. Der Übergang ist fließend, und schon in zehn Jahren dürfte die Branche anders aussehen als heute.

Zehn Jahre aber sind in einer Welt wie der der Autos eine ziemlich kurze Zeit, und die Frage ist: Werden die großen Autokonzerne, die Hunderttausende von Menschen beschäftigen und Milliarden umsetzen, diesen Wandel überleben? Oder werden die alten Marken von neuen Mobilitätsanbietern einfach weggefegt und mit ihnen viele kleine Zulieferunternehmen und Millionen von Jobs? Denn es geht am Ende ja nur am Rande um Autos. Wenn sich eine der größten Branchen weltweit komplett verändert, verschieben sich auch die Dinge in der Gesellschaft. Neue Berufe entstehen, andere gehen für immer verloren.

VW, Daimler und die anderen haben lange gewartet und gezögert, aber noch ist das Spiel offen. Der Dieselskandal von Volkswagen, der im September 2015 über die Autoindustrie kam, hatte insofern auch etwas Gutes: Es war der letzte Beweis, dass die Industrie an ihre Grenzen gekommen war. Das ewige Technologie-Versprechen, immer größere und schnellere Autos zu bauen und dabei gleichzeitig immer strengere Abgasgrenzwerte einhalten zu können, die Illusion, es könne alles immer so weitergehen, indem man einfach nur lange genug an seinen Motoren herumschraubt - das ist mit Dieselgate widerlegt.

VW brauchte am Ende eine Software, die bei Abgasmessungen manipulierte, um das Märchen von der technischen Machbarkeit aufrechtzuerhalten. Ein kleiner, übler Trick, der einen Konzern Milliarden kostet und ihn auf Jahre hin schwer belastet. Vielleicht auch deshalb steht VW gerade stellvertretend für eine ganze Branche, die lieber die Zukunft plant als noch länger über ihre Vergangenheit als Hersteller von Spritschluckern nachzudenken. Es brauchte wohl den Wahnsinn von Dieselgate, um mit dem ganzen Irrsinn aufzuhören.

Dennoch: Es ging viel Zeit verloren. Zeit, die man damit verbrachte, immer weiter am Dieselmotor herumzuwerkeln, während andere wie die IT-Konzerne Google und Apple oder der digitale Fahrtenvermittler Uber langsam begannen, die Autoindustrie zu entern. Bei denen ging es nicht um die Frage, wie sich strenge Stickoxid-Grenzwerte einhalten lassen. Es ging von Anfang an um das ganz große Thema: die Mobilität der Zukunft. Erst spät merkten die traditionellen Hersteller, was sich da gegen sie zusammenbraute: Neue Spieler aus einer anderen Welt, die für sich in Anspruch nahmen, mit der Hoheit über digitale Dienste und Daten auch den Kontakt zum Kunden zu haben. Eine schlechte Nachricht für die alten Autobauer, denn wenn die anderen den Kunden und seine Daten haben, bleibt ihnen nur noch eines: Blech biegen für die anderen. Viel Geld lässt sich damit nicht verdienen.

Uber, die Taxi-App aus dem Silicon Valley, wurde in den Vorstandsetagen zuerst belächelt. Inzwischen weiß man: Die Kalifornier haben ein Geschäftsmodell entwickelt, das den Autobauern schwer in die Quere kommen könnte.

Wenn es stimmt, dass sich die Autoindustrie in den nächsten zehn Jahren mehr verändern wird als in den vergangenen hundert Jahren, ist es klug, nichts zu verpassen. Deshalb kommt es zu ungewöhnlichen Verbindungen. Der japanische Koloss Toyota beteiligt sich an der Taxi-App Uber, VW steigt mit 300 Millionen Dollar beim Uber-Rivalen Gett ein, BMW macht mit dem US-Chiphersteller Intel und dem israelischen Kameratechnik-Spezialisten Mobileye beim autonomen Fahren gemeinsame Sache. Und erst im vergangenen Jahr legten Audi, BMW und Daimler zusammen fast drei Milliarden Euro für den digitalen Kartendienst Nokia Here auf den Tisch. Dass alle drei zusammen einen Milliardendeal einfädeln, ist ungewohnt. Wie so vieles in dieser neuen Autowelt.

Die Fragen sind nun: Wann geht es los mit dem hochautomatischen Fahren? Wann rollt der letzte Benziner oder Diesel aus dem Autohaus? Die Antworten kennt niemand, wahrscheinlich wird es ein langsamer Prozess werden, es wird viele Jahre dauern, bis sich der Verkehr komplett umgestellt hat. Ford, einer der ältesten Autokonzerne der Welt, will auf jeden Fall ganz vorne sein, wenn es so weit ist. Schon in fünf Jahren wollen die Amerikaner selbstfahrende Autos auf den Markt bringen. Autos, die kein Lenkrad, keine Bremse und kein Gaspedal mehr brauchen. Die Kunden? Profi-Anbieter wie der Taxi-Dienst Uber. Ford will es also von Anfang an beherrschen, das neue Spiel. Ford-Chef Mark Fields sieht es so: "Autonomes Fahren könnte ähnlich große Auswirkungen auf die Gesellschaft haben wie die Einführung der Fließbandproduktion bei Ford vor mehr als 100 Jahren."

Noch sind E-Autos Ladenhüter. Sie sind teurer, sie haben meist eine geringe Reichweite, und es gibt zu wenig Aufladestationen. Doch das wird sich in den kommenden Jahren ändern. Bis dahin haben die Unternehmen nur eine Option: Solange sie mit ihren Dieselautos und Benzinern noch Geld verdienen können, müssen sie es tun - und in Elektroautos investieren, mit denen sie heute noch kein Geld verdienen. Irgendwann wird es sich dann lohnen.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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